Wieduwilts Woche

Wieduwilts Woche zu Norbert Bolz Jede Hausdurchsuchung bei Kolumnisten stärkt die AfD

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Moderne Zeiten: Steht die Polizei vor der Tür, ist der Anlass womöglich nur ein provokanter Kommentar im Internet.

Moderne Zeiten: Steht die Polizei vor der Tür, ist der Anlass womöglich nur ein provokanter Kommentar im Internet.

(Foto: picture alliance / dpa)

Beim konservativen Kolumnisten Norbert Bolz ist die Polizei durchs Haus gestapft, weil er im Internet eine ironische Bemerkung wagte. Kann man machen, aber dann sollte man sich nicht über mangelndes Staatsvertrauen beklagen.

Der Staat hat zu Übergriffigkeit ein ähnliches Verhältnis wie Nikotinsüchtige zu Zigaretten: Er kann einfach nicht die Finger davon lassen, obwohl er weiß, dass es ihm nicht guttut. Besonders, wenn es stressig wird! Dann kann es schon einmal passieren, dass dem Staat die sprichwörtliche Hand ausrutscht. Wie beim Beispiel Bolz.

Norbert Bolz ist Kolumnist und schreibt Dinge, die man heute wohl getrost als "rechtskonservativ" bezeichnen darf. Er selbst verortet sich im rechten Flügel der SPD, wie sie früher einmal war. Und er hat das, was man eine spitze Feder nennt: Er kondensiert Gegenwartsmomente auf sprachlich kleinstem Raum. So etwa, als er in einem Tweet die Formulierung "Deutschland erwache" unterbrachte.

Das war im Januar 2024. Die "taz" meinte zu erkennen, dass "Deutschland erwacht", nämlich durch das Anleiern eines AfD-Verbots und eine Petition ("Höcke Stoppen"). Eine "gute Übersetzung von 'woke'", fiel Bolz dazu ein, nämlich: "Deutschland erwache!".

Braunen Schmodder tabuisieren

"Deutschland erwache" ist nun allerdings eine Losung der "Sturmabteilung (SA)" und ihre öffentliche Verwendung ist nach allgemeiner Ansicht strafbar (§ 86a Strafgesetzbuch). Das Strafrecht macht hier keine Fisimatenten, es will den braunen Schmodder tabuisieren ohne Wenn und Aber. Es gab früher sogar groteske Fälle, in denen ein durchgestrichenes Hakenkreuz verfolgt wurde. Also durchsuchte die Staatsanwaltschaft Berlin bei Bolz die Räume.

Eigentlich sind wir heute weiter. Wir hatten eine "Schwachkopf"-Debatte, wir hatten eine für uns peinliche amerikanische Dokumentation über deutsche Hausdurchsuchungsfreude. Das Vertrauen der Deutschen in den Staat hat einiges gemein mit Wile E. Coyote: Es befindet sich im freien Fall.

Sollte man als Staatsanwalt dann auf eine Hausdurchsuchung drängen, bei einem erkennbar ironischen Post auf X? Dessen Autor bekannt und per Mail und Telefon leicht erreichbar ist? Ist es unter diesen Umständen nicht übergriffig, also juristisch gesprochen unverhältnismäßig, also unjuristisch gesprochen ganz und gar bimmelblöde, dem Mann die Polizei ins Haus zu schicken?

Auch Juristen haben eine Agenda

Doch Staatsanwälte und Richter sind keine aseptischen Gerechtigkeitsautomaten, die nach Eingabe der Fakten eine Paragrafensammlung ausspucken. Juristen haben Überzeugungen, manche haben sogar eine politische Agenda und manchmal brechen diese Triebe wie geiles Kraut durch den Firnis der Rechtsstaatlichkeit.

Bolz ist ja beileibe nicht das einzige Opfer. Treue Leser dieser Kolumne wissen, dass ein Berliner Staatsanwalt zweimal versuchte, auch mich wegen einer Formulierung zu verknacken. Zwei Gerichte empfahlen ihm daraufhin die Lektüre von Artikel 5 Grundgesetz: Meinungs- und Pressefreiheit - und lehnten das Ansinnen ab. Von einer Hausdurchsuchung sah man ab, was mich und meine Glückskatze damals durchaus erfreute.

Überhaupt, Staatsanwaltschaften: Die "Welt" wehrt sich gerade gegen eine bissige Düsseldorfer Strafverfolgungsbehörde, die allen Ernstes von dem Medium eine presserechtliche Unterlassungserklärung abverlangt. Das ist ein juristisches Mittel, das normalerweise Promis und Politiker in Stellung bringen, aber nicht der Staat.

Richter im Rage Mode

Wir sind halt alle ein bisschen gestresst gerade. Der Druck im Kessel steigt und damit auch das Temperament in der Justiz. Just in dieser Woche illustrierte das ein Landgericht in Bonn, die 13. Zivilkammer, in einem Fall, in dem es um, Schnarch, Datenschutz ging. Das Portal "Beck Aktuell" berichtete zuerst, hier das Urteil im Wortlaut.

Ein wenig aus dem Nichts schalteten die Richter in den Rage Mode und ergossen eine politische Polemik über die US-Regierung, als wären sie keine Zivilkammer, sondern Zivilkolumnisten: Die Trump-Administration sei "offen rechtsextremistisch-populistisch", habe "anti-demokratische, anti-rechtsstaatliche, autokratische bis faschistische Tendenzen".

Rechtsextremisten, freestylen die Juristen, seien schon immer die "größten Feinde individueller Freiheit". Dann heben sie im Vorbeigehen einen sozio-historischen Befund aus der Aktentasche: "Daneben sind Rechtsextremisten in aller Regel die korrupteste Sorte von Politikern, weil die ideologische Grundbasis des Rechtsextremismus unvernünftig übersteigerter (nationaler und individueller) Egoismus ist."

Da schäumt es so sehr, dass sogar die Logik in Brand gerät - denn wenn es "unvernünftig übersteigerten Egoismus" gibt, was ist dann vernünftig übersteigerter Egoismus?

Justiz-Wut stärkt die AfD

Die Richter der Zornkammer sollten aufpassen: Wären sie wirklich Kolumnisten, stünde nun womöglich eine Hausdurchsuchung an. Die amerikanische Botschaft zeigte sich schon verschnupft. Aber immerhin: In der Gefälligkeitshölle LinkedIn klatschen viele Menschen, die es Trump und den doofen Amerikanern schon immer mal zeigen wollten und die qua Justiz nun gratis Mut zeigen dürfen.

Von staatsbediensteten Juristen erwartet man eigentlich politische Zurückhaltung. Wer vor den Richter oder den Staatsanwalt treten muss, möchte von diesen bitte rechtsstaatlich, also objektiv behandelt werden. Diesen Ruf verzocken Richter und Staatsanwälte gerade, sehr zum Vergnügen jener Rechtsextremen, die sie mit ihren wohlgemeinten Ausbrüchen doch vermutlich bedrängen wollten. Und sie stärken die AfD.

Die AfD suhlt sich seit Jahren in echten und vermeintlichen Übergriffen des Staates - etwa, wenn das völkisch-rechtsextreme AfD-Machtzentrum namens Björn Höcke "Alles für Deutschland" skandiert, mal ganz, mal in Teilen, um danach unter großem Gejohle mit der pikierten Justiz zu rangeln. Das ist das Lebenselixier der Populisten: Die da oben, wir hier unten.

Braune Vergangenheit, braune Zukunft

Bei diesen Gefechten nutzt die AfD aus, dass immer mehr Menschen ahistorisch auf SA-Losungen blicken: Viele wissen nicht mehr, wofür "Alles für Deutschland" und "Deutschland erwache" steht. Manche wollen sogar ganz bewusst den Schlussstrich, nicht nur unter das Dritte Reich, sondern auch unter Deutschlands historische Verantwortung. Da reiben sich rechtsextreme Revisionisten die Hände: Denn mit der Umdeutung der braunen Vergangenheit beginnt jeder Aufbau einer braunen Zukunft.

Vielleicht können sich die Staatsanwaltschaften in Berlin und Düsseldorf sowie das Landgericht Bonn durch den Kopf gehen lassen, wie sich ihr wohlmeinender Wutschaum auf das Ansehen der Justiz auswirkt - am besten vor dem nächsten politisch motivierten Übergriff. Von der Freiheit, für die sich westliche Demokratien rühmen, sieht man in solchen Fällen nämlich nicht viel. Wie soll man dann bitte für sie werben?

Übrigens: Die EU will "Hassrede" künftig noch besser verfolgen und dafür die Verträge ändern. Sprache und Tat sollen gleich behandelt und, vor allem, bestraft werden. Auch dieser absehbare Übergriff soll vermutlich amerikanische und hiesige Rechtspopulisten treffen.

Der Weg zur rechtsextremen Machtübernahme ist mit guten Vorsätzen gepflastert.

Quelle: ntv.de

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