Interview zur Vier-Tage-Woche "Wir müssen Neues ausprobieren"
16.11.2019, 16:12 Uhr
Neue Arbeitsmodelle erfordern besonders intensive Abstimmungen unter den Kollegen.
(Foto: imago images / Panthermedia)
In Japan hat Microsoft mit dem Experiment einer Vier-Tage-Woche gezeigt, dass die klassische Arbeitswoche mit fünf Tagen und 40 Stunden nicht das Nonplusultra sein muss. Das Startup Tandemploy in Berlin hat die Arbeitszeit schon seit Langem reduziert. Warum das ein Erfolgsmodell ist, erklärt Geschäftsführerin Anna Kaiser im Gespräch mit n-tv.de.
n-tv.de: Schon seit vier Jahren arbeitet der Großteil der Tandemploy-Belegschaft in einer Vier-Tage-Woche. Warum?
Das Berliner Unternehmen entwickelt Software, die größere Firmen dabei hilft, ihre Mitarbeiter besser zu vernetzen. "So sorgen wir für einen lebendigen Wissenstransfer, die Öffnung von Silostrukturen, mehr Innovationskraft und eine höhere Wettbewerbsfähigkeit", schreibt Tandemploy. Das 30-köpfige Team um die Gründerinnen Anna Kaiser und Jana Tepe wurde bereits über 20 Mal für ihre Arbeit ausgezeichnet. Zu den mehr als 70 Kunden zählen SAP, Evonik und die Hamburger Sparkasse.
Anna Kaiser: Das war für uns die logische Konsequenz, wenn man sich anschaut, wie Menschen am produktivsten und besten arbeiten können. Dann ist es doch ganz logisch, dass für manche Menschen in bestimmten Lebensphasen Vollzeit bedeutet, zum Beispiel nur vier Tage pro Woche zu arbeiten, wenn man neben der Arbeit Familie hat oder zusätzlich an anderen Projekten arbeitet. Es ist auch nicht so, dass das nur junge Mütter und junge Väter anspricht, die gerade in der Rushhour des Lebens sind. Darum ist es absolut sinnvoll, den Menschen solche Lösungen anzubieten. Wir schreiben unseren Mitarbeitern ja auch nicht vor, dass sie vier Tage arbeiten müssen. Es geht darum, die Option auf mehr Flexibilität zu haben.
Wie verteilt sich denn die Arbeitszeit in einer Woche?
Zuerst fragen wir alle Menschen, die bei uns anfangen, wie viele Stunden sie pro Woche arbeiten wollen. Im Schnitt sind das um die 32 Wochenstunden. Die Vier-Tage-Woche ist aber keine Pflicht. Wir haben auch Mitarbeiter, die ihre Arbeitszeit auf drei oder auch auf fünf Tage verteilen.
Wie organisieren Sie sich da, wenn jeder Mitarbeiter seine Arbeitszeit vollkommen frei gestaltet?
Wenn man so ein System hat, müssen klare Regeln gelten. Je mehr Flexibilität, desto mehr Struktur braucht es. Und die ist auch ganz klar definiert. Es ist wichtig, dass jeder mitdenkt. Wenn jemand zum Beispiel nur von Montag bis Mittwoch arbeitet, muss dieser Mitarbeiter eine gute Übergabe machen, damit am Donnerstag und Freitag keine Lücken oder blöde Situationen für Kollegen entstehen. Eigenverantwortung und Kommunikation sind total wichtig. Aber es ist auch eine Möglichkeit, sich für das zu rüsten, was wir in den nächsten Dekaden in der Arbeitswelt vor allem brauchen: die Fähigkeit, in Teams zu arbeiten, Projekte zu initiieren und die Kollegen auf dem Schirm zu haben.
Wirkt sich die verkürzte Wochenarbeitszeit auf die Produktivität Ihrer Mitarbeiter aus?
Wir sind sehr zufrieden mit unserer Produktivität. Wir merken, dass unsere Mitarbeiter an vier Tagen genauso viel schaffen wie an fünf. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass man an den Arbeitstagen produktiver und konzentrierter ist und alles durchzieht. Nach drei freien Tagen kann man einfach mit einem klareren Geist an die Sache herangehen. Man muss sich wirklich fragen, ob es überhaupt noch zeitgemäß ist, nach Stunden zu bezahlen. Sollte man nicht eher danach bezahlen, was die Leute schaffen und kreieren oder ob sie ihre Projekte meistern?
Würden Sie sich wünschen, dass von staatlicher Seite aus eingegriffen und für mehr Flexibilität bei der Arbeit gesorgt wird?
Es wäre natürlich wünschenswert, wenn die Politik manchmal mit neuen Modellen vorangeht und die Rahmenbedingungen schafft. Ich weiß nicht, ob wir darauf setzen können. Mir haben die vergangenen Jahre gezeigt, dass wir in den Unternehmen nicht immer darauf warten sollten, bis uns die Politik die Strukturen vorgibt. Wir sollten erstmal ausprobieren und gucken, was im Unternehmensalltag funktioniert, um danach auf die Politik zuzugehen. Die sind ja auch interessiert, zu erfahren, was möglich ist. Ich bin immer ein Fan davon, kompromissbereit an Themen heranzugehen. Es gibt immer eine Lösung, vor allem, wenn es um politische Themen geht.
In Japan hat Microsoft einen Monat lang seinen rund 2300 Mitarbeitern eine Vier-Tage-Woche verordnet. Ist das Modell für solche große Konzerne zukunftsfähig?
Definitiv. Es ist zwar immer so, dass große Firmen auf uns zukommen und sagen: 'Das geht vielleicht bei euch in eurem Berlin-Mitte-Hipster-Startup-Büro, aber bei uns geht das nicht.' Dann frage ich die Personen immer, wie viele Leute sie in ihrem Team haben, mit denen sie ganz konkret im täglichen Austausch sind. Meistens sind das dann nicht mehr Menschen, als wir hier im Startup haben. Und man darf ja auch nicht vergessen, dass ein Unternehmen am Ende aus ganz vielen kleinen Bereichen besteht und da geht es einfach darum, dass wir Unternehmer einfach mal Neues ausprobieren.
Es gibt zwar immer häufiger Experimente mit der Vier-Tage-Woche, aber ein Unternehmen wie Ihres ist immer noch ein Exot. Stellen Sie fest, dass das auch Bewerber anzieht, die eher an den kürzeren Arbeitszeiten als an Ihrem Unternehmen interessiert sind?
Ja, tatsächlich. Dieses Phänomen haben wir in der Vergangenheit immer mal wieder beobachtet. Es kamen Leute, die einfach nur irgendwo gelesen haben, dass man bei Tandemploy flexibel und anders arbeiten kann. Natürlich ist das nicht die beste Voraussetzung für eine Bewerbung. Das haben wir dann auch offen und transparent angesprochen. Wir könnten uns jeden Tag auf irgendwelche Bühnen setzen und erzählen, wie toll, flexibel und innovativ wir zusammenarbeiten. Aber es geht hier nicht darum, neue Arbeitsmodelle einzuführen als Selbstzweck. Dann würden wir uns hier komplett nur um uns selbst drehen.
Mit Anna Kaiser sprach Kevin Schulte
Quelle: ntv.de