Wirtschaft

Startups verzweifelt gesuchtSo könnte Europa im KI-Wettrennen bestehen

14.12.2025, 09:22 Uhr image (2)Von Hannes Vogel
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Europa ist auf der Suche nach digitaler Souveränität. (Foto: picture alliance/dpa)

Europa hat Top-Talente, mehr Einwohner als die USA und jede Menge Ideen. Trotzdem dominieren die Tech-Riesen aus dem Silicon Valley den Kontinent. Für einen europäischen KI-Champion braucht es mehr Geld und Tempo. Einen Kandidaten gibt es bereits.

Als Daniel Ek im Jahr 2016 überlegte, wie er mit seiner Firma expandieren sollte, hatte er zwei Möglichkeiten: in Stockholm bleiben, wo er sein Startup zehn Jahre zuvor gegründet hatte. Oder mit dem Hauptsitz nach New York abwandern, wo ihn Mietvergünstigungen und einfachere Gesetze zur Mitarbeitervergütung lockten. Ek machte seinem Ärger in einem Brandbrief an die schwedische Regierung Luft: Er drohte, Tausende Jobs von Schweden in die USA zu verlagern, falls sich die Bedingungen nicht verbessern sollten. Ein Jahr später unterschrieb er einen Mietvertrag im neuen World Trade Center, mit fast 1000 neuen Arbeitsplätzen. Und ging an der Wall Street an die Börse statt in London oder Frankfurt.

Die Firma, um die es geht, ist heute der einzige Tech-Konzern von Weltrang, der seit dem Ende des Kalten Kriegs in Europa gegründet wurde: Spotify, ein Musikriese mit 280 Millionen zahlenden Abonnenten und mehr als 15 Milliarden Euro Umsatz. Und Ek ist einer der wenigen Gründer, die ihren Frust über die Rahmenbedingungen für Startups in Europa so öffentlich machen. Die meisten stimmen einfach still mit den Füßen ab: Zwischen 2008 und 2021 verlegten fast 30 Prozent der in Europa gegründeten "Einhörner", also Startups mit Marktbewertung über eine Milliarde US-Dollar, ihren Hauptsitz ins Ausland, vor allem in die USA.

Europa hat zwar eine Menge Wirtschaftsschwergewichte: LVMH und Siemens zum Beispiel. Aber zugleich ein Startup-Problem: Die meisten haben ihre Glanzzeit entweder hinter sich oder sind seit Jahrzehnten etablierte Industriegiganten. Selbst die Marktwerte der größten EU-Techfirmen wie ASML (rund 375 Mrd. Euro), SAP (240 Mrd. Euro) oder Telekom (135 Mrd. Euro) verblassen im Vergleich zu den Mega-Bewertungen der US-Tech-Riesen wie Nvidia (3,8 Bill. Euro), Apple (3,5 Bill. Euro) oder Alphabet (3,2 Bill. Euro). Wirklich Großes, Neues ist hierzulande lange nicht entstanden: Keine einzige Firma mit einem Marktwert von über 100 Milliarden Dollar wurde in den letzten 50 Jahren in Europa gegründet, beklagte schon der Draghi-Report im vergangenen Jahr.

Einzig Spotify hat seitdem die magische 100-Milliarden-Messlatte knapp überwunden. Im globalen Wettrennen um die KI-Vorherrschaft rächt sich diese Schwerfälligkeit nun. Deutschland und Europa hinken weit hinterher. Die Tech-Riesen im Silicon Valley liegen fast uneinholbar vorn und werden zugleich immer mehr Teil der Umbaupläne der Trump-Regierung. Für echte digitale Souveränität bräuchte es eine Alternative zu ChatGPT, die zum europäischen KI-Champion werden könnte. Dafür müsste Europa nicht nur all seine Kräfte bündeln, sondern seine Tech-Szene beleben.

Amerikas finanzielle Feuerkraft ist unerreicht

Eigentlich hat Europa fast alles, was es dazu braucht. Mit rund 450 Millionen Menschen hat der Kontinent nicht nur 30 Prozent mehr Einwohner und damit zahlungskräftige Kunden als die USA. Talente gibt es genug: Nick Turley, der Produktchef von ChatGPT, kommt aus Schleswig-Holstein. Mistral-Gründer Arthur Mensch hat jahrelang bei Googles britischem KI-Labor Deepmind gearbeitet. Auch eine Menge vielversprechender KI-Hoffnungen wie 11Labs, Lovable, BlackForestLabs, Synthesia oder n8n gibt es. Doch damit sie zu Global Playern werden können, fehlt vor allem eines: Kapital.

Genau wie Spotify vor zehn Jahren hat auch die Firma Black Forest Labs, die einen der besten Bildgeneratoren der Welt entwickelt hat, inzwischen zwei Niederlassungen: in Freiburg und in San Francisco. Ab einer gewissen Größe scheint es für europäische Startups kaum mehr ohne Geld aus den USA zu gehen. Dort flossen laut dem State of European Tech-Report allein im ersten Dreivierteljahr rund 177 Mrd. Dollar in Startups - viermal mehr als in Europa (33 Mrd. Dollar). Das Investmentvolumen hat sich damit in diesem Jahr in Übersee dank des KI-Booms faktisch verdoppelt, in Europa dagegen aber nur um sieben Prozent zugelegt. Insgesamt mobilisieren die USA damit im Verhältnis zu ihrer Wirtschaftskraft mehr als sechsmal so viel Wagniskapital wie Europa.

Und auch die Startups, die bleiben, werden stark aus den USA finanziert. Die deutsche KI-Hoffnung DeepL aus Köln etwa, die mit Übersetzungen Google Translate Konkurrenz macht, ist massiv von US-Geldgebern abhängig. Und selbst die französische KI-Schmiede Mistral, die als europäische Antwort auf OpenAI gilt, hat zwar kürzlich 1,7 Mrd. Euro eingesammelt. Doch die Geldgeber sind abgesehen vom holländischen Tech-Giganten ASML, der französischen Staatsbank BPI und der deutschen Bertelsmann-Gruppe vor allem US-Investoren wie Nvidia, Andreesen Horowitz oder Salesforce.

Jeder in Europa kämpft für sich allein

"Das Problem ist nicht, dass es in Europa an Ideen oder Ehrgeiz mangelt", konstatierte schon Ex-EZB-Chef Mario Draghi in seinem Bericht. "Es ist nicht möglich, Innovationen zu kommerzialisieren, und innovative Unternehmen, die in Europa expandieren wollen, werden in allen Phasen durch uneinheitliche und restriktive Vorschriften behindert." Während in den USA ein gemeinsamer Markt existiert, für den die US-Regierung die Regeln setzt, kochen in Europa 27 verschiedene Regierungen immer noch viel zu stark ihr eigenes Süppchen.

Technologieförderung wird daher weiterhin zu stark als nationale Interessenvertretung verstanden. So ist es auch beim KI-Ausbau: bis zu fünf sogenannte Giga-Fabriken mit mehr als 100.000 KI-Chips will die EU bis 2027 mit insgesamt 20 Milliarden Euro fördern. 76 Interessenbekundungen sind eingegangen. Doch wer den Zuschlag erhält, dürfte zum Politikum werden: Im Gespräch sind 60 verschiedene Standorte aus 16 verschiedenen Ländern wie etwa das Mega-Rechenzentrum der Schwarz-Gruppe in Lübbenau oder ein Telekom-Standort in NRW.

Zudem sind Europas Regierungen bislang nicht bereit - oder aufgrund ihrer Verschuldung nicht in der Lage - die nötigen Ressourcen für einen massiven KI-Ausbau zu mobilisieren, mit dem Europa zu den USA konkurrenzfähig wird. Frankreich etwa will bei Paris zusammen mit Mistral und Nvidia den größten KI-Campus Europas bauen, der sich mit einer Kapazität von 1,4 Gigawatt selbst mit US-Projekten wie "Stargate" von OpenAI in Texas messen könnte. Pikanterweise ist dabei aber nicht nur die französische Staatsbank BPI Geldgeber, sondern der Staatsfonds MGX aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.

In Deutschland sieht es ähnlich aus: Von den 500 Milliarden Euro aus dem deutschen Infrastruktur-Sondervermögen sind bislang keinerlei Mittel für den KI-Ausbau vorgesehen. Die nationale Rechenzentrumsstrategie, die die Regierung Merz schon im Sommer angekündigt hatte, verzögerte sich monatelang.

Mistral hat jetzt eine Chance

Um zu den USA aufzuschließen, wird Europa nichts weiter übrigbleiben, als ähnlich massiv in seine digitale Unabhängigkeit zu investieren wie in seine militärische Verteidigungsfähigekit. Und dabei seine Kräfte zu bündeln. Die ersten Ansätze dazu existieren bereits: Mit SAP und Mistral haben zwei der größten Tech-Schwergewichte Europas eine Partnerschaft vereinbart. Und mit ASML, dem niederländischen Hersteller von Lithografie-Maschinen zur Chipherstellung, als strategischem Investor tun sich für die französische KI-Schmiede neue Möglichkeiten auf.

Nicht nur ist es ein hoffnungsvolles Zeichen, wenn mit ASML der inzwischen nach Börsenwert größte EU-Konzern 1,3 Milliarden Euro in Mistral investiert und damit zum größten Ankeraktionär aufsteigt. Durch die strategische Partnerschaft hat Mistral nun Zugang zu einer der wichtigsten Firmen der Halbleiterbranche - und kann damit womöglich perspektivisch einmal eigene KI-Chips entwickeln, wie es Google, Meta und Amazon schon längst machen. Die Tür für einen europäischen KI-Champion steht damit zumindest offen.

Quelle: ntv.de

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