Wieduwilts Woche Aydan Özoguz ist noch immer eine Schande für den Bundestag


Aydan Özoguz ist Vizepräsidentin des Bundestags und hat sich von dem antisemitischen Post distanziert. Aber reicht das?
(Foto: Markus Scholz/dpa)
Der SPD in ihrer größten Not ist offenbar jedes Mittel recht: Sei es der Kumpel eines Kriegsverbrechers oder Hetze gegen Israel.
Am Donnerstag plapperte der Deutschlandfunk aus meinem Radio gegen die üblichen Aufstehgeräusche in meiner Wohnung an, das Dielenknarzen, das Kaffeegeblubber, das Zahnbürstengesumme - als plötzlich das Wort "verkackt" durch den Raum schallte. Wie bitte? "Na, na, na" machte da sogar der Moderator. Ausgesprochen hatte die Vulgärvokabel Jörg Kachelmann, der immer etwas wütende Meteorologe, gemeint hatte er die menschlichen Fehlleistungen in Sachen Klimawandelbekämpfung.
Krass, ging es mir dumpf durch den müden Kopf, da hat Kachelmann wohl grad "die Grenzen des Sagbaren verschoben", denn "verkackt" sagt man nicht im gediegenen Deutschlandfunk, eigentlich.
Das mit den "Grenzen des Sagbaren" ist ja so eine etwas diffuse Formulierung aus dem Medienbetrieb. Meist geht es um Rechtsextreme, die beständig irgendwelche Tabus brechen, bis die Tabus keine mehr sind und alle schlimm braunes Zeug reden - so lautet die Theorie. Funktioniert das?
Sylt und die "Grenzen des Singbaren"
Als Expertin für Grenzverschiebungen des Sagbaren gilt die AfD. Alexander Gauland etwa hat in einem FAZ-Interview vor ein paar Jahren sogar ausdrücklich gesagt, er und seine Leute wollten die "Grenzen des Sagbaren" verschieben. Sechs Jahre später grölen junge Leute auf Sylt "Ausländer raus" in die Kamera.
Wobei - Sylt ist vielleicht kein gutes Beispiel: Da man die hüpfenden Polohemden gesellschaftlich zum Teufel jagte, scheinen diese Grenzen des Singbaren noch nicht ganz eingerissen zu sein. Gut: Inzwischen warnt man sogar bei den Grünen und in der SPD vor Migranten. Aber das ist doch nicht auf Gauland zurückzuführen. Oder etwa doch?
Auch die woke Linke verschiebt ja bekanntlich gern. Cem Özdemir gehört nicht dazu, der Grüne hat kundgegeben, dass ihm Gendern gar nicht so wichtig sei. Eine Berliner Stiftung hat allerdings kürzlich das Wort "Oberindianer" aus Udo Lindenbergs "Sonderzug nach Pankow" gestrichen. Nicht aus Rücksicht auf den so von Udo titulierten Erich Honecker, das muss man wohl dazu sagen.
"This is Zionism"
Ach, ich glaube, ich kenne noch ein besseres Beispiel für Grenzverschiebung des Sagbaren: Die sozialdemokratische Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoguz teilte bekanntlich einen antisemitischen Beitrag im Internet, der unterm Strich das Existenzrecht Israels bestritt. Man sah dort ein Flammenmeer und in dicken Lettern "This is Zionism". Das Wort Zionismus bezeichnet das Streben nach einem unabhängigen jüdischen Staat.
Das ist schon ein Ding, ein Tabu, sollte man eigentlich meinen: Immerhin ist dieses Amt das ranghöchste unseres Staates nach dem Bundespräsidenten. Immerhin sind wir ein Land, das den Holocaust verantwortete und damit den Ausschlag gab für die Existenz Israels. Wie Sie aber sicher festgestellt haben, war Özuguz' Tabubruch folgenloser als ein Oberindianer.
Ja doch, jüdische Organisationen haben das Posting durchaus in scharfen Worten kritisiert. Die Union forderte mehrfach Özuguz' Rücktritt, vergeblich. Die israelische Botschaft schaltete sich ein, sagte, das "kann nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden". Aber da muss die Botschaft noch einiges lernen, über Teppiche, Deutschland und die SPD.
"Keine Notwendigkeit für Konsequenzen"
Es passierte nämlich: Nichts. Also - gar nichts. Der Ältestenrat des Bundestags nickte die Aktion ab. Da sitzen Sozialdemokraten, aber eben auch Leute, die eigentlich einen gut justierten Werte-Kompass haben, was die einzige Demokratie im Nahen Osten angeht. Das Phlegma des Ältestenrats in Sachen Israelhetze lässt sich nur damit erklären, dass Aydan Özuguz, selbst dort Mitglied, immer die besten Kekse zur Kaffeepause beisteuert.
Auch die SPD, immerhin Partei von Otto Wels, zuckte mit den Achseln und winkte die Sache durch: "Keine Notwendigkeit für Konsequenzen", beschied SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich, eine Formulierung, die durchaus zum Wahlslogan taugt. Özuguz gab eine erbärmliche Nichtentschuldigung ab. Der Historiker Jan Behrends fragte daraufhin auf X, ob man so eigentlich noch in der SPD bleiben könne und ob "uns" noch ein "westlicher Wertehorizont" verbinde.
Unwiderstehliches Wahlkampfmittel
Die SPD muss ich an dieser Stelle aber wohl in Schutz nehmen. Die 15-Prozent-Partei ist verzweifelt. Wenn das Keulen von Robben ein paar Stimmen brächte, würde der neue Generalsekretär Matthias Miersch vermutlich selbst zum Baseballschläger greifen. Nun hat er mit Gerhard Schröder den Busenkumpel eines Kriegsverbrechers in der Sozialdemokratie willkommen geheißen, was die Frage des Historikers Behrends nach dem "westlichen Wertehorizont" womöglich beantwortet.
So gesehen ist es absolut logisch, dass die SPD an der Hetzerin Özuguz festhält. Antisemitismus und Israel-Kritik sind derart gut erprobte Mittel in deutschen Wahlkämpfen, dass man kaum die Finger davon lassen kann - es sind praktisch die Pom-Bären unter den schmutzigen Tricks! Das steht spätestens seit der Aiwanger-Affäre fest: Auf "Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz" folgte für die Freien Wähler immerhin das beste Ergebnis der Parteiengeschichte.
Wie lebt es sich eigentlich dieser Tage als Jude in der SPD? Nicht so gut offenbar, man kann es nachlesen. "Es ist kalt geworden in Deutschland", schreibt Renée Röske, die Vorsitzende des Arbeitskreises jüdischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Berlin-Brandenburg, in einem Gastbeitrag für die "Jüdische Allgemeine". Sie meinte nicht das Wetter.
"Das Foto, das Aydan Özoguz veröffentlicht hat, hätte auch so in den 1930er-Jahren erscheinen können", erklärt Röske. "Der Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich muss nun konsequent durchgreifen. Es geht um Glaubwürdigkeit, um Moral und Anstand."
"Aber die Özuguz!"
In jedem Sportverein, an jeder Werkstraße, in jeder Schule, in jeder Fußgängerzone, an jedem Abendbrottisch hat Israelhetze jetzt einen Okidoki-Stempel erhalten. Wie soll man einen Schüler, einen Angestellten, einen Freund oder einen Hamas-Fan auf der Sonnenallee noch dafür rügen, dass er den Staat Israel als skrupellose Mörderbande darstellt?
"Aber die Özuguz!" ist nun eine erstaunlich stichhaltige Replik und der nächste verprügelte Israeli in Berlin oder anderswo muss sich vielleicht auch das dann anhören.
Wir haben es verkackt.
Quelle: ntv.de