Wieduwilts Woche

Zwei Mitteilungen für Habeck Lasst uns ein Kalifat probieren, so toll ist die Ampel nicht

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Muslim Interaktiv, ein Name wie eine AOL-CD mit Internet-Freiminuten aus den frühen 2000er-Jahren.

Muslim Interaktiv, ein Name wie eine AOL-CD mit Internet-Freiminuten aus den frühen 2000er-Jahren.

(Foto: Annette Riedl/dpa/Archivbild)

Tausend Demonstranten in Hamburg haben die deutsche Spitzenpolitik aufgewühlt. Die Republik steht auf einmal an der Kante zum Gottesstaat. Unser Kolumnist auch.

Blitzgelüste, Sie kennen das: jetzt mal schnell mit den Händen in feuchter Erde wühlen, der gähnenden Katze den Finger ins Maul stecken, mal richtig aus dem Fenster schreien oder, das war mein Problem diese Woche, ein Kalifat einfordern. Ich vermute, Letzteres sollte ich erklären, bevor mir schwere Jungs in Uniform über die abgezogenen Dielen trampeln.

Der Reihe nach: Es begann in Hamburg, wo am vergangenen Samstag etwa 1000 Männer von "Muslim Interaktiv" auf die Straße gingen. "Muslim Interaktiv" klingt ein wenig wie eine milieuspezifische AOL-CD mit gratis Internetminuten wie sie in den frühen 2000ern üblich waren, ist aber offenbar der digitale Arm einer mit Betätigungsverbot belegten Kalifatsbewegung. Auf der Demo hielten manche Männer Plakate hoch und da stand dann drauf "Kalifat ist die Lösung" oder auch "Deutschland = Wertediktatur", was vermutlich beim Kalifatisten-Brainstorming bedrohlicher klang als in einer Demokratie, und "Staatsräson tötet", was sich natürlich auf das Sterben in Gaza bezieht und Deutschlands Solidarität zu Israel.

So weit, so gähn. Dann war da aber auch grad eine Umfrage, der zufolge ein erheblicher Teil muslimischer Jugendlicher den Koran wichtiger findet als das Grundgesetz und den Gottesstaat safe besser als die Demokratie. Und weil der Mai zudem ein lauer Monat ist, in dem Angestellte ständig freihaben, während freiberufliche Kolumnisten in Steuerunterlagen rumwühlen, stürzte sich die Politik auf dieses Nichtereignis.

Scholz on fire

Einer der ersten und konsequentesten Mahner war erstaunlicherweise Olaf Scholz, der vermutlich noch immer an seinem G20-Trauma nagt - damals hatte der heutige Kanzler in der Elbphilharmonie gesessen, während draußen die Stadt brannte. Das sollte wohl nicht noch einmal passieren. Scholz stürzte sich also noch am 29. April, konsequent, wie gesagt, aufs Nichtereignis mit einem Nichtstatement: "Eins muss klar sein", hob er an, "alle Straftaten, überall dort, wo gegen Gesetze der Bundesrepublik Deutschland verstoßen worden ist, müssen verfolgt werden".

Da hatte der Kanzler und Rechtsanwalt wohl all seine doppelt examinierten Rechtskenntnisse in einem Satz gebündelt. Gesetzesverstöße verfolgen, überall? Donnerwetter. Sogar in Hamburg? Ein Wahnsinn! Und weiter: "Gegen all das, was an islamistischen Aktivitäten stattfindet, muss mit den Möglichkeiten und Handlungsoptionen unseres Rechtsstaates vorgegangen werden." Man soll also nicht nur mit Möglichkeiten, sondern auch Optionen vorgehen, der Kanzler ist offenbar on fire, Doppelwumms nochmal!

Doch nicht nur dem Kanzler dienten die Kalifat-Fans als Projektionsfläche für fröhliches, wiewohl folgenloses Maskulinieren. Der Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) teilte auf X mit, ebenfalls am 29. April: "Wem ein Kalifat lieber sein sollte als der Staat des Grundgesetzes, dem steht es frei auszuwandern." Das ist freilich nur die halbe Wahrheit, denn auch jedem, der ein Kalifat für eine absurde Kackidee hält, steht es frei auszuwandern - da bin ich mir juristisch einigermaßen sicher.

One-Way-Flug nach Afghanistan

Aber es blieb nicht bei diesem zahmen Sound. Denn am 1. Mai ging die Party richtig los: Der Grüne Robert Habeck verkündete bei "Lanz" die kühne These, die Forderung nach einem Kalifat sei nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Die Union wurde wach: Jens Spahn formulierte das Buschmann-Zitat um und würzte nach, am 1. Mai sagte er der "Augsburger Allgemeinen": "Wer in einem Kalifat leben möchte, kann ein One-Way-Flugticket nach Afghanistan oder in den Iran bekommen", und ich bin ein bisschen irritiert, wie leichtfertig die Opposition mit dem knapper werdenden Steuergeld umzugehen gedenkt, zumal es offenbar auch noch Wahlmöglichkeiten geben soll (beides übrigens keine Kalifate).

So richtig bedrohlich klangen die Ansagen der halbstarken Politmänner an die Kalifatfans dann auch nicht, zumal viele Demonstranten einen deutschen Pass haben dürften. Es klang eher wie Til Schweiger, der kürzlich in einem Interview erklärte, wie er fast Jan Böhmermann eine ballern wollte. Fast! Was sind wir, zwölf?

Auf der Spitze der Erregung kam es zum Unvorstellbaren: Die "Bild"-Zeitung bezeichnete Alexander Dobrindt als "CSU-Vordenker". Alexander "Ausländermaut" Dobrindt! Vordenker! Womit Deutschland wirklich am Rande des Wahnsinns angekommen schien. Dobrindt breitete in der "Bild" also zielgruppengerecht eine Alliteration aus, nämlich einen "Knallhart-Kurs gegen Kalifats-Kämpfer". Hätte er mal "kontra" statt "gegen" gesagt! Eine besonders tragische von vielen vertanen Chancen in der Geschichte politischer Kommunikation.

Erschütternde Kalifatfeindlichkeit

Nun also soll laut Dobrindt die volle Ultrahärte des letztlich für nichts als Stahlhärte bekannten Rechtsstaats auf jeden niederdonnern, der - Moment, wie war das gleich - ein "Kalifat einfordert"! Wer das macht, den möge künftig erwarten: Strafbarkeit wegen Volksverhetzung! Staatsangehörigkeit weg, also jedenfalls wenn‘s nicht die einzige ist! Ausweisen! Sozialleistungen weg! Und Kopf ab! Gut, das letzte stand eher zwischen den Zeilen, aber es war doch gut lesbar.

Und genau das, diese erschütternde Kalifatfeindlichkeit, ließ mich aufhorchen. Ich meine - zugegeben: In Kalifaten, also islamischen Staatsformen mit einem weltlichen und religiösen Führer und Geltung der Scharia, käme es wohl bisweilen zu allerlei Unerfreulichkeiten, wenn man denn das islamistische Modell dieser Staatsform heranzieht: Schweinefleischkonsum macht schwul, Schwule stürzt man von Hochhäusern, Grundrechte weg, diesdas. Dann wiederum, belehrt mich eine befreundete Islamexpertin, verdanke dem Wort "Khalifa" der Ort Kalifornien seinen Namen. Ihre Augen leuchten dabei und ich überlege, ob ich sie denunzieren sollte.

Was Katastrophales genau passiert denn, wenn man in Deutschland ein "Kalifat einfordert"? Bekommt man das dann etwa? Wir kennen das von der Kindergrundsicherung: Man weiß ja in der deutschen Bürokratie nicht mehr, was man wo beantragen soll und kann. Liegt in den lichtgrauen Regalen im Bürgeramt womöglich hinter dem Ummeldeformular auch eines für Kalifateinforderung? Gibt es im Bundestag einen Kalifatsausschuss, der nur auf eine kalifatsauslösende Petition wartet?

Kitzelnde Übergriffigkeiten

Die krassen Kalifat-Krakeeler - nein Dobrindt, Sie haben kein ausschließliches Abo auf Alliterationen! - scheinen über Nacht deutlich gefährlicher zu sein als manch anderes. Gefährlicher etwa als diese Figuren, die den Reichstag erstürmen wollten und Knarren horten oder die Knallchargen auf der Remigrations-Konferenz oder etwa als eine AfD, deren beklagenswerten Spitzenpolitiker nicht wissen, an welche Diktatur sie das angeblich geliebte Vaterland noch nicht verkauft haben.

Mich hat das Kalifatforderungsverbot jedenfalls gekitzelt. Mich kitzeln solche staatlichen Übergriffigkeiten immer, weshalb ich damals, als junger, noch spritziger Mann besonders gern am Karfreitag tanzen ging, im "Tucholsky" in Kiel etwa, wo Studenten üblicherweise nach zwölf Tequilas auf dem Tanzboden-Siff zu "Killing in the Name" herum rempelten, nicht aber am Karfreitag, weil da wegen eines vor über 2000 Jahren gekreuzigten und später auferstandenen Zimmermanns aus Galiläa auf gottesstaatliche Anordnung biedere Tischchen mit Kerzenlicht standen und die Türsteher jeden nach draußen "begleiteten", der oder die zweimal hintereinander mit dem Fuß zur Musik wippte. "Was ist das für ein Scheiß-Gottesstaat hier?!", war etwas, das ich dann draußen eventuell in ein Polizeiauto gebrüllt haben könnte.

Die Zeiten ändern sich, ich bin nun gesetzt, um nicht zu sagen erloschen, ich tanze nur noch selten und wenn doch, dann nicht im Kieler "Tuch". Aber das Kitzeln ist eben noch nicht ganz weg. Und wenn ein Robert Habeck in gediegener Runde bei Markus Lanz leichthin meint, man dürfe nach geltendem Recht kein Kalifat einfordern, habe ich zwei Mitteilungen für ihn. Erstens: Lasst uns doch mal ein Kalifat probieren, so toll ist die Ampel nämlich nicht. Und zweitens, in den Worten des Frontmanns von "Rage Against the Machine", Zack de la Rocha: Fuck you, I won't do what you tell me!

Quelle: ntv.de

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