"Ich muss zu Hause essen" Russischer Oligarch klagt über "sinnlose" Sanktionen
29.03.2022, 18:03 Uhr
Michail Fridman versucht einen schwierigen Spagat: Er ist kein ausgesprochener Putin-Freund, greift den Kreml-Chef aber auch nicht direkt an.
(Foto: imago/ITAR-TASS)
Bis zum Ukraine-Krieg führt Michail Fridman ein Leben in Saus und Braus. Mit den Sanktionen des Westens ist Schluss damit. Das Milliardenvermögen eingefroren, Reisen verboten und Geld nur für das Nötigste: Der Unternehmer kann sich nicht damit anfreunden. Er findet es "kontraproduktiv".
Auf dem Papier ist Michail Fridman einer der reichsten Menschen Russlands. Laut Bloomberg Billionaires Index verfügt der in London lebende Oligarch über ein Vermögen von geschätzt 12,4 Milliarden Euro. Doch aktuell hat er wenig davon. Wie viele andere russische Oligarchen hat der Westen auch ihn nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine mit Sanktionen belegt. Dass er nun nur noch Geld für das das Notwendigste erhält, hält Fridman nicht nur für ungerecht, sondern auch für "kontraproduktiv", wie er der spanischen Zeitung "El Pais" sagt. Er ist überzeugt, dass der Westen mit den Sanktionen gegen russische Oligarchen einem großen Irrtum aufsitzt.
Seinen Unmut darüber, wie die Sanktionen sein Luxusleben verändert haben, hat Fridman in den vergangenen Wochen schon mehrmals Luft gemacht. Die Behörden in Großbritannien wiesen ihm einen Betrag zu, damit er Taxis nehmen und Essen kaufen könne, klagte er beispielsweise Anfang des Monats gegenüber der Finanzagentur "Bloomberg". Umgerechnet 2900 Euro könnte er bei der britischen Regierung als Lebensunterhalt beantragen, hieß es. Angesichts der hohen Lebenshaltungskosten wisse er aber nicht, ob das für ein "normales Leben ohne Exzesse" ausreichen würde.
"Ich kann nicht einmal jemanden in ein Restaurant ausführen. Ich muss zu Hause essen und stehe praktisch unter Hausarrest", beklagt er sich jetzt im Interview mit "El Pais". Wäre es ein wirklicher Hausarrest, wäre es immerhin einer der luxuriösen Art: Der russisch-israelische Unternehmer, der unter anderem die größte Privatbank Russlands gegründet hat, besitzt in London ein fünf Hektar großes Anwesen aus der viktorianischen Zeit, das er 2016 für umgerechnet 85 Millionen US-Dollar gekauft hat. Ob er unter den gegebenen Umständen die Villa weiter behalten und in London leben kann oder gezwungen ist zu gehen, weiß der Oligarch zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu sagen.
Was er weiß, ist, dass er die Behandlung von reichen Russen im Exil seit dem Ukraine-Krieg unfair findet. "Ich bin seit acht Jahren in London, ich habe Milliarden von Dollar in Großbritannien und anderen europäischen Ländern investiert, und die Antwort darauf ist, dass sie mir alles wegnehmen und mich rauswerfen", so Fridman gegenüber "El Pais". Er verweist auch auf den Schaden für seine insgesamt bis zu 500.000 Mitarbeiter, die nach seinen Worten für seine Unternehmen arbeiten.
"Es gibt keinen Klub der Oligarchen"
Der 57-jährige Gründer des multinationalen Mischkonzerns Alfa Group und der Investorengruppe Letter One führt weiter aus, dass es "idiotisch" sei zu glauben, die Oligarchen könnten den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu zwingen, die Aggression in der Ukraine zu beenden. Der Westen müsse verstehen, dass es verschiedene Arten von Russen gebe, die er nicht alle bestrafen könne. "Es gibt keinen Klub der Oligarchen. Wir sind alle unterschiedliche Menschen", betont Fridman gegenüber dem Blatt. "Wir waren ausschließlich auf das Geschäft fokussiert und wollten der Macht nie nahekommen."
Für Fridman handelt es sich um "Populismus", der zwar "sehr attraktiv" sei, aber aus praktischer Sicht seien Sanktionen kontraproduktiv, "weil er diese Unternehmer dazu dränge, nach Russland zurückzukehren, da sie nirgendwo anders hingehen können". Die Dinge würden für den Westen nicht besser, "wenn er viele brillante und interessante Unternehmer dazu zwingt, nach Russland zu gehen, anstatt sie stärker zu integrieren und zu versuchen, sie dazu zu bringen, Stellung zu beziehen".
Während Fridman einige Wirtschaftssanktionen für geeignet hält, um Druck auf die russische Wirtschaft auszuüben, sind die "unbegründeten und unfairen" Strafen der EU gegen Privatunternehmer in seinen Augen "sinnlos". Laut Reuters will er sie auch vor Gericht anfechten.
"El Pais" zufolge nimmt auch der Druck des Kreml auf im Westen lebende russische Unternehmer zu. Mitarbeiter berichten angeblich, dass Geheimdienstmitarbeiter bei ihren Chefs nachbohren, ob eine Rückkehr in die Heimat geplant sei. Fridman versucht einen gefährlichen Spagat. Er gehört einerseits zu den ersten Oligarchen, die sich kritisch über die russische Invasion in die Ukraine geäußert haben. Andererseits greift er Putin aber auch nicht direkt an. Auffällig ist beispielsweise, dass er das Wort "Krieg" nicht erwähnt. Damit folgt er dem politischen Kurs des Kreml. Die russische Bevölkerung darf das Wort nicht in den Mund nehmen, weil Putin es verboten hat.
Quelle: ntv.de, ddi