Krieg lockt in die USA Anleger ziehen Milliarden aus europäischen Aktien ab
13.09.2022, 18:01 Uhr
Anders als in anderen Krisen bleibt das Geld an den Aktienmärkten und wird nur umgeschichtet.
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Investoren schichten 83 Milliarden Dollar aus europäischen Aktienfonds in die USA um. Dort scheint das Vermögen aufgrund des Ukraine-Kriegs und seiner Folgen sicherer angelegt. Ein schlechtes Zeichen für die hiesige Wirtschaft.
Geldmanager sehen die wirtschaftliche Entwicklung in Europa offenbar düster. 83 Milliarden Dollar zogen Investoren in den vergangenen sechs Monaten aus europäischen Aktienfonds ab, wie der Finanznachrichtendienst Bloomberg unter Berufung auf die Deutsche Bank berichtet. Die Abflüsse sind demnach die größten seit mindestens 15 Jahren. Zu den Abwanderern zählen etwa die Vermögensverwalter Blackrock und Amundi.
Die Milliarden fließen nicht in andere Anlageformen, wie Stefan Riße, Kapitalmarktstratege des Vermögensverwalters Acatis, im Gespräch mit ntv.de erklärt. "Weltweit sind unter dem Strich keine Mittel aus Aktienfonds abgeflossen." Das ist in Krisen normalerweise anders und auch der Unterschied zum letzten Mal, als ähnlich viel Geld aus Europa abgezogen wurde, im ersten Halbjahr 2019. Aktuell lassen die Investoren wegen der hohen Inflationsraten das Geld in Aktien, schichten aber um - in die USA. "In der aktuellen Gemengelage sind die USA mehr denn je der am sichersten erscheinende Markt mit den geringsten Risiken", sagt Riße.
Denn in Europa ist der Ukraine-Krieg deutlich näher. "Wenn zum Beispiel in der Ukraine ein Atomkraftwerk havariert, zieht die Atomwolke zu uns", so Riße. Zu Kriegsbeginn drohte dem Westen sogar, in den Krieg hineingezogen zu werden. Inzwischen steckt Europa, insbesondere Deutschland, in einer Energiekrise. In der Folge sind die Preise massiv gestiegen. Die USA hingegen sind nicht von russischer Energie abhängig und viel weniger stark vom Energiepreis-Anstieg betroffen. Da erscheint die Investition in amerikanische Unternehmen deutlich attraktiver. "Deren Aktien sind zwar teurer, die US-Konzerne wachsen aber deutlich schneller und sind profitabler", erläutert der Kapitalmarktstratege.
China ist keine Alternative
Vor allem die großen IT-Unternehmen sitzen in den USA. "Der Wachstumsvorsprung der Amerikaner wird weiter steigen", prognostiziert Riße. China etwa sei keine Alternative für Investoren: wegen der politischen Unsicherheiten, der starken Regulierung und nun auch noch des Taiwan-Konflikts, selbst wenn der Kapitalmarktstratege nicht mit einem militärischen Angriff Chinas rechnet. Deutschland sei wegen seiner extremen Abhängigkeit von China unattraktiv für Anleger.
Für den DAX geht es aktuell zwar aufwärts, in den vergangenen sechs Monaten hat er allerdings fast sechs Prozent verloren. "Die US-Börsen entwickeln sich deutlich besser", stellt Riße klar. Zwar verlieren die Tech-Werte zurzeit stark, unter anderem wegen der Zinserhöhung in den USA. "Aber der Einfluss der Zinsen auf diese Unternehmen ist geringer, als der Markt dies derzeit einpreist", sagt Riße. "So haben die Tech-Riesen netto betrachtet eine geringe Verschuldung oder sitzen sogar auf Cash." Auch die Zinserhöhung der Europäischen Zentralbank wird unterdessen zur Belastung, wenn auch nicht so stark wie in den USA. Darüber hinaus belasten der schwächelnde Euro und etwa die Finanzierung geplanter Energiepreisdeckel.
"2022 hätte der Beginn 'europäischer Jahre' sein können", sagt der Kapitalmarktstratege. "Aber der Krieg hat einen Strich durch die Rechnung gemacht." Nun droht eine schwere Rezession. Ein Gasmangel oder allein die hohen Preise könnten zu Produktionsstillständen führen. Letztere würden wiederum wegen der folgenden Lieferengpässe auch andere Branchen treffen. Manche Unternehmen werden sogar pleitegehen. Zusätzlich zu den Kriegsfolgen kommt laut Riße erschwerend hinzu, dass in Italien Rechtspopulisten an die Regierung kommen könnten.
"Die Unsicherheit bleibt groß"
Auch Citigroup-Strategen erwarten laut Bloomberg in den kommenden Monaten eine ganze Reihe von Herabstufungen, Morgan Stanley warnt vor dem stärksten Rückgang der Gewinnmargen seit mehr als zehn Jahren. Riße sagt: "Jetzt muss man sich den Kriegsverlauf weiter anschauen, die Unsicherheit bleibt groß." Eine der großen Fragen ist, wie sich die Energiemärkte weiter entwickeln werden.
In Bezug auf den Ukraine-Krieg zeigt sich Europa in den Augen des Kapitalmarktstrategen ausnahmsweise "wohltuend geeint". Eine solche Einigkeit sei dringend auch in anderen Bereichen geboten. "Sonst sind wir nicht gewappnet für den internationalen Wettbewerb, die großen Herausforderungen wie etwa Chinas neue Seidenstraße."
Längerfristig sei ein funktionierender Kapitalmarkt auch wichtig für die Finanzierung europäischer Unternehmen. Sonst könnte langfristig ein weiteres Problem für die wirtschaftliche Entwicklung Europas hinzukommen.
Quelle: ntv.de