Wirtschaft

Angeschlagener Lieferdienst Gorillas probiert es jetzt auf die Mitleidstour

Der Lieferdienst hat einen hohen Cash-Burn, ist aber noch nicht profitabel.

Der Lieferdienst hat einen hohen Cash-Burn, ist aber noch nicht profitabel.

(Foto: picture alliance / ROBIN UTRECHT)

Was als kreativer Spaß gedacht war, kommt bei Arbeitnehmervertretern gar nicht gut an: In einer neuen Kampagne wirbt der Blitz-Lieferdienst Gorillas mit den Inflationssorgen seiner eigenen Mitarbeiter und probiert, Kunden zu Mitleidskäufen zu bewegen.

Der Betreff einer E-Mail, die der Berliner Lieferdienst Gorillas diese Woche an Tausende Kunden verschickte, klang wie ein Hilferuf: "Ich muss dringend befördert werden. Die Inflation ist verrückt. Ich brauche eine Gehaltserhöhung", heißt es in der Textvorschau. In dem Schreiben stellt sich ein gewisser Adri vor, offenbar ein Mitarbeiter aus dem Marketing-Team, der seinen Chef mit einer besonders wirksamen Gutscheinaktion beeindrucken will. Dafür benötige er die Hilfe der Kunden. Sie sollen einen Rabattcode einlösen. Zum Schluss wendet sich der Mitarbeiter noch einmal direkt an sie: "Lass mich nicht hängen", schreibt er.

In der E-Commerce-Branche sind Rabattaktionen ein gängiges Mittel, um neue Kunden zu gewinnen oder alte zu reaktivieren. Unternehmen wollen so ihre Umsätze kurzfristig hochtreiben, etwa um am Quartalsende die Zahlen aufzuhübschen oder bei Präsentationen für Investoren zu glänzen. Gorillas macht das im Vergleich zur Konkurrenz besonders aggressiv. Das Startup wirbt schon seit Monaten mit ähnlichen E-Mail-Kampagnen, teils auch mehrmals pro Woche. Dass es dabei augenscheinlich die prekäre finanzielle Situation seiner eigenen Mitarbeiter als Masche nutzt, ist jedoch neu.

Eine Gorillas-Sprecherin bestätige die Authentizität der Mail. Man habe damit an einem Internetphänomen anknüpfen wollen. Unter dem Schlagwort "Mein Chef sagt" kursieren einige Videos auf der Social-Media-Plattform TikTok, in denen junge Leute offenbar spaßhaft um Likes und Klicks betteln, damit sie eine Belohnung von ihrem Chef bekommen. "Als junges und mutiges Unternehmen geben wir unseren Mitarbeiter:innen den Freiraum, kreative Ideen zu entwickeln und diese auch umzusetzen", teilte die Sprecherin zu der Kampagne mit.

Bei Arbeitnehmervertretern stößt die Kommunikation des Startups auf Unverständnis. "Prekäre Arbeitsbedingungen, fehlerhafte Abrechnungen, schlechte Bezahlung und Ausrüstung sind bei Gorillas leider an der Tagesordnung. Die Nöte der Mitarbeiter jetzt auch noch für die eigene Vermarktung zu instrumentalisieren, ist perfide und sucht seinesgleichen", sagt Conny Weißbach von der Gewerkschaft Verdi, die im Bezirk Berlin-Brandenburg den Fachbereich Handel leitet. Statt auf das Mitleid der Kunden zu setzen, solle das Unternehmen lieber selbst etwas für die Mitarbeiter tun, fordert Weißbach. Etwa, indem es die anstehenden Betriebsratswahlen unterstütze. Gorillas teilte dazu mit, dass es alle Mitarbeiter "fair und wettbewerbsfähig" entlohne.

Gorillas steht wirtschaftlich enorm unter Druck

Auch aus kommunikativer Sicht sei die Aktion misslungen, sagt Sachar Klein, Chef der Berliner PR-Agentur Hypr. "Gorillas untermauert mit seiner Kommunikation all die Vorurteile, die man als unbeteiligter Dritter hat, wenn man die Nachrichten liest: Dem Unternehmen ist alles recht, um Umsatz zu machen - auch die prekäre Situation seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter", so Klein.

Gorillas steht derzeit wirtschaftlich enorm unter Druck. Der Lieferdienst hat einen hohen Cash-Burn, ist aber noch nicht profitabel. Laut Brancheninsidern versucht das Startup deswegen schon seit Monaten, neue Investoren zu finden. Auch Gespräche über einen Verkauf soll es schon gegeben haben. Erst im Mai hat Gorillas rund 300 Mitarbeiter aus der Zentrale entlassen.

Die wirtschaftliche Gesamtlage verschärft den Kostendruck zusätzlich. Zum einen haben Lebensmittelhändler im Einkauf derzeit mit hohen Preissprüngen zu kämpfen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts stieg die Inflation bei Nahrungsmitteln im September um rund 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zum anderen treiben die Energiepreise die Betriebskosten der Mini-Logistikzentren hoch, die Gorillas in jedem seiner Liefergebiete unterhält.

Dieser Artikel ist zuerst bei Capital.de erschienen.

Quelle: ntv.de

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