Wieduwilts Woche

Unpräzise Muffigkeit Merz ist zu alt

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Kalendersprüche oder Strategie? Die Bürger suchen den Korkenzieher.

Kalendersprüche oder Strategie? Die Bürger suchen den Korkenzieher.

(Foto: picture alliance/dpa)

Er war der Hoffnungsträger für eine konservative Wende und sollte die Rechtsextremen kleinhacken. Doch der Bundeskanzler scheitert - denn er und seine CDU schaffen es mental nicht in die Gegenwart.

Da sich der Wandkalender ausdünnt und die ersten traditionellen "Wintermarkt" vs. "Weihnachtsmarkt"-Debatten aufflammen, wir uns mental einrichten auf Terroranschläge und Lebkuchenkoma, lohnt es sich, über den anstehenden politischen Jahreswechsel nachzudenken. 2025 war nämlich, abgesehen von einer vorgezogenen Bundestagswahl, elektoral eher ruhig. Es war allerdings auch das Jahr, in dem die AfD in manchen Umfragen an der Union vorbeigezogen ist. Brrr, kalt!

Im Jahr 2026 wird es ernst: Dann wählt man in Deutschland Landesparlamente und Kreistage. In Sachsen-Anhalt droht ein Eisgewitter der besonderen Art, falls die AfD sich dort der absoluten Mehrheit nähert.

Das wären dramatische Nachrichten vor allem für Unionspolitiker, denn ihnen würde über Nacht der Debattenstoff ausgehen. Wenn das Haus komplett brennt, interessiert sich wirklich niemand mehr für eine Brandmauer.

Macht endlich was!

Die Gemütslage der Bürgerinnen und Bürger ist klar: Sie haben die Nase voll vom Zank, sie wollen, dass etwas in Sachen Migration und Innerer Sicherheit passiert, außerdem soll bitte jemand die deutsche Wirtschaft retten. Kurz: Macht endlich was!

Diese Erkenntnis wird sich auch nicht am Bundeskanzler vorbeigemogelt haben. Er hörte sich kürzlich ein Referat des "AfD-Psychologen" ("Bild") Stephan Grünewald an. Der zeigte ein empirisches Fundament für das, was man mit offenen Augen und Ohren auch als Normalkolumnist wahrnehmen kann.

Die AfD kanalisiere die "gestaute Bewegungsenergie" der Menschen, sagte Grünewald im Interview mit ntv.de. Sie sei der "Korkenzieher", den die Menschen sich für die festgefahrene Politik wünschen.

Kalendersprüche helfen nicht

Eigentlich hatte der Kanzler eine Strategie gegen die AfD verkünden wollen. Diese sei nun "Hauptgegner" heißt es. Man wolle nun ein "anderes Deutschlandbild" der "Miesmacherrhetorik" entgegensetzen. Das ist keine Strategie, das sind Kalendersprüche. Es ist nicht einmal neu, sondern das dürre Gepfeife, das die Union schon länger angestimmt hat - seit sie realisiert hat, dass sich die AfD nicht kaputt ignorieren lässt.

Die AfD steckt schon mitten im Wahlkampf, wie aktuell der "Spiegel" berichtet, denn sie hat Großes vor: Absolute Mehrheit und Schwung holen für die Bundestagswahl. Was machen Union und SPD? Sie debattieren in größter Innigkeit über Brandmauern und die "Stadtbild"-Äußerung des Bundeskanzlers.

In CDU und SPD flammen Richtungsstreitigkeiten auf: Ein paar SPD-Politiker haben einen eigenen 8-Punkte-Plan für das "Stadtbild"-Problem hervorgezaubert, manche, darunter auch der Vize-Kanzler, ermahnen den Kanzler wegen seines Tonfalls. Andere wollen derweil die Bürgergeldreform stoppen.

Vor dem Wahljahr gibt die AfD Gas - und die anderen wedeln mit Stopp-Schildern

In der CDU wiederum sammelt sich eine Gruppierung namens "Compass Mitte": Ihre Gründungserklärung hat sie zielsicher der gediegenen "Zeit" übergeben, es geht um Antifaschismus und Brandmauer auf allen Ebenen. Beiden Gruppierungen ist gemein: Sie wollen den Regierungskurs stoppen und beide reagieren auf Merz' katastrophale "Stadtbild"-Kommunikation. Während in der Koalition also die Stoppschilder hochgehen, fingert der Bürger wieder einmal nach dem Korkenzieher.

Dieses Debakel hat sich der Kanzler allerdings ein Stück weit selbst beschert. Merz hat mit dem "Stadtbild"-Spruch den richtigen Nerv getroffen, sich dabei aber ausgedrückt wie ein CDU-Mann in den Sechzigerjahren, der den Fünfzigern hinterhertrauert. Damit hat er die Linken beim Koalitionspartner und in der eigenen Partei auf die Zinne gejagt.

Man kann sich eine dänische SPD herbei- und die "Compass"-Truppe auf den Mars wünschen, aber ein Kanzler muss mit den Menschen arbeiten, die da sind. Das kann Merz nicht und er konnte es nie: Er denkt, er wäre allein zuständig. Merz sprach ohne Rücksicht auf Verluste von "Sozialtourismus", von Ausländern beim Zahnarzt, er riet Frauen vom Taxi ab, wenn der Fahrer Kufiya trägt, er mutmaßte, Polizisten könnten Schlepper und Migranten daran erkennen, dass "komische" Figuren "komische" Autos führen - und was der Kanzler über Frauen und Homosexuelle zu sagen hatte, ist sattsam bekannt.

Trotzformeln gegen geile Zeilen

Die unpräzise Muffigkeit seiner Kommunikation schwankte, aber weg war sie nie. Landauf und landab predigen Campaigner und Kommunikationsfachleute, es komme in Zeiten von Social Media und Populisten auch auf eine moderne, emotionale und zugewandte Kommunikation an. Doch davon ist wenig zu sehen.

Die "Stadtbild"-Debatte ist das (vorläufige!) Fanal einer unglücklichen, von "Basta"-Mentalität der ganz alten Schule geprägten Zoff-Chronik: Richterwahl, Rente, Wehrpflicht, Bürgergeld. Das System ist immer gleich: Auf einen bisweilen missglückten Vorstoß folgt interner Streit und die AfD kontert mit geilen Zeilen von der Seitenlinie. Als Merz etwa mit "Wir lassen uns unser Land nicht spalten" eine Trotzformel hervorbrachte, wie sie selbst für einen Bundespräsidenten zu farblos wäre, sagte die AfD dies: "Sie kämpfen gegen die AfD, wir kämpfen für Deutschland!" Bravo, so geht das, her mit dem Korkenzieher.

Ein Rob Jetten könnte uns retten

Gute Kommunikation ist aber kein Privileg von Rechtsextremen, das kann auch die Mitte: In den Niederlanden hat Rob Jetten von der Partei D66 gerade gezeigt, wie es geht. Er teilte auch hart gegen irreguläre Migranten aus, nannte sie gar "faule Äpfel". Aber er blieb dabei immerhin präzise - es war klar, dass er nicht jeden meinte, der fürs europäische Stadtbild vermeintlich zu ausländisch aussieht.

Er setzte auf "positiven Realismus", hatte mit "Het kan wé" einen geradezu obamaesken Slogan. Jetten beließ es aber nicht bei hohlen Appellen. Der Politikberater Juri Schnöller hat es auf LinkedIn so auf den Punkt gebracht: "Optimismus ist nur dann eine Strategie, wenn er mit harten, überprüfbaren Angeboten unterlegt ist. Jetten hat nicht 'gegen Wilders' gewonnen, sondern 'für Lösungen' - mit Message-Disziplin, hoher Reichweite, urbaner Basis und einer klaren Prioritätensetzung auf Wohnen, Migration und Bildung."

Allerdings ist Rob Jetten auch jünger. Und damit ist nicht das Lebensalter gemeint, sondern das Gegenwärtigsein im Jetzt. Er ist rhetorisch flink, brilliert in TV-Unterhaltungsformaten und will einen Hockeyspieler heiraten. Merz macht dagegen den Eindruck, als habe er sich seit seinen Anmerkungen über Frauen und Homosexuelle allenfalls in den Beginn des Millenniums hervorgearbeitet.

Die Parteien der Mitte sollten sich vor Augen halten: Wenn die AfD im Jahr 2026 eine absolute Mehrheit holt, liegt es auch an einer gegenwartsblinden Auswahl von Spitzenkandidaten. Es gab und gibt Alternativen - in der CDU wüs(s)t ich eine.

Quelle: ntv.de

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