Exodus ausländischer Investoren So profitieren russische Milliardäre vom Ukraine-Krieg
10.02.2023, 13:58 Uhr
Die Oligarchen folgen dem Willen von Kreml-Chef Wladimir Putin: Sie investieren.
(Foto: picture alliance/dpa/Pool Sputnik Kremlin/AP)
Nach dem Abzug großer internationaler Firmen muss Russland viele Lücken schließen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Es schlägt die Stunde für Putins Oligarchen, vorausgesetzt sie stehen auf keiner Sanktionsliste. Sie investieren - weil der Kreml-Chef es will und Schnäppchen locken.
Die russische Unternehmenslandschaft sortiert sich neu. Viele ausländische Firmen, angefangen bei Exxon bis hin zu McDonald's, haben dem Land im vergangenen Jahr wegen des Einmarschs in die Ukraine den Rücken gekehrt. In der Wirtschaft klaffen große Lücken. Erstmals seit Jahrzehnten hätten vor allem russische Unternehmer aus der zweiten Reihe die Chance, Bastionen in der Wirtschaft zu erobern, die zuvor in fester Hand großer Platzhirsche waren, schreibt das Finanzportal Bloomberg.
Die russischen Unternehmer stünden "unter politischem Druck, die Vermögenswerte von ausscheidenden Investoren zu kaufen", ihnen böte sich aber auch die Gelegenheit, "Vermögenswerte billig zu erwerben", zitiert das Portal Chris Weafer, Chef der Unternehmensberatung Macro Advisory. Möglichkeiten gibt es reichlich. Insgesamt 830 internationale Firmen haben Russland infolge der Ukraine-Invasion den Rücken gekehrt, wie aus einer Auflistung der Yale School of Management hervorgeht. Von ihnen haben sich 335 vollständig zurückgezogen - darunter auch deutsche Unternehmen wie Aldi, Daimler und DB Schenker.
Der russische Investor und Gründer mehrerer großer Unternehmen Iwan Tawrin zählt zu denen, die die Gunst der Stunde nutzen. Seit einem Jahr investiert der 46-Jährige in großem Stil in ausländische Unternehmen, deren Besitzer das Land verlassen wollen. Tawrins Vorteil: Er gehört zwar zum Umfeld bekannter sanktionierter Oligarchen, wie beispielsweise Alischer Usmanow. Sein Name findet sich aber auf keiner der drei Sanktionslisten. Usmanow, zwischenzeitlich der fünftreichste Mensch des Landes, steht auf den Listen der sanktionierten Personen der USA, der EU und Großbritannien. Den Firmen der entsprechenden Länder ist es untersagt, mit ihm Geschäfte zu machen.
Oligarchen auf Einkaufstour
Tawrins Firma Kismet Capital Group hatte nur wenige Monate bevor Russland in die Ukraine einmarschierte, einen unabhängigen Betreiber von Mobilfunkinfrastruktur gekauft. Ob sich die Invesition in Sendemaste ausgezahlt hat, ist nicht bekannt. Die beiden skandinavischen Telekomausrüster Nokia und Ericsson, die fast die Hälfte der Basisstationen in Russland betrieben haben und ein breites Produktspektrum abdeckten, haben den russischen Markt mittlerweile aber ebenfalls verlassen und ein Vakuum hinterlassen.
Seit Ausbruch des Krieges hat der Moskauer Unternehmer noch weitere 2,3 Milliarden US-Dollar in Technologieunternehmen investiert, die den Angaben zufolge durchaus lohnenswert waren. Tawrin kaufte das russische Kleinanzeigengeschäft Avito von der niederländischen Prosus, einem der größten Technologieinvestoren der Welt, sowie eine Online-Rekrutierungsplattform, zu deren Anteilseignern auch Goldman Sachs gehört.
Mit umgerechnet 2,1 Milliarden Dollar war Avito ein Schnäppchen. Vor dem Ukraine-Krieg wurde das Unternehmen noch mit dem Dreifachen bewertet. Finanziert wurde der Deal von der Russian Agricultural Bank, die von der Bank of Russia kontrolliert wird. Sie profitiert von einer Ausnahmeregelung bei den verhängten Sanktionen, weil sie eine Schlüsselrolle bei der Finanzierung von Lebensmittelexporten spielt. Weniger Glück hatte Tawrin mit seinen Ambitionen, die russischen McDonald's-Restaurants zu kaufen. Hier kam er nicht zum Zuge.
Insider: Oligarch verhandelt mit VW
Der Exodus internationaler Firmen aus Russland geht unterdessen weiter. Auch Volkswagen erwägt mittlerweile den kompletten Rückzug aus Russland. Nach dem VW-Werk in Kaluga soll sich bereits einer der reichsten Menschen Russlands, der Gründer und Mehrheitseigentümer des Mischkonzerns Sistema, Wladimir Jewtuschenkow, die Finger lecken. Die Gespräche zwischen dem Oligarchen und dem deutschen Autobauer über einen Kauf sollen schon laufen. Zwar steht der Name Jewtuschenkow auf der britischen Liste der mit Sanktionen belegten Personen, für ein EU-Unternehmen dürfte das jedoch kein Hindernis sein.
Insgesamt steckt Russland die vom Westen verhängten Sanktionen besser weg als erwartet. Geld und heimische Investoren scheinen nach einem Jahr Ukraine-Krieg vorhanden. "Kurzfristig scheint definitiv eine Russifizierung der Geschäftslandschaft stattzufinden", zitiert Bloomberg Liana Semchuk, Analystin bei der britischen Beratungsfirma Sibylline. Kreml-Chef Wladimir Putin sei es geglückt, Geld der Wirtschaftselite ins Land zurückzuholen und so die Folgen der Sanktionen abzumildern. Für die Milliardäre gibt es aber auch eine Kehrseite der Medaille: Es gebe nicht viele Anzeichen dafür, "dass diese Geschäftsleute in der Lage sein werden, das gleiche Maß an Wohlstand und Freiheit zu erreichen, das sie vor dem Krieg hatten". Schnäppchen hin oder her, Russlands Wirtschaft ist in hohem Maße abhängig von westlicher Technologie. Und wegen der Sanktionen stockt der Nachschub.
Quelle: ntv.de, ddi