Wirtschaft

Helpcheck-Gründer im Interview "Wir konzentrieren uns auf komplexe Rechtsthemen"

Dass andere Juristen bei der Digitalisierung so stark hinterherhinken, verschafft Unternehmen wie Helpdesk, deren Software etwa Anklageschriften weitgehend automatisch erstellt, Vorteile.

Dass andere Juristen bei der Digitalisierung so stark hinterherhinken, verschafft Unternehmen wie Helpdesk, deren Software etwa Anklageschriften weitgehend automatisch erstellt, Vorteile.

(Foto: imago images/U. J. Alexander)

Fluggastrechte oder Mietminderungen: Für viele einfache Streitfälle haben sich Legal-Tech-Firmen, die Verbrauchern mithilfe weitgehend digitaler Prozesse zu ihrem Recht verhelfen, längst durchgesetzt. Doch inzwischen nehmen sie auch komplexere Fälle an. Das Unternehmen Helpcheck verfolgt illegale Glücksspielanbieter bis nach Malta.

Fluggastrechte oder Mietminderungen in Standardfällen: Für solche Probleme haben sich Legal-Tech-Firmen - Startups, die Verbrauchern mithilfe stark standardisierter Prozesse zu ihrem Recht verhelfen - längst durchgesetzt. Doch inzwischen nehmen sie auch komplexere Fälle an. Der Gründer von Helpcheck erzählt ntv.de, wie das Unternehmen etwa illegale Glücksspielanbieter bis nach Malta verfolgt.

ntv.de: Legal Techs haben sich etwa beim Thema Entschädigungen für Flugverspätungen oder Durchsetzung der Mietpreisbremse etabliert. Ist mit der Abdeckung dieser Verbraucherthemen ein Ende des Booms der Branche absehbar?

Peer Schulz ist Managing Director und Mitgründer von Helpcheck.

Peer Schulz ist Managing Director und Mitgründer von Helpcheck.

(Foto: Helpcheck)

Peer Schulz: Insgesamt steht die Digitalisierung im Justizwesen noch ganz am Anfang. Die Rechtsprechung ist technologisch gerade im 19. Jahrhundert angekommen. Entsprechend groß ist das Potenzial für digitale Geschäftsmodelle. Ich sehe mehrere Richtungen, in die sich die Branche weiterentwickelt. Vor allem neue, komplexere Rechtsgebiete. Daneben entstehen neue Geschäfts- und Kooperationsmodelle etwa Partnerschaften mit Rechtsschutzversicherungen.

Grundlage des Geschäftsmodells von Legal-Tech-Unternehmen ist die Skalierbarkeit, eine weitgehende Standardisierung und Digitalisierung der Prozesse. Bei der meist außergerichtlichen Durchsetzung von Fluggastrechten scheint das einfach. Stößt dieser Ansatz bei komplexeren Rechtsgebieten nicht schnell an seine Grenzen, insbesondere wenn die Fälle regelmäßig vor Gericht landen?

Wir konzentrieren uns bei Helpcheck gezielt auf solche komplexeren Rechtsgebiete, die nicht im Fokus der Branche stehen. Der Aufwand ist deutlich größer. Dafür gibt es aber etwa beim Thema Rückabwicklung fehlerhafter Lebensversicherungsverträge nur noch wenige Wettbewerber. Das ist auch bei Glücksspiel-Verlusten im Internet ähnlich, was wir als neues Rechtsgebiet jetzt angehen.

Wie gehen Sie dabei vor?

Kurz zur Erklärung: Viele Anbieter von Glücksspielen im Internet haben nach deutschem Recht keine gültige Lizenz und bieten ihre Dienste damit illegal an. Das heißt, die Verbraucher können ihre Verluste komplett zurückfordern. Zum einen wissen das aber nur wenige der Betroffenen. Und zum anderen ist es für den einzelnen Verbraucher fast unmöglich, diesen Anspruch durchzusetzen, da die Anbieter in der Regel in Ausland - meist auf Malta - sitzen und auf entsprechende Forderungen nicht reagieren. Wir haben zunächst einige Fälle gemeinsam mit Anwälten in Deutschland und Malta durchgefochten, um Erfahrungen zu sammeln und zu testen, in welchem Verhältnis Aufwand und Ertrag stehen. Dann haben wir ein Netzwerk aus Partneranwälten in Deutschland und Malta aufgebaut, Software zur effizienten Bearbeitung der Fälle entwickelt und investieren schließlich in notwendige Werbung etwa in sozialen Netzwerken, um die Betroffenen anzusprechen und über ihre Ansprüche aufzuklären.

Dieser Aufwand - unter anderem Werbung, Anwalts- und Gerichtskosten in zwei Ländern - lohnt sich demzufolge für Sie?

Zu dem Aufwand gehören in dem Fall übrigens oft noch aufwendige Inkasso-Verfahren, da die Unternehmen auch nach verlorenen Gerichtsverfahren häufig nicht zahlen, Insolvenz anmelden und unter anderem Namen weitermachen. Doch es lohnt sich - für uns und für die betroffenen Verbraucher. Legal Techs wie wir stellen in solchen Fällen überhaupt erst wieder ein Gleichgewicht zwischen Unternehmen und Verbrauchern her.

Sehen Sie darin eine "Mission" von Legal Techs?

Ja, mithilfe von Legal Techs können Verbraucher Ansprüche gegen Unternehmen durchsetzen, gegenüber denen sie sonst weitgehend chancenlos wären. Und das ohne Risiko für die Verbraucher, denn nur im Erfolgsfall werden wir am Streitwert beteiligt. Ein anderes Beispiel ist der Fahrer eines Lieferdienstes, der ohne Abfindung entlassen wurde. Offenbar dachte der Arbeitgeber, dass der Mann, der auch kaum Deutsch spricht, seinen Anspruch entweder nicht kennen oder zumindest nicht vor Gericht durchsetzen würde. Mit unserer Hilfe und unserem Partneranwalt konnte er das allerdings einfach und ohne Prozesskostenrisiko.

Worin liegt die Skalierbarkeit, die besondere Effizienz in solchen Fällen bei Ihnen gegenüber traditionellen Anwaltskanzleien?

In der Software. Wir haben eine eigene Software entwickelt, die den Prozess von der Aufnahme der Angaben potenzieller Mandanten über die Prüfung der einzelnen Fälle durch die Partneranwälte bis zur Erstellung der Klageschrift weitgehend automatisiert. Für eine Klageschrift bei einem fehlerhaften Lebensversicherungsvertrag braucht der Anwalt mithilfe unserer Software nur zehn Minuten. Die Formulierung übernimmt fast vollständig die künstliche Intelligenz, die sich dazu aus Millionen von Bausteinen von Urteilen und Klageschriften bedient. Wir wissen, dass die Anwälte der Gegenseite für ihre Schreiben dagegen oft mehrere Arbeitsstunden brauchen. Diese Effizienz ist einer der Gründe, dass unsere Anwälte es mit den riesigen Rechtsabteilungen der Versicherungskonzerne aufnehmen können.

Auch wenn Legal Techs sich in einigen Bereichen bereits durchgesetzt haben, ist das Geschäftsmodell grundsätzlich immer noch Gegenstand von Prozessen. Auch gegen Helpcheck ist ein Verfahren anhängig, in dem ein Prozessgegner anführt, Sie betrieben unzulässige Rechtsberatung.

Ja, ein Prozess auch konkret zu unserem Geschäftsmodell ist noch anhängig und damit noch nicht entschieden. Grundsätzlich ist die Frage, was Legal Techs dürfen, allerdings inzwischen von mehreren Gerichten bis hin zum Bundesgerichtshof eindeutig beantwortet. Wir stellen unsere Plattform, unsere Software zur Verfügung. Die Rechtsberatung selbst und gegebenenfalls die Vertretung vor Gericht führen ausschließlich Partneranwälte durch.

Wo sehen Sie Grenzen für Legal Techs?

Es gibt hochemotionale Rechtsthemen, bei denen ist eine individuelle Eins-zu-eins-Beratung durch einen Anwalt nicht ersetzbar: zum Beispiel bei Scheidungen oder Sorgerechtsfällen.

Mit Peer Schulz sprach Max Borowski

Quelle: ntv.de

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