Wirtschaft

Datenkolonie oder souveränes Land?Deutschland hinkt im KI-Wettrennen weit hinterher

03.12.2025, 19:27 Uhr image (2)Von Hannes Vogel
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In Texas hat der Bau eines Rechenzentrums begonnen, dessen Kapazität größer sein wird als die aller geplanten KI-Rechenzentren in Deutschland zusammen. (Foto: AP)

Nicht nur in den USA, auch hierzulande entstehen im Eiltempo gigantische KI-Rechenzentren. Doch wenn Deutschland und Europa die Aufholjagd gegen OpenAI, Meta und Google gewinnen wollen, müssen sie sich mächtig strecken.

Das Kraftwerk Lübbenau ist schon seit über 30 Jahren vom Netz. Seit den 90er Jahren haben Sprengteams erst die 140 Meter hohen Schornsteine und dann die Maschinenhallen und Kraftwerksblöcke des Kombinats in die Luft gejagt. Doch eine neue industrielle Revolution erweckt das Gelände des DDR-Industriegiganten aus den 50er Jahren nun wieder zum Leben. In der Lausitz, mitten im ehemaligen Braunkohlerevier, könnte auf den Ruinen des einstigen volkseigenen Betriebs womöglich schon bald das neue digitale Herz der deutschen Wirtschaft schlagen.

Die Schwarz-Gruppe, zu der unter anderem Lidl und Kaufland gehören, will in Lübbenau bis 2027 eines der größten und modernsten KI-Rechenzentren Deutschlands bauen. Seit 1996 steht auf dem ehemaligen Kraftwerksgelände bereits eine der größten Logistikhallen der Supermarktkette Kaufland, in der mehr als 1100 Menschen arbeiten. Nun sollen auf dem 13 Hektar großen Gelände bald auch Serverhallen emporschießen, vollständig betrieben mit Ökostrom aus Solaranlagen, die ihre Abwärme ins städtische Wärmenetz einspeisen. 11 Milliarden Euro will die Schwarz-Gruppe in das neue Rechenzentrum stecken - die größte Investition der Firmengeschichte.

Einen "Riesenbaustein" für digitale Souveränität nennt Digitalminister Karsten Wildberger das Rechenzentrum. Die Schwarz-Gruppe baut es zunächst für den Eigenbedarf: die Verarbeitung von Kundendaten von Lidl und Kaufland. Dennoch könnte womöglich hier im brandenburgischen Nirgendwo, am Rande einer Kleinstadt mit 15.000 Einwohnern im Spreewald, der Grundstein für Europas technologische Unabhängigkeit von den USA gelegt werden - auch wenn es bis dahin noch ein extrem weiter Weg ist.

Auch Deutschland macht Druck beim KI-Ausbau

In Übersee pumpen die Tech-Giganten aus dem Silicon Valley Billionen von Dollar in den Bau riesiger Supercomputer, um überwältigende Rechenpower für die KI-Revolution zu erlangen und ihre globale Dominanz so auf Jahre zu zementieren. Deutschland und die EU versuchen, in diesem globalen KI-Wettrennen nach Kräften gegenzuhalten: Bis zu 5 sogenannte Giga-Fabriken mit mehr als 100.000 KI-Chips will Brüssel bis 2027 mit 20 Milliarden Euro fördern.

Die erste könnte womöglich im Spreewald entstehen. Denn aus Deutschland hat neben dem Cloud-Anbieter Ionos, der Blue-Swan-Initiative, die vom Land Bayern unterstützt wird, und der Telekom auch die Schwarz-Gruppe mit dem Rechenzentrum in Lübbenau Interesse auf die EU-Gelder angemeldet. Um die Kräfte zu bündeln, wollen Telekom und Schwarz-Gruppe ihre Kräfte laut "Handelsblatt" nun in einer gemeinsamen Bewerbung für eines der Mega-Rechenzentren bündeln. Sollte es dazu kommen, würde das die Chancen des KI-Centers auf dem alten DDR-Kraftwerksgelände nochmal deutlich erhöhen.

Schon beim Spatenstich schielte die Schwarz-Gruppe deutlich darauf, den EU-Ritterschlag als KI-Gigafactory für ihr Rechenzentrum in Lübbenau zu erhalten: Es sei "modular erweiterbar" und könne bis zu 100.000 KI-Chips beherbergen, heißt es in der Pressemitteilung - so wie es die EU in ihrer Beschreibung der KI-Gigafactories vorsieht. Solche Rechenpower gibt es bislang nirgendwo in Europa: Selbst die Server des französischen KI-Einhorns Mistral bei Paris sollen auf 18.000 Nvidia-GPUs laufen. Der größte KI-Supercomputer namens "Jupiter" am Forschungszentrum Jülich bringt es auf 24.000 Nvidia-Grace-Hopper-Superchips.

Und auch im zweiten deutschen KI-Flaggschiff, dem ersten Serverzentrum für industrielle Anwendungen in München, das Telekom und Nvidia vor kurzem aus der Taufe gehoben haben, sollen ab 2026 zunächst 10.000 GPUs online gehen. Hier werden keine Urlaubsfotos, Kundendaten oder Chat-Anfragen verarbeitet, sondern Firmen simulieren ihre Fabriken und Produkte virtuell, um Abläufe zu optimieren und Kosten zu sparen. Auch der einzige europäische Tech-Gigant SAP ist beteiligt. Eine Milliarde Euro will die Telekom in die KI-Fabrik stecken - rund ein Fünftel ihrer jährlichen Investitionsausgaben.

Die US-Tech-Giganten liegen fast uneinholbar vorn

Doch all diese Summen verblassen im Vergleich zu der Blitzgeschwindigkeit, mit der die Tech-Giganten in den USA den KI-Ausbau vorantreiben. Elon Musks xAI etwa läuft schon heute auf rund 200.000 Nvidia-Chips in Memphis. Allein im ersten Stargate-Supercomputer im texanischen Abilene will OpenAI 400.000 KI-Chips zusammenschalten - viel mehr als in allen geplanten deutschen KI-Zentren zusammen. Nach der Fertigstellung soll der Supercomputer 1,2 Gigawatt Strom verbrauchen. Das Rechenzentrum der Schwarz-Gruppe in Lübbenau ist zwar riesig, bringt es in der ersten Ausbaustufe aber auf gerade mal 0,2 Gigawatt.

Deutschlandweit sind laut dem Digitalverband Bitkom heute insgesamt rund drei Gigawatt Rechenleistung online. Bis 2030 soll die deutsche Anschlussleistung um rund 67 Prozent auf knapp 5 Gigawatt zulegen - nahezu eine Verdopplung im Vergleich zum Jahr 2024. Der Anteil der KI-Rechenleistung wird sich bis dahin laut Bitkom auf gut zwei Gigawatt vervierfachen. Doch all das ist nichts im Vergleich zur Rechenpower-Revolution in den USA.

Allein Metas gigantisches "Hyperion"-Datenzentrum in Louisiana soll ab 2028 online gehen und am Ende eine Kapazität von 5 Gigawatt erreichen - soviel wie die gesamte deutsche Rechenleistung, die Bitkom bis dahin prognostiziert. Die deutsche Wachstumsrate von 67 Prozent kann sich im Vergleich mit 68 Prozent in China oder 98 Prozent in den USA zwar durchaus sehen lassen. Doch die US-Tech-Giganten starten von einem viel höheren Niveau: Schon heute ist in den USA mit 48 Gigawatt etwa 16-mal so viel Rechenpower am Netz wie in Deutschland. 2030 wird sich der US-Vorsprung - trotz deutschem KI-Ausbau im Eiltempo - fast auf den Faktor 20 vergrößern. Denn jedes Jahr werden laut Bitkom in den USA mehr als viermal soviele Kapazitäten hinzugebaut, wie in Deutschland überhaupt installiert sind.

Insgesamt steht Europa zwar etwas besser da: Verglichen mit dem gesamten Kontinent ist in den USA "nur" dreimal soviel Rechenleistung online. Doch trotz aller EU-Fördermittel für die Gigafabriken wird Europa bis 2030 im KI-Wettrennen sogar noch leicht zurückfallen - auf etwas weniger als ein Drittel der US-Rechenkapazitäten. "Beim Thema Rechenzentren müssen Bund und Länder 'all in' gehen und die Investitionshürden radikal senken", fordert daher Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. "Hier entscheidet sich, ob Deutschland zur Datenkolonie wird oder auch im digitalen Zeitalter ein souveränes Land bleibt."

Quelle: ntv.de

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