Wirtschaft

Brisante Verbindungen Bundeswehr vergibt Millionenauftrag an Firma von Marsalek-Geschäftspartner

Das Phantom des Wirecard-Prozesses: Jan Marsalek ist bis heute auf der Flucht.

Das Phantom des Wirecard-Prozesses: Jan Marsalek ist bis heute auf der Flucht.

(Foto: picture alliance / SvenSimon)

Eine Software soll der Bundeswehr helfen, Bedrohungsszenarien für die Zukunft zu analysieren. Den Zuschlag dafür erhält in diesem Sommer eine kleine Firma. Hinter dem Unternehmen stehen Personen, die bei einem Auftrag im Sicherheitsbereich aufmerken lassen: frühere Geschäftspartner von Jan Marsalek.

Es gibt wohl nicht viele Leute, die jemals von der Firma 4strat gehört haben. Das IT-Startup wurde 2016 in Berlin gegründet, indirekt beteiligt war damals auch ein Sohn eines Generals, der im Verteidigungsministerium für IT-Themen verantwortlich war. Einer der Geschäftsführer bis heute: ein früherer Zeitsoldat aus dem Planungsamt der Bundeswehr.

Im Sommer 2022 erhielt 4strat einen sensiblen Millionenauftrag - für ein IT-Projekt im Planungsamt der Bundeswehr. Dabei zeichnet sich die kleine Firma nicht nur durch eine gewisse Nähe zur Truppe aus. Hinter dem Unternehmen stehen seit seiner Gründung Personen, die bei einem Auftrag im Sicherheitsbereich aufmerken lassen: frühere Geschäftspartner von Jan Marsalek, die mit dem heute flüchtigen Ex-Wirecard-Manager unter anderem auch Projekte in Russland verfolgten.

Die brisanten Verbindungen und der Auftrag gehen aus Dokumenten aus dem Vergabeverfahren und internen Wirecard-Unterlagen hervor, die dem Wirtschaftsmagazin "Capital" vorliegen. Demnach erhielt 4strat im Juli 2022 den Zuschlag für ein Projekt namens "Future Analysis Cooperation System" (FACT). Auf Nachfrage bestätigte das Verteidigungsministerium den Auftrag.

Bei dem Projekt FACT geht es um eine IT-Plattform zur Zukunftsanalyse. Die Software soll dabei helfen, zukünftige Bedrohungsszenarien zu analysieren, um daraus langfristige Strategien für die Aufstellung der Truppe abzuleiten. Sie wird bereits im Planungsamt der Bundeswehr eingesetzt - laut Verteidigungsministerium "ohne Beanstandungen". Für das Projekt FACT hat das Ministerium bis 2032 knapp 10 Millionen Euro eingeplant. Wie viel davon an Softwarelieferant 4strat geht, will es nicht preisgeben - Geschäftsgeheimnis.

Mehrere Jahre im Austausch mit Marsalek

Nach Recherchen von "Capital" spielen bei der Berliner Firma seit ihrer Gründung 2016 Österreicher eine Rolle, die über Jahre Geschäftskontakte mit dem heute von Interpol gesuchten Marsalek pflegten - und die auch schon im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages ein Thema waren. Gesellschafter von 4strat ist aktuell die IT-Firma RISE aus Schwechat bei Wien. Deren Eigentümer stand über mehrere Jahre im Austausch mit Marsalek und reiste 2016 auch zu einem gemeinsamen Geschäftstermin nach Russland, wo Wirecard ein Zahlungsprojekt für den ÖPNV in Sankt Petersburg an Land ziehen wollte. Zudem legte der RISE-Chef Marsalek einmal ein Konzept zur elektronischen Kontrolle von Flüchtlingsbewegungen vor, unter anderem mit Blick auf Libyen.

Bis Anfang 2022 Miteigentümer beim heutigen Bundeswehr-Dienstleister 4strat war zudem ein österreichischer Unternehmensberater. Dieser diente Marsalek mit seiner damaligen Firma Repuco über Jahre als Berater für Themen mit Bezug zu Russland. Zudem war der Ex-Beamte aus dem Wiener Innenministerium auch an Marsaleks Plänen in den Jahren 2017 und 2018 beteiligt, eine Privatarmee für Libyen aufzustellen, um Flüchtlingsströme Richtung Mittelmeer und nach Europa zu kontrollieren.

In einem Vertragsentwurf für einen üppig dotierten Auftrag aus dem Frühjahr 2019, bei dem es offiziell um ein Social-Media-Monitoring für Wirecard ging, benannte der Repuco-Berater die Firma 4strat als einen "Subkontraktor". Der Vertragsentwurf liegt "Capital" vor. Ein hoher Militär aus dem Verteidigungsministerium in Österreich, der ebenfalls zu Marsaleks Netzwerk zählte, war nach eigenen Angaben "maßgeblich" an der Entwicklung und Implementierung der 4strat-Software "Foresight Strategy Cockpit" beteiligt. Dabei handelt es sich um die Software, die auch von der Bundeswehr genutzt wird.

"Das Verteidigungsministerium hat sich viele Jahre engagiert, damit eine Firma aus dem Umfeld von Marsalek einen IT-Auftrag bekommt", kritisierte der ehemalige Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi, der schon im Januar 2022 öffentlich auf die Verbindung von 4strat zu Personen aus dem Wirecard-Skandal aufmerksam gemacht hatte. Er verwies auf den Fall der Cybersecurity-Firma Virtual Solution, die die mobile Kommunikation zahlreicher Bundesministerien sichert - und deren langjähriger Eigentümer bis kurz vor der Wirecard-Pleite in Kontakt mit Marsalek und dessen engstem Umfeld stand.

Fragen zu Vertragsdetails, Kunden und Mitarbeiterzahl bleiben offen

Nach Berichten über diese Verbindungen wurde Virtual Solution im Februar 2022 verkauft. Mit dem Bundeswehr-Zuschlag für 4strat sei ein weiterer Auftrag im Sicherheitsbereich an das geschäftliche Umfeld des Wirecard-Managers gegeben worden, sagte De Masi. "Leider drängt sich damit der Verdacht auf, dass unsere Sicherheitsbehörden mit dem von Interpol gesuchten Marsalek enger vertraut waren."

Auf Anfrage von "Capital" erklärte das Bundesverteidigungsministerium: Dem Ministerium seien keine Anhaltspunkte bekannt, die "die Zuverlässigkeit der Firma 4strat als Auftragnehmer der Bundeswehr infrage stellen würden". 4strat habe im Vergabeverfahren alle Teilnahmeanforderungen "zweifelsfrei" erfüllt und die nötigen Referenzen vorgelegt, teilte ein Sprecher von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht mit. Er betonte, dass weder die Firma RISE noch die Firma Repuco Vertragspartner der Bundeswehr seien. Die Durchführung des Auftrags "erfolgt derzeit ohne Beanstandungen". Kurz vor Beginn des Vergabeverfahrens im Januar 2022 war Repuco als Gesellschafter von 4strat ausgeschieden, alleiniger Eigentümer ist seitdem das Unternehmen RISE.

Ein Sprecher von 4strat erklärte auf Anfrage, dem Unternehmen sei bewusst, dass es "aufgrund seines Geschäftsschwerpunkts einem besonderen Augenmerk von Wettbewerbern und der Öffentlichkeit ausgesetzt ist". 4strat stehe "für verlässliche, kompetente und umfassende Unterstützung seiner Kunden". Zu Fragen zu Vertragsdetails, Kunden und Mitarbeiterzahl wollte sich der Sprecher nicht äußern. Offenbar handelt es sich bei 4strat um eine Minifirma mit wenigen Mitarbeitern: Die letzte Bilanz, die sich im Bundesanzeiger finden lässt, bezieht sich auf das Gründungsjahr 2016.

"Wirecard war damals ein wirtschaftsgeprüftes Unternehmen"

RISE bestritt auf Anfrage eigene Verbindungen nach Russland. "Es gab und gibt keine Kontrakte mit russischen Unternehmen", erklärte eine Sprecherin. Für das Projekt in Sankt Petersburg habe Wirecard "Beratung für ein Konzept zugekauft". Im Laufe der Zulieferfunktion für Wirecard habe sich der RISE-Chef mit Marsalek "einige wenige Male geschäftlich ausgetauscht", stets im Kontext von Wirecard.

"Wirecard war damals ein wirtschaftsgeprüftes und angesehenes Unternehmen", betonte die RISE-Sprecherin. Der hohe österreichische Militär aus dem Marsalek-Netzwerk sei "einer der vielen Nutzer" der 4strat-Software, er mache "wie viele Spezialisten" Vorschläge zur Weiterentwicklung des Produkts, sei aber an der Entwicklung und Implementierung nicht beteiligt gewesen. Der Anwalt des Repuco-Beraters ließ Fragen unbeantwortet.

Auch das Vergabeverfahren für das Projekt FACT weist einige Auffälligkeiten auf. Bereits Ende 2019 hatte das Beschaffungsamt der Bundeswehr einen ersten Zuschlag an die Firma 4strat vergeben. Nachdem ein Mitbewerber namens Itonics juristisch gegen die Entscheidung vorgegangen war, da er in den Ausschreibungskriterien eine Vorfestlegung zugunsten von 4strat sah, stoppte es das Verfahren aufgrund von formalen Mängeln. Anfang 2022 schrieb das Amt den Auftrag dann erneut aus. Erneut kam 4strat zum Zuge.

Das Wehrressort und Auftragnehmer 4strat verteidigen die Auftragsvergabe auf Anfrage von "Capital" unter Verweis auf ein Nachprüfungsverfahren beim Bundeskartellamt, das die Firma Itonics beantragt hatte. Allerdings hatte der 4strat-Konkurrent seinen Antrag nach einer Anhörung aus formalen Gründen zurückgezogen - auch um "der Auftragsvergabe für ein Instrument der nationalen Sicherheit in schwierigen Zeiten nicht im Wege stehen", wie die Firma schrieb. Wenig später schloss die Bundeswehr den Vertrag für FACT. Die obligatorische Bekanntmachung für den Auftrag ist allerdings bis heute öffentlich nicht auffindbar.

Dieser Artikel ist zuerst bei Capital.de erschienen.

Quelle: ntv.de

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