Haushaltsstreit eskaliert Ein Zahlungsausfall der USA ist nicht mehr undenkbar


Der National Park Service, der unter anderem den Garten des Weißen Hauses pflegt, gehört zu den Institutionen, die ihren Betrieb einschränken müssten, wenn die Schuldengrenze nicht rechtzeitig angehoben wird.
(Foto: REUTERS)
Politiker und Experten warnen, Investoren machen sich ernsthaft Sorgen: Wenn die USA ihre Schuldenobergrenze nicht bald anheben, könnte der Regierung von US-Präsident Joe Biden bald das Geld ausgehen. Das hätte dramatische Folgen.
Zunächst begann alles wie immer: Die US-Regierung erreichte ihr gesetzliches Schuldenlimit - vor Monaten schon. Die Verschuldung der Regierung unter Präsident Joe Biden stieg im Januar auf 31,4 Billionen Dollar, mehr Schulden aufnehmen darf sie nicht. Aber das Geld reichte noch für einige Monate, und es war ja schon häufig so geschehen in den vergangenen Jahrzehnten. Stets folgte dasselbe finanzpolitische Schauspiel. Nach einem mal mehr, mal weniger heftigen Schlagabtausch einigten sich Demokraten und Republikaner darauf, die Schuldenobergrenze anzuheben. In einigen Fällen musste die US-Regierung zeitweise ihre Ausgaben einschränken und etwa Nationalparks und den Wetterdienst schließen, bis eine Lösung gefunden war. Doch eines ist nie passiert: Noch nie setzten die USA ihre Zahlungsverpflichtungen etwa gegenüber den Inhabern ihrer Staatsanleihen aus.
Doch diesmal ist die Lage anders. Nicht nur Politiker beider Parteien betonten vor ihren anstehenden Verhandlungen ihre Entschlossenheit, keine oder nur minimale Abstriche bei ihrer Position zu machen. Finanzministerin Janet Yellen warnte vor einer "Katastrophe". Falls der Kongress die Schuldengrenze nicht bis dahin erhöhe, könnte der Regierung schon am 1. Juni das Geld ausgehen. Zunächst wäre dann ein "Shutdown" die Folge - die Schließung vieler Regierungseinrichtungen - und später möglicherweise das bisher Undenkbare: ein Zahlungsausfall der USA.
Am Finanzmarkt gilt diese Möglichkeit inzwischen nicht mehr als undenkbar. Die Prämien für Kreditausfallversicherungen einjähriger US-Staatsanleihen schossen in den vergangenen Wochen in die Höhe auf einen Rekordwert von gut 150 Basispunkten pro Jahr. Zu Beginn des Jahres lag der Wert noch bei 15, vor zwei Jahren bei etwa 3 Basispunkten. Auf dem Höhepunkt vergangener Haushaltskonflikte und selbst während des bislang längsten "Shutdowns" 2018 waren die Prämien für diese Kreditausfallversicherungen kaum höher als etwa 80 Basispunkte gestiegen. Ein Basispunkt entspricht 0,01 Prozent. Um einjährige US-Staatsanleihen gegen einen Zahlungsausfall zu versichern, muss ein Investor derzeit also 1,5 Prozent ihres Wertes pro Jahr zahlen.
Warnung vor Krise wie bei Großer Depression
Es sind nicht nur die Investoren, die sich Sorgen um ihre Anleihen machen. Schätzungen von Rating-Agenturen zufolge würde ein Zahlungsausfall, selbst wenn er nur kurz dauerte und wenige Gläubiger beträfe, heftige Verwerfungen an den internationalen Finanzmärkten, einen Wirtschaftseinbruch in den USA selbst und langfristig hohe Kosten für die amerikanischen Steuerzahler nach sich ziehen. Denn der Ruf der USA als verlässlicher Schuldner wäre dahin. Gläubiger würden sich das höhere Risiko mit höheren Zinsen für US-Staatsanleihen bezahlen lassen.
Steigende Finanzierungskosten und ein Einbruch bei den Staatsausgaben würden auch Privatunternehmen in Mitleidenschaft ziehen. Rund zwei Millionen Jobs dürften verloren gehen, so die Analysten der Rating-Agentur Moody’s zu den drohenden Auswirkungen eines kurzfristigen Zahlungsausfalls. Der Rat der Wirtschaftsberater des Weißen Hauses warnt, ein länger anhaltender Zahlungsausfall könnte eine Krise vom Ausmaß der Großen Depression in den 1930er Jahren annehmen. Anders als bei schweren Rezessionen in der Vergangenheit wäre die Regierung in diesem Fall aber nicht in der Lage, die Wirtschaft mit milliardenschweren Konjunkturausgaben anzukurbeln.
Warum aber nehmen Investoren und Experten den aktuellen Haushaltsstreit so viel ernster als in den insgesamt 78 Fällen in der Vergangenheit, in denen die Schuldengrenze in letzter Minute stets doch noch angehoben und zumindest ein Zahlungsausfall vermieden wurde? Die Polarisierung zwischen den Parteien hat noch einmal zugenommen. Die oppositionellen Republikaner haben einen umfangreichen Forderungskatalog vorgelegt. Als Gegenleistung für eine Zustimmung verlangen sie gewaltige Kürzungen bei Sozial- und Umweltausgaben der Regierung. Die Demokraten weisen das grundsätzlich zurück. Für entsprechend schwierige Verhandlungen und Gesetzgebungsverfahren bleibt kaum noch Zeit. Am heutigen Dienstagabend will Präsident Biden mit dem republikanischen Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, zum ersten Mal über das Thema sprechen.
McCarthy führt zudem eine in sich tief gespaltene Fraktion. Manche seiner Abgeordneten sehen in der Drohung, die Regierung in die Zahlungsunfähigkeit zu treiben, nicht nur eine Möglichkeit, Zugeständnisse vom politischen Gegner zu erzwingen - sondern finden Gefallen daran, einige bei den Republikanern teils verhasste Bundesbehörden zur Schließung zu zwingen.
Quelle: ntv.de