Experte zur Aktienrally "Die Entwicklung des DAX bereitet mir Kopfschmerzen"
19.04.2023, 13:02 Uhr Artikel anhören
Die schlimmsten Krisenszenarien für die deutsche Wirtschaft sind ausgeblieben. Aber reicht das, um einen solch steilen Anstieg des DAX zu rechtfertigen?
(Foto: picture alliance/dpa)
Seit seinem Tiefpunkt bei knapp 12.000 im vergangenen Herbst ist der DAX um mehr als 30 Prozent gestiegen - zu hoch angesichts der mauen Wirtschaftsentwicklung? Ein neues Allzeithoch ist in greifbarer Nähe. Thomas Metzger vom Bankhaus Bauer hält diese Entwicklung trotz aller Krisen für gerechtfertigt. Allerdings warnt er im ntv.de-Interview, dass es bald "ruckeln dürfte im Markt".
ntv.de: Der DAX notiert trotz mauer Konjunktur, Inflation, Bankenzusammenbrüchen und hohen Energiepreisen nur einen Hauch unter seinem Allzeithoch. Was macht die Anleger so optimistisch?
Thomas Metzger: Diese Entwicklung des DAX ist wirklich sehr ordentlich. So ordentlich, dass sie mir schon leichte Kopfschmerzen bereitet. Nicht, dass die Aufwärtsbewegung der vergangenen Monate ungerechtfertigt wäre. Die konjunkturelle Lage ist ja nicht schlecht, vor allem im Vergleich zu den Krisenszenarien, die im Herbst im Raum standen. Das Energie-Armageddon ist ausgeblieben, ebenso wie eine tiefe Rezession, die Inflation geht zurück. Die Weltkonjunktur hellt sich auf. Aber: So ganz rosig ist die Lage nun auch nicht, und wir haben nun auch schon eine erhebliche Aufwärtsbewegung gesehen. Die Fallhöhe für den DAX ist wieder größer geworden.
Die schlimmsten befürchteten Krisenszenarien sind ausgeblieben. Aber reicht das, um einen solch steilen Anstieg des Leitindex zu rechtfertigen? Inwieweit gibt die deutsche Konjunktur die Entwicklung für den DAX vor?

Thomas Metzger leitet die Vermögensverwaltung der Bankhaus Bauer AG. Zuvor war er im Portfoliomanagement, im Wertpapierhandel und im Aktien-Research der Privatbank sowie für mehrere Banken in den USA tätig. Seit 15 Jahren unterrichtet er an Hochschulen die Themen Portfoliomanagement und derivative Finanzinstrumente.
(Foto: Metzger)
Generell ist die Situation von Konzernen nicht unbedingt gleichzusetzen mit der des Landes, in dem sie ihren Sitz haben. Mehr noch als für andere Länder gilt das für Deutschland und die im DAX stark vertretene Exportwirtschaft. Beispielsweise für die deutschen Autokonzerne ist die Weltkonjunktur und vor allem die Entwicklung in China entscheidend. Und dort zeichnet sich ein stärkeres Wachstum ab als hierzulande. Der DAX profitiert zumindest psychologisch jetzt auch davon, dass Deutschland im vergangenen Jahr im Zentrum der Energiekrise stand. Da haben viele Anleger deutsche Aktien gemieden. Im internationalen Vergleich waren sie stark unterbewertet. Als die Krise dann weitgehend ausblieb, hatte der DAX vergleichsweise viel Spielraum für steigende Kurse und konnte sich in den vergangenen Monaten besser entwickeln als internationale Vergleichsindizes, etwa der japanische Nikkei oder auch der Dow Jones in den USA. Das ist ja eher ungewöhnlich, hatten doch in den letzten Jahren oft amerikanische Werte die Nase vorn.
Die Entwicklung ist nicht in allen Sektoren und Branchen gleich. Welche Werte profitierten besonders von der Rally der vergangenen Monate, welche weniger?
Profitiert haben generell Wachstumswerte, die im Zuge der Zinswende im vergangenen Jahr stark abgestraft worden waren und entsprechend großes Erholungspotenzial hatten. In dem Maße, in dem vor allem in den USA ein Ende der Zinserhöhungen abzusehen war oder sogar über Zinssenkungen spekuliert wurde, wurden die Anleger wieder risikofreudiger. Das betrifft vor allem Technologie-Aktien. Weniger gut liefen dagegen etwa Energiewerte, die im vergangenen Jahr von der Krise und den explodierenden Preisen profitiert hatten. Auch Banken liefen zuletzt nicht so gut. Die wurden durch den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank und der Credit Suisse im letzten Monat zurückgeworfen.
Die Fallhöhe des DAX ist bereits hoch, wie Sie sagen. Kann es denn noch weiter nach oben gehen?
Für den DAX könnte es noch etwas weiter nach oben gehen, weil wohl noch einige Anleger, die die jüngsten Kursgewinne verpasst haben, dem Markt hinterherlaufen. Das könnte durchaus für ein neues Allzeithoch in den kommenden Wochen reichen. Danach dürfte es allerdings erstmal etwas ruckeln im Markt, bevor der Weg für weitere Gewinne frei ist.
Warum erwarten Sie Turbulenzen?
Ein entscheidender Treiber für die Aktienkurse weltweit derzeit ist die erwartete Entwicklung der Leitzinsen. Da die Inflation in den USA und Europa wohl ihren Höhepunkt überschritten hat, müssen die Notenbanken die Zinsen langsamer erhöhen, als zeitweise befürchtet worden war. Einige Marktteilnehmer gehen inzwischen von einem baldigen Ende der Zinserhöhungen aus, in den USA erwarten manche sogar im Laufe dieses Jahres mehrere Zinssenkungen. Ich sehe aber nicht, dass die Inflation stark genug zurückgeht, um die Fed oder die EZB von ihrer strikteren Geldpolitik abzubringen. Ich denke auch nicht, dass sich eine Bankenkrise oder ein genereller starker wirtschaftlicher Abschwung abzeichnet, was die Notenbanken zu Zinssenkungen zwingen könnte. In den kommenden Monaten werden wohl manche Marktteilnehmer ihre Erwartungen an die Zinsentwicklungen und damit auch ihre Bewertung des Aktienmarktes anpassen müssen. Wenn das passiert ist - wahrscheinlich im Laufe des Sommers -, dann sehe ich auch weiteres Aufwärtspotenzial für den Aktienmarkt.
Sehen Sie noch andere Risiken für den DAX?
Die Zinsentwicklung steht derzeit klar im Fokus der Anleger. Ich gehe davon aus, dass die Inflation im Laufe dieses Jahres auf etwa fünf Prozent zurückgeht. Es ist aber nicht auszuschließen, dass die Energiepreise wieder anziehen oder die Lieferketten erneut gestört werden und die Inflation wieder steigt. Dann könnten die Notenbanken die Zinsen noch stärker anziehen, als es sich derzeit abzeichnet, und damit den Aktienmarkt und die Konjunktur ausbremsen.
Mit Thomas Metzger sprach Max Borowski
Quelle: ntv.de