Wirtschaft

Fiscal-Future-Gründer Mühlbach"Es gibt ein profitgetriebenes Interesse, das Rentensystem schlechtzureden"

04.12.2025, 16:23 Uhr
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Aus der Angst vor einer unsicheren Rente wollten manche Profit schlagen und Finanzprodukte verkaufen, sagt Carl Mühlbach. (Foto: picture alliance / ZB)

Carl Mühlbach gehört zur selben Generation wie die Junge Generation der Unionsabgeordneten, die das Rentenpaket der Koalition stoppen wollen. Doch der Ökonom, Sozialdemokrat und Gründer des Thinktanks Fiscal Future fordert, die gesetzliche Rente zu stärken, anstatt das Niveau abzusenken. Im Gespräch mit ntv.de erklärt Mühlbach, warum unser Rentensystem besser ist, als die Schwarzmaler behaupten.

ntv.de: Sie sind Ende 20, und Sie sind Ökonom. Sind Sie froh, wenn die jungen Rebellen in der Unionsfraktion das geplante Rentenpaket stoppen und damit Sie und Ihre Generation vor einer Belastung von Hunderten Milliarden Euro in den nächsten Jahren und Jahrzehnten bewahren?

Carl Mühlbach: Zunächst freut es mich, dass sich junge Menschen mit dem Thema Rente beschäftigen. Denn es gibt viele junge Menschen, die sich darum sorgen, im Alter keine Rente zu bekommen, das zeigen Umfragen. Gleichzeitig würde ich einen anderen Fokus setzen und andere Reformen vorschlagen, als die junge Gruppe das tut.

Worüber machen Sie sich größere Sorgen: über die Belastungen, die Sie in den kommenden Jahrzehnten Ihrer voraussichtlichen Berufstätigkeit tragen müssen, um eine wachsende Zahl von Ruheständlern zu finanzieren? Oder darum, ob Sie selbst einmal eine auskömmliche Altersversorgung haben werden?

Ich mache mir um beide Aspekte Sorgen. Einerseits möchte ich, dass meine Generation im Alter einmal eine auskömmliche Rente bekommt. Das geht nur mit einer starken gesetzlichen Rente, denn auch wenn wir oft von einem System aus drei Säulen sprechen, ist die Hälfte der Menschen in diesem Land ausschließlich über die erste Säule, also die gesetzliche Rente, abgesichert. Gleichzeitig ist in Deutschland ein Viertel aller Rentnerinnen und Rentner armutsgefährdet. Wir sind eine zu reiche Gesellschaft, um Mitmenschen im Alter in Armut leben zu lassen, das müssen wir ändern. Gleichzeitig weiß ich, dass das Geld kostet und sehe als Ökonom, der sich mit Finanzpolitik beschäftigt, wie eng die Spielräume im Haushalt sind. Das macht mir auch Sorgen.

Was für Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus für die künftige Ausrichtung des Rentensystems?

Wir brauchen ein Rentensystem, das armutsfest ist und Teilhabe im Alter für alle Menschen ermöglicht. Und das können wir uns auch leisten! Im Moment ist unser Rentensystem teurer, als es sein müsste, weil es Ungleichheiten aus dem Erwerbsleben im Alter zementiert. Es gibt zudem eine gewisse Umverteilung von Arm zu Reich.

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Carl Mühlbach ist Mitgründer und Geschäftsführer der NGO, die sich aus der Perspektive junger Menschen für eine zukunftsfähige Finanz- und Wirtschaftspolitik einsetzt.

Inwiefern gibt es eine Umverteilung von Arm zu Reich im Rentensystem?

In der gesetzlichen Rente gilt das Äquivalenzprinzip. Jemand, der im Laufe seines Erwerbslebens doppelt so viel an Beiträgen eingezahlt hat wie eine andere Person, bekommt als Rentner jedes Jahr auch das Doppelte an Rente. Das hört sich erst einmal fair an. In Deutschland lebt das reichste Fünftel der Bevölkerung allerdings zehn Jahre länger als das ärmste Fünftel. Wer die doppelte Summe eingezahlt hat, bekommt also nicht nur doppelt so viel pro Jahr heraus, sondern auch über beispielsweise 13 Jahre statt über 3 Jahre. Das heißt, Gutverdiener erzielen bei der gesetzlichen Rente insgesamt eine viel höhere Rendite als Menschen mit niedrigen Einkommen. Das ist eine große Ungerechtigkeit. Es wäre fair, ausgleichende Elemente einzuführen.

Wie könnte das aussehen?

Die Österreicher zum Beispiel werden die Renten im kommenden Jahr an die Inflation anpassen. Weil sie aber eine Haushaltskrise haben, gibt es diese Erhöhung nur für die unteren zwei Drittel der Rentenempfängerinnen. Das reichste Drittel bekommt keine Steigerung. Die unteren Einkommensgruppen werden also relativ gestärkt. Warum machen wir so etwas nicht auf in Deutschland? Dafür müsste man zwar das Äquivalenzprinzip angehen, aber es würde die Rente sowohl gerechter als auch günstiger machen.

Unter dem Gesichtspunkt sozialer Gerechtigkeit mag das relevant sein. Aber angesichts der anstehenden Mehrkosten von Hunderten Milliarden Euro durch den demografischen Wandel retten solche Änderungen nicht das Rentensystem, oder?

Eine gerechtere Ausgestaltung des Rentensystems allein wird nicht alle Probleme lösen, aber es könnte einen spürbaren Beitrag leisten. Und es ist wichtig, trotz aller Herausforderungen, vor denen wir bei der Rente stehen, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben: Vor zwei Jahrzehnten schon hatten wir düstere Prognosen, wie teuer das Rentensystem werden würde. Diese Prognosen sind nicht eingetreten. Stattdessen gab es eine massive Ausweitung des Arbeitsvolumens, sodass deutlich mehr Beiträge gezahlt wurden. Entgegen allen Erwartungen sind die Rentenbeiträge heute niedriger als vor 20 Jahren. Und auch der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt an die gesetzliche Rentenversicherung ist nicht etwa Ausdruck einer Schieflage. Es ist schon immer so gewesen, dass die gesetzliche Rente sowohl aus Beiträgen als auch aus Steuermitteln finanziert wurde. Bei der Einführung der Sozialversicherungen zu Bismarcks Zeiten hatte der Steuerzuschuss sogar einen höheren Anteil als heutzutage. Natürlich gibt es Herausforderungen und Verbesserungspotenzial. Aber insgesamt ist unsere gesetzliche Rentenversicherung ein starkes System, das wir bewahren und stärken sollten, weil es dazu beiträgt, dass es den Menschen besser geht.

Was heißt für Sie "das System stärken"?

Stärken heißt eben erstmal, es gerechter zu machen. Und es heißt, das System auf breitere Füße zu stellen, indem wir mehr Personengruppen integrieren: Beamtinnen, Ärzte, Anwälte, die derzeit alle separat in eigenen Versorgungswerken oder Versorgungssystemen organisiert sind. Ein Versicherungssystem wird umso stabiler, je mehr es Risiken bündelt. Je mehr Menschen mit unterschiedlichen Risikoprofilen in ein solches System einzahlen, desto verlässlicher und ausgleichsfähiger wird es.

Sie haben die düsteren Prognosen aus der Vergangenheit erwähnt, die nicht eingetreten sind. Wird derzeit Schwarzmalerei betrieben, wenn jetzt wieder vorausgesagt wird, dass die Kosten des Rentensystems bald unbezahlbar werden?

Es gibt viele, die unser Rentensystem bewusst schlechter reden, als es ist. Und diese Schwarzmalerei hat System: Einer Umfrage zufolge glaubt fast ein Drittel der Menschen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren, dass sie gar keine gesetzliche Rente mehr bekommen werden, was schlichtweg nicht stimmt. Mit diesen Ängsten und Sorgen kann man Profite machen. Wenn viele Menschen in diesem Land glauben, dass die gesetzliche Rente nicht reicht, dann kann man ihnen wunderbar irgendwelche Finanzprodukte verkaufen. Es gibt also ein profitgetriebenes Interesse mancher Akteure, unser Rentensystem schlechtzureden.

Andererseits kommen nun mal mit einer steigenden Zahl von Rentnern unbestreitbar Mehrkosten auf uns zu. Für die Beitrags- und für die Steuerzahler. Wo liegt für Sie da die Grenze der Belastbarkeit?

Zunächst möchte ich klar einordnen, wo wir derzeit stehen: Um die Jahrtausendwende waren sowohl die Rentenversicherungsbeiträge als auch der Steuerzuschuss höher als heute. Der Bundeszuschuss lag im vergangenen Jahr bei 2,7 Prozent der Wirtschaftsleistung, Anfang der 2000er waren es mehr als 3 Prozent. Natürlich wird eine alternde Gesellschaft mehr Geld für die Rente aufbringen müssen. Doch in einem gewissen Rahmen ist das tragbar. Ob es der Wirtschaft, den Beschäftigten und Unternehmen gut geht oder nicht, hängt nicht allein von der Höhe der Sozialversicherungsbeiträge ab. Entscheidend ist, dass Unternehmen funktionierende Geschäftsmodelle haben, dass sie gut ausgebildete Fachkräfte finden und die Infrastruktur gut ausgebaut und leistungsfähig ist. Diese Faktoren sind zentral für einen tragfähigen Bundeshaushalt. Deshalb gilt: Damit die Rente nachhaltig finanzierbar bleibt, müssen wir vor allem dafür sorgen, dass die Wirtschaft wächst und der Bundeshaushalt funktioniert. Das ist letztlich wichtiger als die exakte Höhe von Rentenbeiträgen oder dem Bundeszuschuss.

Was wünschen Sie sich ganz konkret von der schwarz-roten Koalition in dieser Situation jetzt, insbesondere von der SPD, deren Mitglied Sie sind?

Die SPD hat sehr deutlich gemacht, dass der Gesetzesvorschlag, der so durchs Kabinett gegangen ist, auch so beschlossen werden soll. Das ist auch das Ergebnis vom Koalitionsausschuss letzte Woche. Zudem hat man sich darauf verständigt, eine Rentenkommission einzusetzen, die im kommenden Jahr grundsätzliche Reformen des Rentensystems erarbeiten soll. Ich wünsche mir darüber hinaus eine breite politische und gesellschaftliche Debatte darüber, wohin wir mit unserem Rentensystem wollen. Am Ende brauchen wir einen belastbaren Konsens. Denn nur so können wir das Vertrauen in die Rente stärken und langfristig sichern.

Die meisten Ökonomen fordern derzeit ein Absenken des Rentenniveaus und setzen stark auf private Vorsorge. Die von Ihnen genannten Elemente kommen da wenig vor. Erwarten Sie nicht, dass diese Kommission vor allem Rentenkürzungen vorschlagen wird?

In der öffentlichen Debatte werden oft vor allem die Stimmen gehört, die besonders zugespitzte Positionen vertreten. Etwa die, die das Rentensystem ganz grundsätzlich infrage stellen. In der Fachdebatte sind die Positionen deutlich differenzierter. Viele der Elemente, die wir besprochen haben, werden dort sehr wohl intensiv diskutiert. Ein weiterer interessanter Reformansatz betrifft die Steuer- und Beitragslast auf unterschiedliche Einkommensarten. In den kommenden Jahrzehnten dürfte die Bedeutung von Kapital und Kapitalerträgen gegenüber dem Arbeitseinkommen zunehmen. In Deutschland aber wird Arbeit im internationalen Vergleich relativ hoch belastet, Kapital hingegen eher niedrig. Langfristig wäre es sinnvoll, den Produktionsfaktor Arbeit steuerlich zu entlasten und stattdessen Kapital etwas stärker heranzuziehen. Diese Überlegung findet sich nun auch in dem Entschließungsantrag zum Rentenpaket, den der Koalitionsausschuss vorschlägt. Da wird ausdrücklich davon gesprochen, weitere Einkommensarten zur Finanzierung der Rente einzubeziehen.

Wie optimistisch sind Sie, dass die Koalition sich nicht nur auf das Rentenpaket jetzt, sondern im kommenden auch auf eine Reform einigen wird, die die gesetzliche Rente in Ihrem Sinne langfristig stärkt?

Unser Rentensystem ist eine große gesellschaftliche Errungenschaft. Es braucht kluge, realistische Lösungen, damit es auch in Zukunft tragfähig ist. Einfache, laute Parolen helfen selten weiter. Es gibt viele kluge Köpfe, die mit Hochdruck daran arbeiten, unser Rentensystem zu verbessern. Das macht mich optimistisch.

Mit Carl Mühlbach sprach Max Borowski

Quelle: ntv.de

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