Wirtschaft

Risiko Immobilienboom EZB-Führung bewertet Inflationsgefahr neu

Würden die Preise für selbstgenutztes Wohneigentum einbezogen, ergäbe die geldpolitisch entscheidende Kerninflationsrate zuletzt ein ganz anderes Bild.

Würden die Preise für selbstgenutztes Wohneigentum einbezogen, ergäbe die geldpolitisch entscheidende Kerninflationsrate zuletzt ein ganz anderes Bild.

(Foto: picture alliance / dpa)

Lange setzte die Europäische Zentralbank darauf, dass der Anstieg der Inflation nur ein vorübergehendes Phänomen sei. Diese Einschätzung könnte falsch gewesen sein, sagt nun auch das Direktoriumsmitglied Schnabel. Entscheidend für den künftigen EZB-Kurs könnten die explodierenden Immobilienpreise sein.

Europas Währungshüter signalisieren, dass sich ihre Einschätzung der Inflationsentwicklung zuletzt deutlich geändert hat und ein schrittweiser Kurswechsel in der Geldpolitik schon bald nötig werden könnte. Es gebe sowohl das Risiko eines zu frühen Handelns als auch das Risiko, zu spät zu handeln, sagte EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel in einem am Interview der "Financial Times". "Wir müssen das richtige Gleichgewicht zwischen diesen beiden Risiken finden. Mit den jüngsten Daten hat sich jedoch das Risiko, zu spät zu handeln, erhöht, und deshalb müssen wir die Inflationsaussichten sorgfältig neu bewerten."

Die EZB hält bisher an ihrem Kurs mit Zinsen auf Rekordtief und milliardenschweren Anleihenkäufen fest. Nach der jüngsten geldpolitischen Sitzung Anfang Februar hatte EZB-Präsidentin Christine Lagarde aber eingeräumt, dass auch bei den Notenbankern die Sorge angesichts der unerwartet hohen Teuerungsraten wächst. Im Euroraum stieg die Inflation im Januar auf 5,1 Prozent. In Deutschland hielt sie sich mit 4,9 Prozent auf vergleichsweise hohem Niveau. Die EZB war zuletzt vor allem von deutschen Politikern und Ökonomen dafür kritisiert worden, dass sie nicht schneller auf den Inflationsanstieg reagiere.

Die EZB strebt ein stabiles Preisniveau bei einer jährlichen Teuerungsrate von 2 Prozent an. Sie akzeptiert es, wenn diese Marke zeitweise etwas über- oder unterschritten wird. Vor allem die Energiepreise haben die Inflation angeheizt. Schnabel und andere EZB-Direktoriumsmitglieder hatten lange argumentiert, dass es sich dabei um wahrscheinlich vorübergehende Effekte handle. Doch nun sagte Schnabel, es "sieht es jetzt immer unwahrscheinlicher aus, dass die Inflation bis Ende dieses Jahres unter 2 Prozent fallen wird, wie wir es früher erwartet hatten".

Nach Schnabels Ansicht gilt es bei der Bewertung der Inflation auch den Anstieg der Preise für Wohneigentum in den Blick zu nehmen. Der Immobilienboom erhöhe das Risiko, dass die Währungshüter zu spät bei der Änderung der Geldpolitik agierten, warnte die deutsche Ökonomin: "Wir können das nicht ignorieren."

Kosten der Anleihenkäufe "womöglich" geringer als Nutzen

Die EZB hat zur Auswirkung der geplanten Einbeziehung der Preise von selbstgenutztem Wohneigentum in die Inflationsstatistik eine Studie veröffentlicht. Demnach zeigt sich, dass die für die Geldpolitik wichtige Kerninflationsrate angesichts des Immobilienbooms zuletzt deutlich stärker anstiegen würde, als es bei der derzeitigen Praxis der Statistikbehörde Eurostat, die nur die Mieten berücksichtigt, der Fall ist.

Ebenfalls aufhorchen ließen Äußerungen des französischen Notenbankchefs Francois Villeroy de Galhau: Er brachte auf einer Veranstaltung der London School of Economics ein Ende der Anleihenkäufe im Rahmen des Programms namens APP für das dritte Quartal ins Spiel. Ein Aus für die Zukäufe gilt als eine Voraussetzung für eine Zinserhöhung.

Der EZB-Rat hat das Ende der Anleihen-Zukäufe über das 1,85 Billionen Euro schwere Pandemie-Notprogramm PEPP ab dem Frühjahr beschlossen. Damit die Finanzmärkte danach nicht auf dem Trockenen sitzen, läuft das kleinere Anleihenprogramm namens APP weiter. Dessen Ende haben die Währungshüter bislang bewusst offengelassen. Der EZB-Rat geht in seiner Orientierungslinie für die Finanzmärkte - der sogenannten Forward Guidance - davon aus, dass die Nettoankäufe beendet werden, "kurz bevor" er mit der Erhöhung der EZB-Leitzinsen beginnt. Villeroy brachte nun die Idee auf, das Wort "kurz" zu streichen, um flexibler agieren zu können. Allerdings müsse man sich vor der Zinssitzung im Juni keinen Plan für Zinserhöhungen zurechtlegen: "In diesem Stadium ist jegliche Spekulation über diesen Fahrplan künftiger Erhöhungen verfrüht."

Auch Schnabel sieht Argumente, die für ein Ende der Anleihenkäufe sprechen. Ihr Nutzen rechtfertigten womöglich die zusätzlichen Kosten nicht, sagte sie der "FT". Die EZB sieht sich mit einer Rekord-Inflation konfrontiert. Die Teuerung in der Euro-Zone war im Januar auf einen neuen Rekordwert von 5,1 Prozent geklettert und hatte damit nicht nur viele Experten, sondern auch die Währungshüter auf dem falschen Fuß erwischt.

Quelle: ntv.de, mbo/rts/dpa

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