Ökonom Oliver Rakau "Die Inflation wird nächstes Jahr deutlich fallen"
29.05.2022, 16:47 Uhr
Frisch gedruckte Euro-Noten: Die expansive Geldpolitik ist laut Oliver Rakau nicht die Ursache der hohen Inflation.
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Die Inflation ängstigt nicht nur viele Verbraucher. Auch Wirtschaftswissenschaftler und Notenbanker machen sich Sorgen, ob und wie die Preissteigerungen unter Kontrolle gebracht werden können. Oliver Rakau, Deutschland-Chefökonom des Wirtschaftsforschungs- und Beratungsinstituts Oxford Economics sieht das anders. Im ntv.de-Interview erklärt er, warum die Inflation schon im kommenden Jahr wieder unter die Zielmarke von zwei Prozent fallen dürfte.
ntv.de: Die Inflation in der Eurozone ist im vergangenen Monat mit 7,4 Prozent auf den höchsten Wert seit 40 Jahren gestiegen. Ein Ende scheint nicht in Sicht. Die steigenden Preise sind Umfragen zufolge zur größten Sorge der deutschen Verbraucher geworden. Wie wird sich die Inflation Ihrer Einschätzung nach entwickeln?
Oliver Rakau: Wir gehen davon aus, dass die Inflation in den kommenden Monaten hoch bleibt, vielleicht sogar noch weiter steigt. Gegen Ende dieses Jahres sollten die Inflationsraten zurückgehen und im kommenden Jahr dann deutlich fallen.
Was heißt das in konkreten Zahlen?
Die Inflation dürfte etwa im zweiten Halbjahr 2023 wieder deutlich unter die Marke von zwei Prozent fallen, die ja die EZB als mittelfristiges Inflationsziel anpeilt.
Viele Ökonomen glauben, dass die Inflation noch lange stark erhöht bleiben wird und nur schwer zu bekämpfen ist, weil inzwischen nicht nur die Energiepreise steigen, sondern auch die Kerninflationsrate aufgrund von Zweitrundeneffekten. Was lässt Sie annehmen, dass die Preissteigerungen schon bald wieder ablaufen werden?
Zum einen gehen wir davon aus, dass sich die Inflationstreiber auf der Angebotsseite, also die Energiepreise und die Engpässe durch gestörte Lieferketten entspannen werden. Zum anderen aber wird gleichzeitig Druck von der Nachfrageseite nachlassen. Denn durch die schlechte konjunkturelle Entwicklung und die bereits stark gestiegenen Energiepreise haben Verbraucher weniger Geld für den Konsum und Unternehmen für Investitionen zur Verfügung. Daher werden Preiserhöhungen schwieriger durchzusetzen sein.
Fürchten Sie nicht, dass die berüchtigte Lohn-Preis-Spirale einsetzt?
Die Gefahr gibt es, aber meiner Einschätzung nach ist sie nicht groß in den nächsten Jahren. Wir sehen jetzt bei der IG Metall beispielsweise schon hohe Lohnforderungen entsprechend der hohen Inflation. Auch in anderen Branchen werden wir ein robustes Lohnwachstum sehen. Aber wenn die Konjunktur sich weiter abschwächt und die Inflationsraten im kommenden Jahr zurückgehen, wird sich auch die Lohnentwicklung wieder anpassen. Ich sehe da keine Gefahr einer anhaltenden Lohn-Preis-Spirale.
Kritiker der Europäischen Zentralbank machen vor allem die Notenbank für die Inflation verantwortlich, die mit den Niedrigzinsen und Anleihekäufen die Geldmenge so stark erhöht habe, dass früher oder später die Preise stark steigen mussten. Es gibt diesen Vergleich mit der Ketchup-Flasche, aus der lange nichts, dann aber ganz viel auf einmal herauskommt. Ist da was dran?
Damit kann ich nichts anfangen. Die EZB wollte mit ihrer Geldpolitik natürlich in den vergangenen Jahren die damals zu niedrige Inflation erhöhen und insofern hatte das auch einen gewissen Effekt auf die Preise. Die jetzt beschleunigte Entwicklung ist allerdings eindeutig auf Angebotseffekte, also die Knappheiten und die Energiepreise zurückzuführen und nicht auf die Nachfrageseite, die die Geldpolitik beeinflussen könnte. Würde die Notenbank mit der Geldpolitik die Inflation antreiben, könnte man das typischerweise an einem starken Wachstum der Kreditmenge erkennen, über die Konsum und Investitionen angeheizt werden. Das ist aber im Euroraum überhaupt nicht der Fall.
Vertreter der EZB selbst haben lange davon gesprochen, dass die Inflation nur ein vorübergehendes Phänomen sei. Davon ist die Zentralbank inzwischen abgerückt und bereitet einen entsprechenden Kurswechsel vor. Ist das dann Ihrer Meinung nach ein Fehler?
Dass die EZB die Zinsen aus dem negativen Bereich holen und die Anleihekäufe einstellen will, halte ich für richtig. Auch unseren Prognosen zufolge wird die Inflation nicht wieder auf das extrem niedrige Niveau zurückfallen, das diese außergewöhnlich lockere Geldpolitik nötig gemacht hat. Das verhindern verschiedene Entwicklungen wie die Transition zu einer klimaneutralen Wirtschaft und langfristige Kostensteigerungen durch die CO2-Bepreisung. Ein erster, schneller Zinsschritt ist auch ein wichtiges Signal an den Finanzmarkt, dass die EZB die Situation ernst nimmt und zum Handeln bereit ist. Allerdings geht der Markt davon aus, dass auch im kommenden Jahr noch mehrere Zinserhöhungen folgen werden. Das halte ich für eine Fehleinschätzung.
Sehen Sie eine Gefahr, dass die EZB, nachdem sie lange gezögert hat, nun unter dem Eindruck der aktuell hohen Inflationsraten mit zu vielen Zinserhöhungen über das Ziel hinausschießt?
Das Risiko sehe ich, zumal sich die Finanzierungsbedingungen insbesondere in den wirtschaftlich schwächeren Euroländern im Vorgriff auf die anstehenden EZB-Kurswechsel schon merklich stärker verschärft haben als zum Beispiel in Deutschland. Unternehmen und Banken kommen also schwieriger an Geld - genau das, was die Zinsanhebungen bewirken sollen. Die Notenbank muss also aufpassen, dass sie die Wirtschaft in diesen Ländern nicht zu stark belastet genau in dem Moment, wo die Nachfrage ohnehin einen kräftigen Dämpfer bekommen dürfte.
Mit Oliver Rakau sprach Max Borowski.
Quelle: ntv.de