Wirtschaft

Pilotprojekt startet 2024 Passt die Viertagewoche nach Deutschland?

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Vom Handwerksunternehmen bis zum Großkonzern: Die Initiatoren hoffe auf möglichst viele Teilnehmer aus unterschiedlichen Bereichen.

Vom Handwerksunternehmen bis zum Großkonzern: Die Initiatoren hoffe auf möglichst viele Teilnehmer aus unterschiedlichen Bereichen.

(Foto: IMAGO/epd)

Die Viertagewoche klingt verlockend. Doch funktioniert sie auch? Im kommenden Jahr sollen 50 deutsche Unternehmen das umstrittene Modell erstmals bundesweit für sechs Monate testen. Welches Potenzial und welche Risiken sich hinter dem Projekt verbergen, verrät Co-Initiator Carsten Meier im Interview.

ntv.de: Im vergangenen Jahr haben 61 britische Unternehmen die Viertagewoche getestet. Das Ergebnis: Die Mitarbeiter sind motivierter, weniger gestresst und auch die Fehltage sinken. Ihr Unternehmen hat das Modell bereits 2016 eingeführt. Wie lautet Ihr Fazit?

Carsten Meier: Mit zwölf Mitarbeitenden zählen wir mit unser Beratungsfirma Intraprenör zu den kleineren Unternehmen. Unsere Erfahrungen sind somit nicht repräsentativ für die große Masse - aber auch ein subjektiver Einblick kann aufschlussreich sein. Wir haben den Freitag als freien Tag festgelegt, arbeiten gemeinschaftlich als Team also nur von Montag bis Donnerstag. In dieser Zeit schaffen wir definitiv mehr Projektarbeit, als wir zuvor in fünf Tagen geschafft haben.

Woran liegt das?

Carsten Meier ist Managing Partner und Mitgründer von Intraprenör, einem Boutique-Beratungsunternehmen aus Berlin.

Carsten Meier ist Managing Partner und Mitgründer von Intraprenör, einem Boutique-Beratungsunternehmen aus Berlin.

Ein wichtiger Faktor ist die Organisation. Meetings müssen klarer strukturiert, die Dokumentation besser organisiert und die Tools disziplinierter genutzt werden. Das hilft am Ende dabei, die Zeit sinnvoll zu nutzen. Wir überprüfen die Methode jede Woche und besprechen gemeinsam die Ursachen, wenn wir unser Arbeitspensum mal nicht geschafft haben. Das hat auch einen positiven Effekt auf unsere Arbeit als Beratungsfirma. Viele unserer Kunden sind daran interessiert, sich im Bereich New Work weiterzubilden.

Sie wollen die Studie nach Deutschland bringen. Wieso?

Die Studie aus Großbritannien hat auch in Deutschland viel Aufsehen erregt. Denn: Die Ergebnisse waren fast durchweg positiv. Wir wollen das Projekt nun mit deutschen Unternehmen wiederholen, um überprüfen zu können, an welcher Stelle das Modell auch bei uns sinnvoll eingesetzt werden kann. Gemeinsam mit der Non-Profit-Organisation 4 Day Week Global, die das Projekt auch in Großbritannien durchgeführt hat, setzen wir die Studie neu auf.

Bis zum 30. November können sich Unternehmen bewerben. Was passiert dann?

Ab Februar 2024 können Teilnehmende die Viertagewoche über einen Zeitraum von sechs Monaten in ihrem Unternehmen testen. Das muss nicht die ganze Firma sein, es können auch eine einzelne Abteilung, ein Team oder einige Filialen teilnehmen. Auch das Modell ist flexibel. Welcher Tag frei sein und um wie viele Stunden die Arbeitszeit reduziert werden soll, entscheiden die Unternehmen selbst. Im Anschluss werden diese dann sowohl wissenschaftlich als auch inhaltlich von Experten begleitet. Am Ende können wir bewerten, in welchen Branchen das Modell funktioniert und welche Effekte das Konzept zum Beispiel auf die Gesundheit, Work-Life-Balance oder Leistungsfähigkeit hat.

Welche Unternehmen können teilnehmen?

Hier unterscheidet sich unsere Studie von andere Studien, bei denen nur Unternehmen ab zehn Mitarbeitenden zugelassen wurden. Da in Deutschland viele Mittelständler und kleine Unternehmen nicht mehr als zehn Mitarbeitende haben, gibt es bei uns keinerlei Begrenzungen. Vom Friseursalon bis zum Großkonzern kann jeder mitmachen.

Gibt es weitere Unterschiede zur Studie aus Großbritannien?

Es gibt einen wesentlichen Unterschied im Studienaufbau: Die Viertagewoche wurde in Deutschland teils sehr undifferenziert und emotional diskutiert. Dem wollen wir mit einem Beirat entgegenwirken. Dieser vereint sowohl Befürworter als auch Gegner und soll einen differenzierten datengetriebenen Diskurs ermöglichen.

Wer sitzt in diesem Beirat?

Vertreten sind sowohl der Arbeitgeberverband als auch die IG Metall bis hin zum Zentralverband des Deutschen Handwerks. Daneben unterstützt uns ein nationaler Wissenschaftspartner. In unserem Fall ist das die Universität Münster unter der Leitung von Prof. Dr. Julia Backmann und ihrem Forschungsteam. Sie kümmern sich um die qualitative Forschung. Sie führen Interviews, begleiten den Austausch mit Führungskräften und Mitarbeitenden. Frau Backmann hat an dieser Stelle die Freiheit, auch experimentellere Forschungsdesigns zu testen. So können Daten gewonnen werden, die in den globalen Studien bisher nicht enthalten sind. Beispielsweise durch die Auswertung von Tagebuchstudien oder persönlichen physiologischen Daten.

Nun kosten solche Studien natürlich Geld. Wie finanziert sich das Projekt?

Wir also Co-Initiator verfolgen mit dem Projekt kein finanzielles Ziel. Finanzierung und Koordination liegen in den Händen der NGO 4 Day Week Global. Jedes teilnehmende Unternehmen zahlt einen Beitrag, der nach Unternehmensgröße gestaffelt ist. Bei unter zehn Mitarbeitenden sind das 500 Euro. Bei einer Mitarbeiterzahl von mehr als 1000 liegt die Gebühr bei knapp 15.000 Euro. Mithilfe dieser Gebühren wird hauptsächlich die wissenschaftliche Arbeit finanziert.

Eine Viertagewoche klingt verlockend. Was sind die konkreten Vorteile?

Bisherige Testergebnisse zeigen sowohl in Gesellschaft als auch Wirtschaft positive Effekte. Mitarbeitende bewerteten ihre Gesundheit oder auch Work-Life-Balance nach Durchführung der Studien deutlich positiver. Auf wirtschaftlicher Ebene konnte die Produktivität beibehalten oder sogar gesteigert werden. Daten zeigen auch, dass sich die Umsätze der Unternehmen nicht verschlechtert, sondern eher verbessert haben. Darüber hinaus wurden auch positive Veränderungen in sozialen Bereichen erkannt. So kann die Einführung einer Viertagewoche beispielsweise das Thema Gleichstellung beeinflussen. Menschen, die nur vier Tage die Woche arbeiten, haben mehr Freizeit zur Verfügung, die sie zum Beispiel mit ihrer Familie verbringen können. So kann etwa die Care-Arbeit wieder gerechter verteilt werden.

Gibt es weitere Bereiche?

Der Nachhaltigkeitsaspekt spielt ebenfalls eine große Rolle. Einen Tag weniger Arbeit bedeutet womöglich eine Fahrt weniger mit dem Auto. Bisherige Studien zeigen eine Reduzierung der Pendelzeit von rund 36 Minuten pro Woche pro Person. Das klingt erstmal wenig, aber bei steigender Teilnehmerzahl wächst natürlich auch der Effekt.

Ist das Modell für jede Branche geeignet?

Um das herausfinden zu können, braucht es möglichst viele Teilnehmer aus unterschiedlichen Bereichen. So zählen am Ende keine Gefühle und Meinungen, sondern klare Fakten. Viele Firmen haben das Modell bereits ausprobiert und gute Erfahrungen gesammelt. Doch wie viele Unternehmen schaffen das? Was sind die individuellen Herausforderungen, die gemeistert werden müssen? Ist womöglich gar nicht die Branche das ausschlaggebende Unterscheidungsmerkmal, sondern die Führungskultur oder Struktur des Unternehmens?

Ihr Projekt testet das 100-80-100 Modell. Also 100 Prozent der Leistung bei geringerer Stundenzahl und gleichbleibendem Gehalt. Was halten Sie von anderen Modellen, die zum Beispiel die Verteilung von 40 Stunden auf vier Tage vorsehen?

Wenn Unternehmen damit gute Erfahrungen machen können, halte ich auch das für ein faires Modell. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, Arbeit attraktiver zu machen und Arbeitnehmer besser an das Unternehmen binden zu können. Dazu zählen auch Home-Office oder die Möglichkeit, von unterschiedlichen Orten aus zu arbeiten.

Sie haben eine Reihe an Vorteilen genannt. Gibt es auch Schattenseiten?

Kritiker argumentieren immer wieder mit volkswirtschaftlichen Effekten. Wie die aussehen würden, darüber wird auch unser Test kaum Aufschluss bieten. Das muss längerfristig betrachtet werden. Einen weiteren Kritikpunkt, den der Stressförderung, wird unsere Studie hingegen beleuchten. Aktuelle Studien aus dem Ausland zeigen einen generellen Stressabfall. Gleichzeitig kann ich nachvollziehen, dass die Vorstellung, für die gleichen Aufgaben plötzlich weniger Zeit zu haben, stressfördernd wirken könnte.

Deutschland erlebt einen enormen Fachkräftemangel. Würde eine Viertagewoche nicht auch dieses Problem weiter verschärfen?

Viele Unternehmen fürchten bei Einführung der Viertagewoche einen Verlust an Arbeitsleistung. Die Realität zeigt aber: Es gibt zahlreiche offene Stellen, die nicht besetzt werden können. Aktuell leisten also weniger Teammitglieder ein höheres Pensum an Arbeit. Durch Einführung der Viertagewoche könnten Stellen attraktiver werden und die Bewerbungszahlen steigen. Letztendlich könnten so mehr freie Stellen besetzt und damit auch dem Fachkräftemangel entgegengewirkt werden. Auch unser Unternehmen erlebt in diesem Bereich einen Erfolg: Ohne aktiv dafür zu werben, zählen wir pro Quartal rund 150 Bewerbungen.

Mit Carsten Meier sprach Leah Nowak

Quelle: ntv.de, lno

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