Wirtschaft

Rekordgewinne? Nur für den Kreml Wie Putin die Gazprom-Aktionäre bestohlen hat

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Gazprom wollte seine Aktionäre beglücken. Wladimir Putin hatte andere Pläne.

(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)

Anfang des Jahres verspricht Gazprom-Chef Miller seinen Aktionären eine Rekord-Dividende. Doch die verzichten überraschend auf die Ausschüttung. Es ist der Versuch des russischen Staates, auf Kosten von Kleinanlegern Löcher im Kriegshaushalt zu stopfen.

Am 13. März 2014 macht Gazprom-Chef Alexej Miller ein dramatisches Statement. Als russische Truppen die Krim besetzen, kommt es zum Gasstreit mit der Ukraine. Wenn die Ukraine nicht bald bezahle, drohe bei Gazprom eine Finanzierungslücke, die auch die europäische Energieversorgung gefährden könnte, sagt Miller damals nach einem Krisentreffen in Berlin. "Das bedeutet auch eine Lücke bei der Auszahlung der Dividende an unsere Aktionäre. Das könnte auch eine große Anzahl ausländischer Aktionäre treffen. Das sind ihre Einkünfte."

Ausländische Gazprom-Anleger müssen nur kurz um ihre Dividende bangen. Drei Monate später einigen sich Russland und die Ukraine. Im November 2014 bezahlt die ukrainische Regierung die erste Tranche ihrer offenen Gasrechnungen. Die Finanzierungslücke bei Gazprom ist gedeckt, das Gas fließt und die Dividende wird wie geplant ausgezahlt.

Acht Jahre später setzt der russische Präsident Wladimir Putin Gazprom erneut als Waffe ein. Nach den Wartungsarbeiten fließt wieder Gas durch Nord Stream 1 nach Deutschland - ein wenig jedenfalls. Ein sofortiger Stopp der Gaslieferungen droht aber weiterhin. Das sei aber nicht seine Schuld oder die von Gazprom, erklärt Putin bei einem Besuch in der iranischen Hauptstadt Teheran. Dafür seien Europa und die Sanktionen verantwortlich.

Dividende? "In der gegenwärtigen Situation nicht sinnvoll"

Trotzdem stehen die Gazprom-Anleger anders als 2014 plötzlich zum ersten Mal seit 1998 ohne Dividende da. Russische vor allem, denn der Konzern ist die beliebteste Aktie aus der Heimat. Im Juni war der Gasriese in 36,5 Prozent aller russischen Depots zu finden. 19,8 Millionen Russinnen und Russen hatten sich auf eine hohe Gewinnbeteiligung gefreut.

Denn Firmenchef Miller hatte im Januar stolz einen Rekordgewinn für 2021 vermeldet und eine Rekordausschüttung von umgerechnet rund 20 Milliarden Dollar versprochen. Die wird erst im Juni in letzter Minute auf der Hauptversammlung kassiert: "Die Aktionäre haben entschieden, dass es in der gegenwärtigen Situation nicht sinnvoll ist, Dividenden auf das Ergebnis von 2021 auszuzahlen", schreibt Gazprom-Vizechef Famil Sadygow auf Telegram. Gazprom wolle das Geld stattdessen für ein "Investitionsprogramm" nutzen - mutmaßlich unter anderem für eine neue Pipeline, die über die Mongolei nach China führt.

Doch die Anleger scheinen von ihrer eigenen Wohltätigkeit nicht überrumpelt. Innerhalb kürzester Zeit verliert die Gazprom-Aktie fast ein Drittel an Wert. Vor allem Kleinaktionäre schmeißen sie aus ihren Depots. Die Dividende sei einer der wichtigsten Faktoren für die Attraktivität der Aktie gewesen, kommentiert die russische Investmentbank BKS den überraschenden Rückzieher von Gazprom.

Anleger verlieren, der Kreml nicht

Auch der russische Staat findet Gazprom als Wertanlage äußerst attraktiv. Er besitzt 50,3 Prozent des Unternehmens - ganz zufällig wurde die Entscheidung, die Gewinnausschüttung zu streichen, bei der Hauptversammlung mit ziemlich genau diesem Stimmenanteil getroffen. Der russische Staat verliert dadurch aber anders als die Kleinanleger kein Geld, er hatte Gazprom vorher bereits als größten Geldgeber für unerwartete Ausgaben auserwählt, die durch die "militärische Spezialoperation" in der Ukraine entstanden sind.

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Denn obwohl Russland in den ersten 100 Kriegstagen 100 Milliarden Dollar mit Öl- und Gas-Exporten verdient und in den ersten fünf Monaten des Jahres auch fast 24 Milliarden Dollar mehr eingenommen als ausgegeben hat, wird das Geld langsam knapp. Putin muss seinen Krieg finanzieren und gleichzeitig die Bevölkerung ruhigstellen: Viele Menschen haben durch die Sanktionen und durch die Unternehmen, die ihr Russlandgeschäft freiwillig eingestellt haben, ihren Job und damit ihr sicheres Einkommen verloren - und das bei einer Inflation von 17 Prozent im Juni.

Schwammig formulierte Übergewinnsteuer

Um gegenzusteuern, hat die russische Regierung Renten, Mindestlöhne und den Sold für Soldaten erhöht. Im April lagen die russischen Staatsausgaben deswegen schon wieder über den Einnahmen. Am Jahresende wird im Haushalt ein Minus von mindestens 25 Milliarden Dollar erwartet. Und die G7-Staaten überlegen nach wie vor, ob und wie man die russischen Einnahmen weiter reduzieren kann - zum Beispiel durch einen Preisdeckel für Öl.

Viele Löcher, die gestopft werden müssen. Vor allem mit den Einnahmen von Gazprom: Ende Juni wurde bekannt, dass der Konzern eine Übergewinnsteuer von gut 21 Milliarden Dollar abführen muss. Es handelt sich ziemlich genau um die Summe, die eigentlich als Dividende ausgeschüttet werden sollte. Der russische Staat hätte den Löwenanteil davon erhalten, aber trotzdem nur die Hälfte. Ohne Ausschüttung bekommt er die ganze Summe. Ein weiterer Zufall?

Für das unabhängige russische Onlinemedium "The Bell" ist die Lage klar. Die Journalisten sprechen von einem besonders zynischen Plan, der im Kreml geschmiedet wurde. Von Aktionären, die bestohlen wurden. Denn die Übergewinnsteuer war lange so schwammig formuliert, dass nicht klar war, wie viel Geld Gazprom tatsächlich von seinem Rekordgewinnen abführen muss. Anfangs dachten Beobachter und Anleger, dass einmalig sieben Milliarden Dollar fällig werden. Erst nachdem die Ausschüttung der Dividende gestoppt wurde, stellte das russische Finanzministerium plötzlich klar: Ja, es werden sieben Milliarden Dollar fällig - allerdings im September, im Oktober und auch noch einmal im November.

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Ein dreister, aber dennoch legaler Diebstahl - der aus Sicht von Wladimir Putin sogar nachvollziehbar ist. Denn auch der russische Präsident weiß nicht, wie viel Geld Gazprom in diesem Jahr und in den kommenden noch verdienen wird. Noch kann er Europa mit Energielieferungen erpressen. Aber sobald der Gashahn einmal zugedreht ist, verliert Gazprom seine größte Geldquelle. Eine Entwicklung, die ohnehin vorgezeichnet ist, denn Deutschland und die anderen EU-Staaten suchen bereits weltweit nach Alternativen zum russischen Gas.

Spätestens, wenn diese Partnerschaften stehen, brechen die Einnahmen von Gazprom zusammen - und der Kreml muss sich andere Quellen suchen, um seine Löcher im Haushalt zu stopfen.

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Quelle: ntv.de

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