Wirtschaft

Frust mit russischen Aktien Privatanleger "als Kollateralschaden der Sanktionen"

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Während die Bundesregierung und deutsche Konzerne ihre Zusammenarbeit mit Russland ausbauten, investierten auch viele Privatanleger in die Aktien von russischen Unternehmen wie Gazprom.

(Foto: picture alliance/dpa/TASS)

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Seit fast einem Jahr sind die Investitionen Zehntausender deutscher Anleger in russische Aktien praktisch eingefroren. Zwar gibt es einen theoretischen Weg, an die Papiere zu kommen. Doch der enthält nahezu unüberwindbare Hindernisse. Die Politik könnte helfen, tut es aber nicht, sagt Marc Liebscher von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger ntv.de.

ntv.de: Anlegern drohen Verluste mit russischen Hinterlegungsscheinen. Das hört sich exotisch an. Was ist das Problem und wie groß ist es?

Marc Liebscher: Das ist ein großes Problem. Betroffen ist jeder, der unmittelbar oder auch mittelbar etwa über Fonds in russische Unternehmen investiert hat. Da geht es um große internationale Konzerne wie Gazprom oder Lukoil. Wir schätzen, dass das mehr als 50.000 Anleger in Deutschland betrifft, mit Beträgen von Hunderten bis zu mehreren Millionen Euro bei institutionellen Anlegern.

Um das Problem dieser Anleger zu verstehen, muss man wissen, dass sie in der Regel keine Aktien russischer Unternehmen besitzen, sondern Hinterlegungsscheine. Was bedeutet das?

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Marc Liebscher ist Rechtsanwalt und Vorstand der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger.

(Foto: Marc Liebscher)

Seine Aktien an einer Börse handeln zu lassen, ist für ein Unternehmen mit großem Aufwand verbunden. Es muss von der Herausgabe eines Wertpapierprospekts bis zu Bilanzzahlen viele Regularien erfüllen. In der Regel macht das ein Unternehmen einmal und zwar für die jeweilige nationale Börse, also russische Konzerne an der Börse in Moskau. Hinterlegungsscheine, unter ihren englischen Bezeichnungen American Depository Receipts (ADR) oder General Depository Receipt (GDR) bekannt, ermöglichen diesen Unternehmen, sich in anderen Ländern Investoren zu erschließen. Dazu werden die Aktien in einem Pool bei einer Verwahrstelle im eigenen Land hinterlegt. Für jede Aktie wird ein Papier herausgegeben, ein Hinterlegungsschein, der wesentlich einfacher und mit weniger regulatorischen Hürden im Ausland gehandelt werden kann. Anleger können also an Kursentwicklung und Dividenden partizipieren, ohne die Aktien direkt zu erwerben.

Das hört sich kompliziert an. Hätten Anleger mit solchen Papieren nicht vorsichtig sein müssen?

Das System der Hinterlegungsscheine ist seit mehr als 100 Jahren weltweit etabliert und bewährt. Vergleichbare Probleme wie aktuell mit den russischen Papieren hat es in der Vergangenheit nie gegeben.

Was ist nun mit den russischen Papieren nach dem Angriff auf die Ukraine passiert?

Nach dem Kriegsbeginn und den darauffolgenden Sanktionen des Westens wollte Russland Kontrolle darüber bekommen, wer die Aktionäre solcher strategisch wichtigen Unternehmen wie Gazprom oder Lukoil sind. Das ist bei den Aktien hinter den Hinterlegungsscheinen nicht ersichtlich. Also wurde entschieden, dass alle Hinterlegungsscheine umgetauscht werden müssen in reguläre Aktien. Das ist für deutsche Anleger eine kaum lösbare Herausforderung.

Warum?

Zunächst benötigt man dazu ein Depot bei einer russischen Bank. Das muss man persönlich vor Ort eröffnen. Flüge nach Moskau gibt es aber gar nicht. Also muss man versuchen, einen russischen Anwalt zu beauftragen. Der benötigt dafür eine Vollmacht. Die muss von einem Notar beglaubigt, anschließend vom Amtsgericht mit einer sogenannten Apostille bestätigt und auf Russisch übersetzt werden. Wenn man das erfolgreich absolviert hat, begänne erst der eigentliche Umtausch der Hinterlegungsscheine. Dieser schon an sich komplexe Prozess wird durch die Finanzsanktionen gegen Russland noch einmal extrem verkompliziert. Die involvierten russischen Banken und sonstigen Stellen sollen den Umtausch zwar gebührenfrei abwickeln, damit ausländische Anleger im Westen nicht mit entsprechenden Zahlungen gegen Sanktionen verstoßen oder - beispielsweise als Notar - daran mitwirken. Aber die Rechtsunsicherheit bei allen Beteiligten ist sehr hoch.

Was sollen die Anleger tun? Gibt es keine Alternativen oder lohnt es sich vielleicht, einfach erstmal weiter abzuwarten?

Nichts tun und abwarten ist eine riskante Option. Russland will nach Ablauf der Umtauschfrist im Sommer alle übriggebliebenen Aktien im Pool der Verwahrstellen verkaufen. Der Erlös soll auf Treuhandkonten für die Inhaber fließen. Da stellt sich natürlich die Frage, zu welchem Preis solche Verkäufe stattfinden und welche Abschläge die Anleger da hinnehmen müssen. Ich kann mir vorstellen, dass kremlnahe Oligarchen diese Gelegenheit für sehr günstige Aktienkäufe nutzen werden.

Es gibt Anbieter, die bereit sind, die Abwicklung des Umtausches zu übernehmen. Denen müssen die Anleger ihre Papiere übertragen und die werden dann im Erfolgsfall am Erlös beteiligt. Da sollte man sich die Bedingungen genau anschauen. Ich rate allen, die eine signifikante Summe in russischen Hinterlegungsscheinen investiert haben, sich an einen Anwalt mit entsprechender Erfahrung zu wenden und das Prozedere anzugehen, so kompliziert es auch sein mag.

Haben Sie mehr Unterstützung durch die Politik erwartet?

Ja, die Politik könnte den Betroffenen recht einfach helfen, wenn einmal ausdrücklich bestätigt würde, dass die notwendigen Schritte zum Umtausch der Hinterlegungsscheine in diesem Verfahren, in dem kein Geld an russische Institutionen fließt, nicht gegen die Sanktionen verstößt. Auch wenn das jetzt faktisch schon so ist, herrscht eine große Unsicherheit bei vielen Beteiligten, von den Mitarbeitern in deutschen Bankfilialen bis zu den Notaren. Das ließe sich beseitigen. Wir haben uns unter anderem an den Finanzausschuss des Bundestags gewandt. Da hieß es, das müsse auf europäischer Ebene geschehen. Aber im Europaparlament, der Kommission und dem Europäischen Rat gibt es offenbar überhaupt kein Interesse, sich des Themas anzunehmen. Die Verluste der Anleger werden als Kollateralschaden der Sanktionen gegen Russland schulterzuckend hingenommen. Dabei profitiert Russland überhaupt nicht von dem Umtausch der Papiere, sondern im Gegenteil eher davon, wenn der nicht stattfindet.

Müssen sich Anleger, die in russische Unternehmen, insbesondere die Staatskonzerne, investiert haben, nicht den Vorwurf gefallen lassen, dass sie sich finanziell mit diesem Regime eingelassen haben, dem ja nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden? Das könnte die mangelnde Hilfsbereitschaft vonseiten der Politik erklären.

Dieser Vorwurf gegenüber Anlegern ist aber gerade in Deutschland nicht gerechtfertigt. Ich selbst habe mich als Berater bei der Finanzregulierung schon vor Jahren intensiv mit der Ukraine auseinandergesetzt. Die russische Politik und auch die Gefahr, dass es zu einem solchen Krieg kommen könnte, war mir bereits länger bewusst. Die meisten Menschen in Deutschland hatten solche Einblicke aber nicht. Im Gegenteil: Sie sahen, wie die Regierung sogar nach der Besetzung und Annexion der Krim die Zusammenarbeit mit Russland fortsetzte. Das war Konsens in den Volksparteien Union und SPD. Da wäre es unfair, jetzt mit dem Finger auf Kleinanleger zu zeigen, die russische Aktien gekauft haben.

Mit Marc Liebscher sprach Max Borowski

Quelle: ntv.de

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