Umfassende Reform geplantDiese Wissenschaftler könnten über Ihre Rente entscheiden

Neun Wissenschaftler gehören der neuen Rentenkommission an, die bis Mitte kommenden Jahres Vorschläge für eine Rentenreform vorlegen soll. Für welche Maßnahmen stehen sie?
Kaum ist die neue Rentenkommission besetzt, gibt es Kritik. "Dass die Expertise der Sozial- und Wohlfahrtsverbände nicht berücksichtigt wird, ist ein schwerer Konstruktionsfehler", monierte Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Aufgabe der Kommission müsse es sein, die Rentenversicherung zu stärken und ihre Finanzierung auszubauen. Der Verzicht auf Praxiswissen der Verbände und die fehlende Beteiligung älterer Menschen seien fahrlässig. "Echte Vorschläge für eine solidarische Weiterentwicklung der Rente sind so nicht zu erwarten", sagte Rock.
Das wird sich bis Mitte kommenden Jahres zeigen. Am Dienstag hatten Union und SPD ihre Vertreterinnen und Vertreter benannt, die bis zum Sommer 2026 Vorschläge für eine umfassende Reform der Alterssicherung erarbeiten sollen. In der sogenannten Rentenkommission sitzen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ebenso wie Abgeordnete aus den Regierungsfraktionen. Ziel ist es, die gesetzliche Rente langfristig finanzierbar und zugleich sozial ausgewogen aufzustellen. Vorsitzende sind die Sozialrechtsprofessorin Constanze Janda und der frühere Chef der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, der ein späteres Renteneintrittsalter für realistisch hält.
Die Erwartungen sind hoch: Nach wochenlangem Streit mit jungen Unionsabgeordneten über ein später verabschiedetes Rentenpaket, hatte Bundeskanzler Friedrich Merz eine umfassende Reform in Aussicht gestellt. Welche Maßnahmen sie konkret beinhaltet, darüber sollen nun die 13 Mitglieder der neuen Rentenkommission beraten. Sie setzt sich aus Vertretern der Politik und der Wissenschaft zusammen. Besonders großen Einfluss dürften die Vorschläge der neun Wissenschaftler des Gremiums haben.
Doch wer sind die Köpfe, und wofür stehen sie inhaltlich?
Constanze Janda: Als eine der profiliertesten Sozialrechtsexpertinnen des Landes wird sie gemeinsam mit Frank-Jürgen Weise den Vorsitz der Rentenkommission übernehmen. Janda ist Professorin an der Uni Speyer und verweist seit Jahren auf die Folgen des demografischen Wandels für die gesetzliche Rente. Wenn die Menschen länger leben und zugleich weniger Kinder geboren würden, gerate das System zwangsläufig unter Druck. Janda hält eine längere Lebensarbeitszeit für unvermeidlich - nicht nur zur Stabilisierung der Rentenfinanzen, sondern auch zur Stärkung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Während sie die Ausweitung der Mütterrente grundsätzlich begrüßt, sieht sie Einzelmaßnahmen wie die Aktivrente oder die Frühstart-Rente skeptisch.
Martin Werding: Werding ist Wirtschaftsweiser sowie Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum. In der Rentenpolitik steht Werding für tiefgreifende Strukturreformen. Er warnt seit Jahren vor stark steigenden Sozialausgaben und sieht ein "Weiter so" als nicht tragfähig an. "Auch wenn es unpopulär ist - wir müssen länger arbeiten", sagte er der "Rheinischen Post" im vergangenen August. Werding fordert, das Renteneintrittsalter regelgebunden an die Lebenserwartung zu koppeln und durch eine ergänzende kapitalgedeckte Vorsorge zu flankieren. Zugleich spricht er sich gegen das Festschreiben des Rentenniveaus aus und plädiert für eine Kombination mehrerer Maßnahmen, um Beitragssätze zu stabilisieren und soziale Härten zu begrenzen.
Jörg Rocholl: Der Ökonom ist Präsident der Wirtschaftshochschule ESMT in Berlin und berät unter anderem Finanzminister Lars Klingbeil. In der Rentendebatte zählt Rocholl zu den schärfsten Kritikern des bisherigen Rentenpakets der Koalition. Gemeinsam mit anderen Ökonomen forderte er, die Pläne vollständig zu stoppen. Die Maßnahmen seien "kurzfristig orientiert" und trügen nicht dazu bei, das Rentensystem langfristig zu stabilisieren, sagte Rocholl kürzlich zu Capital. Er warnt vor steigenden Belastungen für den Bundeshaushalt und fordert strukturelle Reformen. Dazu zählt er ein an die Lebenserwartung gekoppeltes Renteneintrittsalter, eine Dämpfung der Rentensteigerungen sowie eine stärkere kapitalgedeckte Vorsorge innerhalb der gesetzlichen Rente. Ziel müsse eine "langfristig tragfähige Lösung" sein, die Vertrauen zwischen den Generationen schaffe.
Tabea Bucher-Koenen: Die Finanzökonomin ist Professorin an der Universität Mannheim und leitet seit 2019 den Forschungsbereich "Altersvorsorge und nachhaltige Finanzmärkte" am ZEW. In der Rentendebatte steht sie für eine stärkere kapitalgedeckte Vorsorge und einfachere, transparentere Produkte. "Wir müssen wegkommen von einer rein versicherungsorientierten Sicht auf die Altersvorsorge", sagte sie im Interview mit Capital im Oktober 2024. Wichtig sei zudem, Kapitalaufbau und Auszahlungsphase stärker zu trennen, um vor allem junge Menschen zu erreichen. Das geplante Altersvorsorgedepot dürfte zumindest in Teilen bereits ihren Vorstellungen entsprechen. Allerdings gibt es Kritik an weiter hohen Gebühren und in Steuerfragen. Hier könnte sich die Expertin noch einbringen.
Silke Übelmesser: Für die Finanzwissenschaftlerin steht fest: Das deutsche Rentensystem braucht tiefgreifende Reformen. Silke Übelmesser ist Professorin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und beschäftigt sich seit Jahren mit der Finanzierung sozialer Sicherungssysteme. Die aktuellen rentenpolitischen Beschlüsse der Koalition sieht sie kritisch. Das Festhalten am Rentenniveau von 48 Prozent und die Ausweitung der Mütterrente seien "das Gegenteil von Stabilisierung" und "sehr teuer", sagte sie dem "Merkur". Übelmesser plädiert für ein Bündel von Maßnahmen, darunter eine längere Lebensarbeitszeit, realistischere Abschläge bei vorzeitigem Rentenbeginn und eine Reform der Rentenanpassung. Denkbar sei eine stärkere Orientierung an der Inflation, um die Kaufkraft zu sichern und die Kosten zu begrenzen. Kapitalgedeckte Elemente, etwa nach schwedischem Vorbild, hält sie für eine sinnvolle Ergänzung.
Camille Logeay: Die Debatte um Generationengerechtigkeit in der Rente hält Camille Logeay für verkürzt. Die Ökonomin und Professorin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin widerspricht der vielzitierten These, eine Stabilisierung des Rentenniveaus gehe zulasten der Jüngeren. In Studien zeigte sie, dass höhere Beiträge langfristig auch für heute Erwerbstätige und künftige Generationen zu besseren Renten führen. Die gesetzliche Rente sieht Logeay als stabiles Umlagesystem, das nicht nur Alter absichert, sondern auch Risiken wie Erwerbsminderung abfedert. Sie plädiert dafür, das Rentenniveau zu sichern oder zumindest zu stabilisieren und warnt vor Leistungskürzungen. Reformbedarf sieht sie eher bei der Finanzierung als bei der Rolle der gesetzlichen Rente selbst.
Monika Queisser: "Das Babyboomer-Problem ist nicht wirklich zu lösen", sagte Monika Queisser der FAZ im vergangenen Oktober. Für die Leiterin der Sozialpolitik-Abteilung der OECD seien die geburtenstarken Jahrgänge nun einmal da und hätten sich durch ihre Beiträge Rentenansprüche erworben. Queisser verweist auf internationale Beispiele, etwa aus Schweden, wo das Rentensystem regelmäßig nachjustiert werde. Für Deutschland sieht sie Reformbedarf vor allem bei der Dämpfung des Rentenanstiegs und bei Anreizen für längeres Arbeiten, etwa durch eine Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. Kapitalgedeckte Elemente hält sie für sinnvoll, wenn sie kollektiv organisiert würden und geringe Kosten hätten. Entscheidend sei Transparenz und Verlässlichkeit: Reformen müssten früh angekündigt, gut erklärt und über Parteigrenzen hinweg getragen werden.
Peter Bofinger: Der Volkswirt war von 2004 bis 2019 Mitglied des Sachverständigenrates und zählt zu den bekanntesten wirtschaftspolitischen Stimmen in Deutschland. In der Rentendebatte warnt Bofinger davor, die Alterssicherung isoliert zu betrachten oder als Generationenkonflikt zu führen. Er kritisiert, dass sich die Politik zu stark auf Rentenniveau und Einzelinstrumente wie die Mütterrente konzentriere. "Wir führen die Rentendebatte, als ginge es um Almosen", sagte Bofinger den Kölnischen Nachrichten kürzlich.
Entscheidend sei aus seiner Sicht die wirtschaftliche Dynamik: Nur wenn Wachstum und Beschäftigung stimmten, lasse sich die Rente langfristig finanzieren. Für die kommenden Jahre hält er das Rentenniveau 2032 für weniger relevant als die Frage, wie die Wirtschaft in Gang kommt. Bofinger spricht sich für eine breitere Finanzierungsbasis aus, etwa durch die Einbeziehung von Selbstständigen in die Rentenversicherung, lehnt jedoch zusätzliche Sonderabgaben auf Rentner ab. Die Erwartungen der Babyboomer an eine auskömmliche Rente hält er für legitim und warnt davor, Vertrauen in das System zu verspielen.
Georg Cremer: Der Ökonom war von 2000 bis 2017 Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes und lehrt Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg. In der Rentendebatte warnt Cremer vor pauschalen Leistungsverbesserungen ohne soziale Treffsicherheit. Maßnahmen wie eine weitere Ausweitung der Mütterrente oder eine generelle Anhebung des Rentenniveaus lösten zentrale Probleme nicht. "Bei armen Frauen ist die Mütterrente wirkungslos", sagte Cremer im November der "Zeit", weil zusätzliche Rentenansprüche vollständig auf die Grundsicherung angerechnet würden.
Auch Forderungen nach einem deutlich höheren Rentenniveau hält er falsch: Davon profitierten vor allem Besserverdienende, während Menschen mit sehr niedrigen Renten leer ausgingen. Stattdessen plädiert Cremer für zielgenaue Reformen, etwa höhere Renten für langjährig Versicherte mit geringem Einkommen. Zur Stabilisierung der Finanzen fordert er, den Nachhaltigkeitsfaktor wieder greifen zu lassen und Leistungsausweitungen zu begrenzen.