Frage & Antwort

Frage & Antwort Ist eine glutenfreie Ernährung gesünder?

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Nur lukrativ oder auch gesund? Glutenfreie Lebensmittel im Supermarkt.

(Foto: imago/photothek)

Weizen ist in Verruf geraten, glutenfrei zu essen, steht hoch im Kurs – auch, wenn der Arzt nicht dazu geraten hat. "Mir geht es viel besser, seitdem ich auf Gluten verzichte", hört man immer wieder einmal. Doch lebt man glutenfrei wirklich gesünder?

Glutenfreie Lebensmittel sind im Trend. Fristeten sie einst ein Nischendasein im Reformhaus, füllen sie nun im Supermarkt mehrere Regale. Mit den Produkten lässt sich Kasse machen: Immer mehr Menschen wenden sich von Weizen ab und setzen auf eine Ernährung ohne Gluten. Sie wollen gesünder leben, ihr Wohlbefinden steigern, unspezifische Magen-Darm-Probleme lindern. Und das, ganz ohne dass der Arzt ihnen dazu geraten hätte und es medizinisch geboten wäre. Sie meinen, sich mit dem freiwilligen Verzicht auf Gluten etwas Gutes zu tun. Und trifft das nicht auch zu?

Als wir Stefan Kabisch, Studienarzt am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke, diese Frage stellen, sagt er: "Eines vorab: Gluten ist keine grundsätzlich giftige oder schädliche Substanz. Nur bei einem kleinen Teil der Bevölkerung führt es zu Problemen." Gluten ist ein Eiweiß. Es ist in Weizen enthalten, aber auch in Dinkel, Roggen, Hafer und Gerste. Wer an einer Zöliakie leidet, was etwa 1 Prozent aller Deutschen betrifft, muss zwingend auf glutenhaltige Lebensmittel verzichten. Auch eine klar diagnostizierte Weizen- bzw. Getreideallergie kann ein Grund sein, sich glutenfrei zu ernähren. "Bei mehr als 90 Prozent der Bevölkerung aber", sagt Kabisch, "spricht aus medizinischer Sicht nichts dafür, dass sie Gluten meiden sollten."

Mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Wie es sich auf die Gesundheit dieser Menschen auswirkt, wenn sie dennoch um Weizen und Gluten einen Bogen machen, haben US-Forscher in einer großen, 2017 veröffentlichten Beobachtungsstudie untersucht. "Da sieht man, dass es tatsächlich einen Unterschied macht, wenn man sich glutenfrei ernährt", fasst Kabisch das Ergebnis zusammen. "Und zwar einen ungünstigen."

Es zeigte sich nämlich, dass bei glutenarmer Ernährung häufiger Herz-Kreislauf-Erkrankungen auftraten. Die Forscher gehen davon aus, dass das mit den Ballaststoffen zusammenhängt, die in Weizenprodukten enthalten sind. Diese Ballaststoffe können vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen. Wer auf Gluten und damit auf Weizen verzichtet, nimmt sie meist nicht in ausreichender Menge zu sich. "Die Studie zeigt, dass nicht etwa das Gluten geschadet hätte, sondern dass die Ballaststoffe, die in glutenreichen Lebensmitteln stecken, von hohem Nutzen sind. Dieser Nutzen blieb den Menschen, die sich glutenarm ernährten, vorenthalten", erklärt Kabisch.

Dazu muss man wissen, dass es viele verschiedene Ballaststoffe gibt: "Man findet auch in Obst und Gemüse welche", führt der Experte aus, "aber das sind andere als in Getreide. Die Ballaststoffe, die in Getreideprodukten enthalten sind, senken das Risiko für Diabetes, für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, für Krebs sowie für Infektionen – für eine breite Palette von Erkrankungen also."

Verzerrtes Bild vom "bösen Weizen"

Dass glutenfreie Getreideprodukte oft zu wenig Ballaststoffe enthalten, dafür aber reichlich Fett, ist das Ergebnis einer weiteren 2017 vorgestellten Studie. Solche Befunde seien schon länger bekannt, würden aber von Verfechtern der glutenfreien Kost nicht gesehen, kommentiert der Gastroenterologe und Chefarzt Martin Raithel aus Erlangen beim Fachportal Medscape. "Diese Menschen haben ein verzerrtes Bild vom 'bösen Weizen'. Viele wissen nicht, dass der Weizen mit seinen Faser- und Ballaststoffen für eine günstige Zusammensetzung der Darmflora extrem wichtig ist", sagt Raithel. Und eine intakte Darmflora sei für eine dauerhafte Gesundheit entscheidend, denn sie trage mit dazu bei, Allergien, Entzündungen und Infektionen vorzubeugen.

Es ist offenbar kein Zufall, dass Weizen, eine der ältesten Kulturpflanzen überhaupt, noch immer das Getreide ist, das Menschen weltweit am häufigsten verzehren und das die größte Bedeutung hat. "Die Inhaltsstoffe des Weizens sind ernährungsphysiologisch schon ziemlich optimal", betont Studienarzt Kabisch. Die enthaltenen Ballaststoffe könne man zwar zu einem gewissen Teil auch mit Hülsenfrüchten ausgleichen, "aber die beste Quelle, um sie in der gebotenen Menge und Regelmäßigkeit zu sich zu nehmen, sind Getreideprodukte – in erster Linie Weizen."

Gesund ohne Gluten ist möglich

Und doch räumt der Arzt ein, dass auch ohne Weizen und Gluten eine gesunde Ernährung möglich ist. "Die Kalorien sollte man dann nicht etwa durch Cola ersetzen, sondern idealerweise durch andere hochwertige Getreideprodukte", so Kabisch. Da kommen besonders solche mit Mais infrage. Der ist ebenfalls reich an Ballaststoffen, wenn auch nicht im gleichen Maße wie Weizen.

Glutenfrei sind außerdem zum Beispiel Hirse und Reis; die jedoch enthalten deutlich weniger Ballaststoffe. Bei Reis, besonders in der Vollkorn-Variante, ergibt sich noch ein weiteres Problem: Er kann arsenbelastet sein. Anorganisches Arsen kommt natürlicherweise in den Gesteinsschichten der Erde vor. Zumeist gelangt es über Trinkwasser in die Reispflanze und lagert sich dort in den Randschichten der Körner an. Eingleisig von Weizen auf Reis auszuweichen, empfiehlt sich also nicht.

"Man kann auf Gluten verzichten, aber die Ernährung muss ausgewogen sein", lautet das Fazit, das Kabisch zieht. Am besten holt man sich dann Tipps vom Arzt oder einer Ernährungsberatung. Doch grundsätzlich gilt: In den allermeisten Fällen ist ein Verzicht nicht nötig. Dann ist glutenfreie Ernährung nicht gesünder, sondern in erster Linie eines: eine Modeerscheinung.

Quelle: ntv.de

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