Auf Verkaufssignal gewartet Börseneinbruch schockt die Profis nicht
15.06.2020, 16:08 Uhr
Wer nach massiven Kursanstiegen bei einem insolventen Autovermieter eingestiegen, hat in den vergangenen Tagen möglicherweise viel Geld verloren. Die meisten Anleger aber eher nicht
(Foto: REUTERS)
Waren die Anleger alle verrückt geworden, die Kurse mitten in der Corona-Krise auf neue Höchststände zu treiben? Nein, nur eine Minderheit unter ihnen. Die meisten hatten den Hype gar nicht mitgemacht und können nun bei der Korrektur ganz entspannt zuschauen.
Wie kann es sein, dass die Börsen weltweit jetzt von einem neuen Börsen-Crash heimgesucht werden? War den Investoren nicht längst klar, dass die rasanten Kursanstiege der vergangenen Monate angesichts der sich immer weiter vertiefenden Wirtschaftskrise nicht nachhaltig sein konnten? Die Zeichen einer irrationalen Börseneuphorie waren ja unübersehbar. Etwa als Anleger ein Auto-Startup, das noch nie auch nur ein einziges Fahrzeug verkauft hatte, höher bewerteten als etablierte Massenproduzenten wie Ford, oder als der Kurs des insolventen Autovermieters Hertz innerhalb weniger Tage um mehr als das Sechsfache stieg.
Während Ökonomen, Wirtschaftsverbände und Unternehmen nahezu täglich ihre Prognosen zu den Auswirkungen der Corona-Krise weiter nach unten schraubten, ging es an der Börse immer weiter nach oben - bis vergangenen Mittwoch. Zu diesem Zeitpunkt hatten die internationalen Leitindizes ihre Verluste aus dem Crash zu Beginn der Krise im Februar und März nahezu wettgemacht, die US-Technologie-Index Nasdaq 100 stellte sogar ein neues Allzeithoch auf. Erst vergangene Woche reagierten die Aktienkurse, nachdem Jerome Powell, der Chef der US-Notenbank, das Gleiche gesagt hatte wie Hunderte Ökonomen vor ihm auch: Die Konjunktur wird heftig einbrechen und lange brauchen, um sich zu erholen.
Bei genauerem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass die Mehrheit, vor allem die professionellen Anleger bei der absurden Krisenrally gar nicht mitgemacht hatte. Sie hatten nach dem Börseneinbruch zu Krisenbeginn lediglich den Panikmodus verlassen, blieben aber trotz der Kursanstiege skeptisch oder "risk on", wie es im Börsensprech heißt. Das lässt sich in Zahlen ablesen: Im März zur Zeit des großen Crashs, als der Dax zeitweise auf 8255 Punkte, das heißt um etwa 40 Prozent im Vergleich zum vorherigen Höchststand abstürzte, wurden an der Frankfurter Börse etwa doppelt so viele Dax-Aktien gehandelt wie im Mai, als der Leitindex immer weiter nach oben kletterte. Ähnlich sah es an den anderen internationalen Börsen aus. Das zeigt, welche Bewegung des Aufs und Abs die meisten Anleger für die nachhaltigere halten.
Auf die Höchststände zurückgetrieben wurden die Kurse von einer Minderheit von Enthusiasten. Das Gros der Anleger dagegen, vor allem der professionellen, traute der Rally schon lange vor der jüngsten Korrektur nicht und hielt sich abseits. Während die langfristig orientierten Investoren unter ihnen den Hype schlicht ignorierten, warteten andere nur auf einen Startschuss, um Luft aus der Blase zu lassen und Kasse zu machen. Diesen Zeitpunkt halten manche jetzt für gekommen.
Quelle: ntv.de