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Erfolgsmodell wird 50 Wolfsburg beschwört ein neues Golf-Wunder

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Zeitweise wurden in Wolfsburg 3000 Golf am Tag gebaut, es gab fünf Montagelinien und drei Schichten. Heute sind es vier Linien und nur noch zwei Schichten und gebaut werden 1200 Golf-Autos pro Tag.

Zeitweise wurden in Wolfsburg 3000 Golf am Tag gebaut, es gab fünf Montagelinien und drei Schichten. Heute sind es vier Linien und nur noch zwei Schichten und gebaut werden 1200 Golf-Autos pro Tag.

(Foto: picture alliance / Klaus Rose)

Der Golf ist das wichtigste Auto von Volkswagen. Das gilt auch heute noch, 50 Jahre nach seiner Premiere. Angesichts dieses Erfolgs fällt die Jubiläumsfeier vergleichsweise bescheiden aus.

Wolfsburg lebt vom Golf, so sehr, dass sie es vor ein paar Jahren mal kurzzeitig in Golfsburg umbenannt haben. Jetzt feiert das wichtigste Produkt des größten Autoherstellers in Deutschland Jubiläum. Das würde sicherlich eine richtig große Sause vertragen, wenn nicht das ganze Unternehmen Volkswagen im Augenblick mit einer ungewohnten Unsicherheit auf sich selbst und seine Zukunft blicken würde. So hat es gerade noch zu einem eher kleinen und merkwürdig bescheidenen Fest am Montagabend gereicht.

Auf seine Weise passte der Termin zu dem viel größeren am Dienstag, an dem Tausende Mitarbeiter zur Betriebsversammlung ins Werk gerufen wurden. In Halle 11 sprach Personalvorstand Gunnar Kilian laut Anwesenden über die laufenden Bemühungen, den Stammsitz des Konzerns zu verkleinern - und nicht nur den. Es ging um den Erfolg der laufenden Abfindungs- und Altersteilzeitprogramme. Drei Viertel der möglichen Mitarbeitenden haben demzufolge bis Ende Mai eingewilligt, über Altersteilzeit auszuscheiden. Von der vorgesehenen Abfindungssumme sei schon mehr als die Hälfte verteilt, so Kilian. Golfsburg wird schrumpfen, das ist gewiss.

Die Feierstunde am Vorabend findet im sogenannten Tryout statt, einer recht kleinen weiß getünchten Halle, in der normalerweise Vorserienfahrzeuge geprüft werden. Jetzt ist hier gerade Platz für eine schlichte Bühne, acht Golfmodelle und etwas mehr als 100 Gäste. Es ist ein schmuckloser Rahmen. "Der Golf ist in einer Zeit entstanden, wo VW vor großen Herausforderungen stand, so wie heute", gibt der Moderator die Linie des Abends vor. Später spielt das VW-Orchester, einst gegründet, "um das geistige Leben der Belegschaft zu fördern", ein eigens komponiertes Lied, das die Melodie dieses seltsamen Jubiläums unterstreicht. "Risiko, ja das musste sein - die Zukunft steht auf dem Spiel", singt der Impresario darin, reimt "Volkswagen Golf" auf "Welterfolg" und schließt mit dem Refrain "Volkswagen Golf - ist der Beste".

Daniela Cavallo, die einflussreiche Betriebsratschefin, erinnert daran, "wie das Auto für die Menschen in Wolfsburg Arbeit gebracht hat" und ergänzt: "Wie gehts weiter mit genug Beschäftigung? Das sind genau die Fragestellungen, mit denen wir uns heute beschäftigen."

VW ächzt unter der Transformation

Dabei ist der Golf selbst gar nicht so sichtbar in der Krise. Die Nachfrage nach dem Verbrenner-Auto ist nach wie vor hoch, wenn auch nicht mehr ganz so hoch wie noch zu Zeiten des Vorvorgängers. Voriges Jahr haben sie nach viel Hin und Her und mit großem Aufwand eine Produktionslinie in Wolfsburg für den Bau von Elektroautos umgerüstet, ein paar Fahrzeuge vom Typ ID.3 zur Probe gefertigt, nur um dann doch wieder zu entscheiden, dass das hier vorerst ein reines Verbrenner-Werk bleibt. Der Vorgang zeigt das Chaos und die Schwierigkeiten, in die der Autobauer bei der Umstellung auf E-Antriebe geworfen wird. Jetzt bestellen die Kunden wieder mehr Verbrenner.

Dennoch ist weniger los am Band. Es gab Zeiten, da wurden hier 3000 Stück am Tag gebaut, es gab fünf Montagelinien und drei Schichten. Heute sind es vier Linien und nur noch zwei Schichten und gebaut werden 1200 Golf-Autos pro Tag. Es könnten auch 1500 sein, aber das verhindern Lieferprobleme von Teilefertigern - ein Umstand, der für zusätzlich Stress und Unsicherheit sorgt. Passend dazu ist am Tag der Geburtstagsfeier auch noch die 500 ausgefallen, die größte und modernste der riesigen Karosseriepressen im Presswerk. Daher herrscht ungewohnte Stille in der 80.000 Quadratmeter großen Halle. Zwar haben sie drüben im Karosseriebau noch genug gepresste Bleche auf Lager, um nicht vollends nervös zu werden. Aber nur ein Werk, das brummt, vibriert und Autos ausspuckt, beruhigt die Nerven des Autoproduzenten richtig.

Der ID.3, der jetzt hier doch nicht gebaut wird, sollte mal der Nachfolger des Golf werden. Eine neue Tradition starten, für das neue, elektrische Zeitalter, genauso stark wie die Tradition des Golf, die man mit dem Ende des Verbrenners langsam auslaufen lassen wollte. So sah es der Plan des vormaligen Konzernchefs Herbert Diess vor, woran Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil erinnert. Weil ist nicht nur als Landesvater da, sondern auch als Aufsichtsrat und Großaktionär des Konzerns. In dieser Rolle hat er vor zwei Jahren mitgeholfen, Diess damals - nicht nur seiner Golf-Pläne wegen - hinauszukomplimentieren.

"Da gab es diese Diskussionen", sagt Weil über den Golf, "den geben wir in die Hall of Fame und dann macht er anderen Platz". Der Ministerpräsident schüttelt sich. Jetzt ist Oliver Blume Konzernchef (der aber beim Jubiläum fehlt), der zwar elektrische Autos mag, aber nicht solche, die anders aussehen und anders heißen als die Verbrenner und folglich auch den ID.3 nicht so sehr. "Ich bin Oliver Blume und seinem Team ausgesprochen dankbar, dass er diese Diskussion beendet hat."

Nicola Benenati würde gerne weiterarbeiten

Interessanterweise ist Weil der Einzige, der etwas ausführlicher über die Zukunft des Golf spricht. Die Vergangenheit, der große Mythos mit Golf-Klasse, Generation Golf, Golf-Philosophie (das klassenlose Auto für die ehrlich arbeitenden Menschen), all das scheint einfach zu mächtig. Zu mächtig, zumal gegenüber einer Auto-Zukunft, die derzeit noch unsicherer aussieht, als die Zukunft ohnehin ist.

"Der Golf muss bleiben", ruft immerhin Thomas Schäfer, Konzernvorstand und Chef der Marke VW, er spricht über etwas, das Sicherheit geben soll. "Kannst ja nicht so'ne Marke aufgeben, wie den Golf", sagt Schäfer mit indirektem Bezug auf die Pläne von Herbert Diess. Und dann geht es doch noch ein bisschen um den elektrischen Golf der Zukunft, der auf der völlig neuen Fahrzeugarchitektur des Konzerns aufgebaut werden soll. Sie trägt den Namen SSP und soll Wunderdinge vollbringen, aber ihr Start musste mehrfach verschoben werden. Jetzt soll es 2028 losgehen, wie Schäfer versicherte. Das ist die überwölbende Botschaft dieser Tage im VW-Konzern, langsam, Stück für Stück, kriegen sie das Chaos in den Griff.

Der Konzern hat bewusst einige Arbeiter in die Ränge und auf die Bühne geholt, dieses Jubiläum, wollen sie sagen, ist das Verdienst der fleißigen Autowerker, die hier (wenngleich sehr ordentlich entlohnt) alles mitmachen müssen und die immer wieder in Unsicherheit gestürzt werden. Einer von ihnen ist Nicola Benenati. Er ist 1980 aus Sizilien nach Wolfsburg gekommen, hat Bleche für den Golf 1 lackiert, Lenkstöcke im Golf 2 montiert, später Türfangmatten, sich zum Elektriker fortgebildet und immer weitergemacht. Beim Golf 4, erzählt er, da war noch richtig was los im Werk. Am Tag nach der Betriebsversammlung hört er auf, mit 63 schon. "Ich wollte länger bleiben", ruft er. Aber so ist das heute bei VW, wenn nicht genügend gehen, dann wird alles noch schlimmer.

Dieser Text erschien zuerst bei "Capital".

Quelle: ntv.de

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