"Collinas Erben" bedauern Gladbach hat auch noch Ärger mit der Regel
07.02.2022, 06:12 Uhr

Borussia Mönchengladbach kam gegen Bielefeld zu einem Unentschieden - und hätte sich ein bisschen mehr Hilfe vom Schiedsrichter gewünscht.
(Foto: imago images/Ulrich Hufnagel)
Die Gladbacher fordern in Bielefeld einen Handelfmeter, doch das Regelwerk sieht keinen vor, wenn bei einer Klärungsaktion der Arm eines Mitspielers unfreiwillig im Weg ist. In Köln gehen die Freiburger leer aus, weil einer ihrer Spieler sich nicht schnell genug aus dem Staub macht.
Die zweite Hälfte der Partie zwischen Arminia Bielefeld und Borussia Mönchengladbach (1:1) hätte beinahe mit dem vielzitierten Paukenschlag begonnen: Der Gladbacher Jonas Hofmann wurde nur wenige Sekunden nach dem Wiederanstoß glänzend in Szene gesetzt und befand sich dadurch frei vor Torhüter Stefan Ortega, er scheiterte jedoch am Keeper der Gastgeber. Von dessen linkem Knie prallte der Ball nach Hofmanns Schuss gegen den linken Arm seines zurückgeeilten Mitspielers Nathan de Medina, danach brachte Ortega die Kugel mit den Händen unter Kontrolle.
Die Gäste reklamierten vernehmlich bei Schiedsrichter Benjamin Cortus, sie plädierten dafür, dass das Handspiel als strafbar bewertet wird und es folgerichtig einen Elfmeter für sie gibt. Doch der Unparteiische, der weiterspielen lassen hatte, ließ sich nicht umstimmen, und Video-Assistent Günter Perl empfahl ihm auch kein On-Field-Review. Aber sprach die Tatsache, dass de Medinas Arm waagerecht vom Körper abgespreizt war, nicht dafür, das Handspiel zu ahnden, weil sich der Bielefelder auf diese Weise breiter gemacht hatte, um gegebenenfalls den Ball aufzuhalten?
Diese Frage berührt jene nach der Intention eines Spielers, der den Ball mit dem Arm oder der Hand berührt oder spielt: Was hatte er in der konkreten Situation vor? Das Kriterium der Absicht ist seit dieser Saison wieder wesentlich bei der Bewertung von Handspielen. Nicht immer lässt sich dabei mit Bestimmtheit sagen, was ein Spieler im Schilde führt. Aber wenn er etwa bei einer Flanke oder einem Torschuss des Gegners den Arm vom Körper abspreizt, ist das ein Indiz dafür, dass er den Ball aufhalten oder abwehren will - und dabei auch in Kauf nimmt, dass der Ball gegen diesen Arm fliegt.
Niemand will den Befreiungsschlag eines Mitspielers sabotieren
Bei einem Handspiel wie jenem von de Medina hingegen liegen die Dinge anders. In einem kurzen Lehrvideo ist der Schiedsrichter-Lehrwart des DFB, Lutz Wagner, vor der Saison unter anderem auf eine Szene aus der vergangenen Spielzeit eingegangen, in der der Leipziger Kapitän Willi Orban im Spiel gegen Eintracht Frankfurt den Ball aus dem eigenen Strafraum zu schlagen versucht. Das misslingt jedoch, weil sein in der Nähe postierter Mitspieler Tyler Adams die Kugel mit dem ausgefahrenen linken Arm aufhält. Ein derartiges Handspiel sei nicht strafbar, so Wagner.
Denn die Intention des Spielers in einer solchen Situation sei es nicht, den Ball durch eine Vergrößerung der Abwehrfläche aufzuhalten, wie das bei einer Flanke vor oder einem Schuss auf das eigene Tor der Fall sein könne. Vielmehr handle es sich um ein zufälliges und unbeabsichtigtes Handspiel. Eine schlüssige Einschätzung - denn warum sollte ein Spieler den Ball, den ein Mitspieler aus der Gefahrenzone befördern will, mit der Hand oder dem Arm aufhalten oder ablenken wollen? Das ergäbe im Normalfall keinen rechten Sinn, schließlich bliebe der Ball dann in der Nähe des eigenen Tores. Von der Gefahr, dass der Schiedsrichter auf Strafstoß entscheidet, ganz abgesehen.
Deshalb ist de Medinas Handspiel nicht strafbar
Die von Wagner analysierte Sequenz aus dem Spiel in Leipzig dient den Unparteiischen und den Video-Assistenten als Referenzszene bei der Bewertung ähnlicher Situationen. Und zu jener in Bielefeld passen die Ausführungen des Lehrwarts gut. De Medina war in unmittelbarer Nähe seines Torwarts, der Ball sprang von dessen Knie überraschend nach oben und gegen den Arm des Verteidigers, der kaum Reaktionszeit hatte. Dass er beabsichtigte, den von seinem Mitspieler abgewehrten Ball mit dem Arm aufzuhalten, ist so unwahrscheinlich, wie das in der Vergleichsszene bei Tyler Adams der Fall war.
Dass Schiedsrichter Cortus weiterspielen ließ und vom VAR kein Einwand kam, war deshalb richtig. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass de Medina seinen Arm in der Laufbewegung abgespreizt hatte, als er seinem zum Ball stürzenden Torwart Ortega auswich. Denn diese Armhaltung führt im Falle eines Handspiels nur dann zu einer Ahndung, wenn durch sie auf unnatürliche Weise der Körper verbreitert wird, um den Ball aufzuhalten. Wird dieses Ziel aus den erwähnten, naheliegenden Gründen nicht verfolgt, dann geschieht auch nichts Regelwidriges.
Schlotterbeck lässt Sallais Torerfolg ungültig werden
Im Spiel des 1. FC Köln gegen den SC Freiburg (1:0) konnten sich unterdessen die Gäste aus dem Breisgau nach 50 Minuten nur kurz freuen. Roland Sallai, zur Pause eingewechselt, traf beim Stand von 1:0 zwar ins Tor der Hausherren, und Schiedsrichter Felix Brych gab den Treffer zunächst. Doch dann schaltete sich VAR Pascal Müller ein. Denn er hatte bei der Überprüfung festgestellt, dass sich Nico Schlotterbeck bei Sallais Torschuss im Abseits und außerdem in der Sichtlinie des Kölner Torwarts Marvin Schwäbe zum Ball befunden hatte.
Zudem musste der Freiburger noch eine Ausweichbewegung unternehmen, um nicht vom Ball getroffen zu werden. Das waren gleich zwei Argumente dafür, dass die Abseitsstellung strafbar war, auch wenn Schlotterbeck den Ball nicht berührt hatte. Müller empfahl Referee Brych ein On-Field-Review, zu dem der Unparteiische seinen Assistenten Stefan Lupp mitnahm. Das hatten zuletzt mehrere Schiedsrichter getan, wenn es darum ging, im Review zu beurteilen, ob ein Spieler im Abseits einen Gegner beeinflusst hat. Da die Assistenten auf die Bewertung von Abseitssituationen spezialisiert sind, ist es auch sinnvoll, sie am Monitor zu Rate zu ziehen.
Torwart Schwäbe ist die Sicht versperrt
Felix Brych brauchte nicht lange, um zu entscheiden, dass Schlotterbecks Abseitsstellung strafbar war und das Tor deshalb annulliert werden muss. Die Freiburger wandten zwar ein, dass Schwäbe bereits in die falsche Torecke unterwegs war und den Ball nach Sallais Torschuss deshalb gewiss nicht gehalten hätte. Das ist in solchen Fällen allerdings nicht das maßgebliche Kriterium. Entscheidend ist vielmehr, ob der Spieler im Abseits beispielsweise dadurch, dass er aktiv wird oder einem Gegner die Sicht versperrt, dessen Möglichkeit beeinträchtigt, den Ball überhaupt zu spielen oder spielen zu können.
Das war bei Schlotterbeck der Fall: Im Moment des Schusses von Sallai verdeckte er Schwäbes Sicht zum Ball, sodass der Kölner Keeper eine geringere Reaktionszeit hatte. Hinzu kam die Ausweichbewegung des Freiburgers, die regeltechnisch eine Form von Aktivität in Ballnähe war und damit ebenfalls die Möglichkeit des Torhüters, den Ball irgendwie zu erreichen, beeinträchtigte. Somit war die Intervention des Video-Assistenten berechtigt und die Entscheidung, das Tor abzuerkennen, korrekt. Auch wenn das den Gästen natürlich nicht schmeckte.
Quelle: ntv.de