Wirtschaft

Effekte der Games-Branche Wie Zocken die Wirtschaft stärkt

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Offenbar angetan von der neuen Technik - mehr Fördergelder lehnt "Games-Minister" Habeck aber ab.

Offenbar angetan von der neuen Technik - mehr Fördergelder lehnt "Games-Minister" Habeck aber ab.

(Foto: REUTERS)

Die Gaming-Industrie verbessert maßgeblich Soft- wie Hardware, davon profitiert die Old Economy ebenso wie Medizin oder Bundeswehr. Der aktuelle KI-Schub ist auch Computerspielen zu verdanken. Und wer im Games-Bereich arbeitet, kann für andere Branchen eine wertvolle Fachkraft sein.

Mehr als 37 Millionen Menschen in Deutschland spielen Video- und Computerspiele. Am PC, an der Konsole, am Handy. Eigentlich fruchtbarer Boden für heimische Entwickler. Doch: Im Mai endete "Games-Minister" Robert Habecks Millionen-Förderung für die Branche - die Summen waren ausgeschöpft. "Zu anderen Standorten der Welt befinden wir uns in einer Aufholjagd, die droht von der Regierung nun wieder abgewürgt zu werden", sagt dazu Felix Falk, Geschäftsführer des Branchenverbands mit Sitz in Köln. Dort lief bis Sonntag die Gamescom, die größte Videospiel-Messe der Welt. In elf riesigen Hallen stellten 1.220 Aussteller aus 63 Staaten ihren Fans Weltneuheiten vor. Und in den Konferenzsälen eine Etage darüber diskutierten Politiker, Entwickler und Industrievertreter einen für viele bisher unbekannten Begriff: den Spillover-Effekt.

Ein Spillover-Effekt ist im Grunde genommen ein wirtschaftliches Ereignis, das sich auf andere Bereiche auswirkt. Zum Beispiel: Wenn eine Mülldeponie unangenehme Gerüche verbreitet, betrifft das die Nachbarn. Das ist ein negativer Spillover-Effekt. Andererseits kann die angenehme Atmosphäre eines Blumenladens positive Auswirkungen auf die Umgebung haben, das wäre dann ein positiver Spillover. In den Wirtschaftswissenschaften gibt es ein ähnliches Konzept, das als Technologie-Spillover bezeichnet wird.

Seit 2017 veröffentlicht das Schweizer International Institute for Management Development das "World Digital Competitiveness Ranking". Darin bewertet es 63 Länder nach ihrer digitalen Wettbewerbsfähigkeit. Und im Ranking für 2022 belegt Deutschland dabei nur den 19. Platz. Die bisher schlechteste Platzierung.

Fördergelder nach dem Windhund-Prinzip

Die Lösung, so sieht man es zumindest auf der Gamescom: die Videospiel-Branche. Im ersten Halbjahr 2023 wuchs sie um vier Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Längst ist sie mit knapp 10 Milliarden Euro Jahresumsatz zu einem wirtschaftlichen Faktor geworden. Ihre Bedeutung reicht jedoch weit über die bloße Unterhaltung hinaus. Die Spillover-Effekte der Games-Branche erstreckten sich auf eine Vielzahl von Bereichen, von der Technologie über die Bildung bis hin zur Kultur, so Michael Kellner, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Er nennt Gamification, also die Methode, anspruchsvolle Aufgaben spielerisch zu erleichtern. Beispiele hierfür sind Apps, mit denen Geflüchtete die deutsche Sprache erlernen können oder die spielerische Darstellung von Aufgabenbearbeitung in der Verwaltung.

"Games sind Treiber für Innovationen und Digitalisierung. Das Land muss schnell werden. Wir sind nicht mehr in den 90ern. In der Politik scheinen manche noch in dieser Zeit zu stecken", sagte er auf einem Panel am Rande der Messe. Die Förderung der Branche wolle man nun evaluieren. Ein Problem: Bisher galt das Windhund-Prinzip. Wer zuerst Bedarf anmeldete, bekam diesen auch zuerst ausgezahlt. So sicherten sich auch große, weniger bedürftige Studios Millionen an Euro. Das Wirtschaftsministerium denke deshalb über andere Fördermethoden nach. Zum Beispiel: Steuererleichterungen für die ganze Branche. "So ließe sich das für alle Beteiligten nervige Stop-and-go beenden."

Wer Games entwickelt, betreibt Wirtschaftsforschung

Die Gaming-Industrie hat maßgeblich zur Entwicklung und Verfeinerung verschiedener Technologien beigetragen. Grafikkarten, Prozessoren und andere Hardware-Komponenten wurden stetig verbessert, um den wachsenden Ansprüchen der Entwickler und Gamer gerecht zu werden. Die Folge: merkliche Fortschritte bei medizinischer Bildgebung, bei künstlicher Intelligenz und bei Virtual Reality. Der Hunger nach immer realistischeren Spielen hat die Leistungsgrenze der Hardware immer wieder verschoben und dabei innovative Lösungen gefunden, die andere Branchen übernommen haben.

Oft sei das der Industrie aber gar nicht bewusst, sagt Iris Plöger vom Bundesverband der Deutschen Industrie. "Bei Rheinmetall zum Beispiel sitzen Soldaten vor Bildschirmen, auf denen eine Engine läuft, die eigentlich für Top-Games entwickelt wurde." Eine Engine ist ein Software-Framework, das in erster Linie für die Entwicklung von Videospielen entwickelt wurde. Es umfasst Archive und Hilfsprogramme, wie zum Beispiel Level-Editoren. Mit diesen lassen sich auch echte Kampfhandlungen simulieren.

Dafür nutzt man sogenannte digitale Zwillinge, Kopien der Wirklichkeit, die physikalischen Regeln folgen. Dies können digitale Abbilder von physischen Gegenständen, wie industrieller Ausrüstung und Maschinen, Fahrzeugen, aber auch Gebäuden und sogar medizinische Patienten sein.

"Fachkräfte werden abgeworben"

Die Gaming-Industrie generiert Milliarden an Umsatz und schafft Arbeitsplätze in verschiedenen Bereichen. Hierzu zählen nicht nur die offensichtlichen wie Softwareentwicklung und Grafikdesign, sondern auch weniger sichtbare Bereiche wie Marketing und E-Sport. Programmierer und Designer entwickeln die Spiele, Marketingfachleute sorgen dafür, dass sie sich verkaufen. Auch der aufstrebende Sektor "E-Sport", in dem professionelle Spieler in Wettbewerben antreten, bietet neue Karrieremöglichkeiten.

Wer einmal in diesem Kontext gearbeitet hat, dem öffnen sich Türen in andere Branchen. "Immer wieder höre ich von Gaming-CEOs", so Michael Kellner, "dass ihre Fachkräfte von der Industrie abgeworben werden". Es bestehe ein regelrechtes Wettbieten um die Expertise und Erfahrung von Entwicklern. Und vor allem die junge Generation begeistert sich für die Neuheiten. Lange Schlangen bilden sich bei der Gamescom an den Ständen mit VR-Brillen und Motion Controllern. Sie interessiert nicht nur der Spaß, sondern auch die Technik innerhalb der Geräte.

Dazu treibt die Branche auch Forschung und Innovation voran. Von Physiksimulationen über komplexe KI-Algorithmen bis hin zur Erforschung interaktiver Erzählformen bieten Spiele eine Plattform für experimentelle Technologien und Ideen. Die Notwendigkeit, immersive und überzeugende Spielerlebnisse zu schaffen, hat dazu geführt, dass Forschung und Entwicklung in Richtungen gelenkt wurden, die weit über die Grenzen virtueller Welten hinausreichen.

Bildung und Gesundheitswesen profitieren

Spiele haben sich als effektives Werkzeug für Bildung und Lernen erwiesen. Serious Games und Bildungssimulationen werden zunehmend in Schulen und Unternehmen eingesetzt, um komplexe Konzepte auf ansprechende und interaktive Weise zu vermitteln. Spieler lernen nicht nur Fakten, sondern auch Problemlösung, kritisches Denken und Teamarbeit, während sie in virtuellen Umgebungen agieren.

Auch im Gesundheitswesen findet Gaming-Technologie Anwendung. Gamification-Elemente werden verwendet, um Patienten zur Einhaltung von Medikamentenplänen zu motivieren und ihre Genesung zu unterstützen. Darüber hinaus werden Virtual-Reality-Spiele für physiotherapeutische Zwecke eingesetzt, um Patienten bei der Rehabilitation von Verletzungen zu helfen. Diese Technologien können Patienten motivieren und ihre Beteiligung verbessern.

Gerade in der Altersgruppe über 50 Jahren sind viele Menschen digital wenig kompetent. In Deutschland, wo fast 45 Prozent der Bevölkerung zu dieser Gruppe gehören, ist das ein besonderes Problem. Die Ergebnisse einer Studie des Institute of Electrical and Electronics Engineers zeigen, dass ein hoher Konsum von Handyspielen die Digitalkompetenz erhöht. Vor allem bei älteren Nutzern oder solchen mit wenig Handy-Erfahrung zeigt sich dieser Spillover-Effekt.

Die Gaming-Branche kann mehr sein als reine Unterhaltung. In einer Welt, die immer digitaler wird, spielt auch diese Branche eine immer größere Rolle - nicht nur für Gamer. Der Games-Minister Robert Habeck sieht das eigentlich auch so. Bei einem Rundgang auf der Messe bekräftigt er trotzdem noch einmal: Es wird nicht mehr Förderungen geben.

Dieser Text erschien zuerst bei capital.de

Quelle: ntv.de

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