Der Retter in der Not 40 Jahre Citroën BX - Gandinis heißer Kanten
24.04.2022, 18:58 Uhr
1982 feierte die fünftürigen Limousine Citroën BX ihre Weltpremiere auf dem Pariser Salon.
(Foto: Citroën)
Es ist 40 Jahre her, dass Citroën mit dem Mittelklasse-Bestseller BX bewies, dass sich technische Sonderwege auch mit profitablen Gleichteilen kombinieren lassen. Nicht fehlen durfte natürlich ein ikonisches Design, kreiert von Marcello Gandini, dem Designer legendärer Lamborghini.
Krisen bringen nicht selten die erfolgreichsten Kinder hervor, wie der vom italienischen Kultdesigner Marcello Gandini in raffinierte Kanten gegossene Citroën BX beweist. Mehr als 2,3 Millionen Einheiten verkaufte Citroën von diesem 1982 vorgestellten Mittelklassemodell, das so dazu beitrug, Europas größten Autokonzern PSA Peugeot Citroën (heute Stellantis) vor dem finanziellen Kollaps zu bewahren. Damals war PSA ausgerechnet durch die Übernahme von Citroën (1976) und von Chrysler Europa (1978) in eine malade Situation geraten. Als ein Retter in der Not bewährte sich nun der neue BX, dies nicht zuletzt dank technischer Gleichteile aus dem Peugeot-Fundus.

Die Studie Mazda MX-81 Aria von 1981 zeigte eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Citroën BX.
(Foto: Mazda)
Dennoch verzichteten die Fastbacklimousine und der familienfreundliche Kombi Break weder auf markentypische exzentrische Features noch auf stilistische Extravaganz. Letztere zeigte sich in provozierend scharfen Designlinien, eckigen Radläufen, flacher Front und dunklen Glastrapezen in den C-Säulen gut ausgestatteter BX. Eine gewagte Formensprache, die typisch war für die berühmte Carrozzeria Bertone. Hatte doch Bertones Chefdesigner Marcello Gandini schon zahllose Lamborghini und Maserati in messerscharfe Konturen gebracht. Zur Verbindung zwischen Citroën und Bertone kam es, weil die PSA-Manager mit den hauseigenen Entwürfen nicht zufrieden waren. Nur ahnte da niemand, dass Bertone die geometrischen BX-Formen gleich mehrfach verkaufen würde: Es ist ein Stoff, aus dem Legenden gestrickt werden und den Citroen-Fans bis heute diskutieren.
Gefragtes Gandini-Dress
Copy-and-paste, mit dieser Vorgehensweise italienischer Designateliers musste PSA-Muttermarke Peugeot schon 1960 beim Modell 404 bittere Erfahrungen sammeln. Damals hatte Peugeot-Hausdesigner Pininfarina seine gefeierten Trapezlinien parallel an Fiat und die British Motor Corporation geliefert. Dennoch wird es bei PSA und Citroën ab 1978 einiges Stirnrunzeln gegeben haben, als diesmal gleich fünf andere Marken mit Concept Cars im Gandini-Style des Citroën BX für Furore sorgten. Kaum hatte Bertone die Citroen-Entwürfe in Paris abgeliefert, zeigte der britische Hersteller Reliant eine fünftürige Limousine namens Scimitar SE 7, die im Profil und Heckbereich dem BX wie ein zweieiiger Zwilling glich.

Bereits 1979 debütiert auf dem Genfer Salon der Volvo Tundra, der das Designkonzept des BX vorwegnimmt.
(Foto: Volvo)
Kein Wunder, stammte das Design doch von Bertone. Obwohl dieser Reliant auch beim türkischen Hersteller Anadol als FW11 vorgestellt wurde, scheiterte seine Serienfertigung letztlich, ebenso wie die des Mittelmotor-Prototyps Fiat X1/10, im Gandini-Dress. Große Schlagzeilen generierte dagegen das gleichfalls bei Bertone gestylte Coupé Volvo Tundra. Dieser Star des Genfer Salons 1979 visualisierte die Dynamik der scharfen Gandini-Kanten, dennoch gab es zur Enttäuschung von Nuccio Bertone von Volvo ein Veto für die bei der Carrozzeria geplante Serienproduktion, wo der Tundra sonst Seite an Seite mit dem Volvo 780 gebaut worden wäre. Der Tundra wurde Marcello Gandinis finaler Entwurf als Bertone-Chefdesigner, aber seine Designphilosophie lebte weiter. Bei Bertone führte nun Marc Deschamps die Formensprache seines Vorgängers in die Zukunft, Kanten blieben toll und Rundungen tabu.
"Fortschritt in seiner faszinierendsten Form"
Zu erleben war dies bei der Sportcoupé-Studie Mazda MX-81 Aria von 1981, die gleichfalls eine verblüffende optische Verwandtschaft zum 1982 lancierten Citroën BX zeigte. Ein Japaner, der vielleicht sogar dem Citroen-Management zusagte, jedenfalls entstanden bei Bertone und beim Karossier Heuliez spannende Citroen-BX-Coupé-Entwürfe. Allerdings schaffte es dieser rassige, potenzielle Konkurrent zu Renault Fuego oder VW Scirocco aus Kostengründen am Ende nicht in die Serie. Dieses Kunststück gelang dafür einem anderen Heuliez-Entwurf: Der fünftürige Citroën BX Break wurde ab 1985 bei Heuliez gebaut und von Kombifans als avantgardistische Alternative zu VW Passat Variant oder Renault 18 goutiert.
"Fortschritt in seiner faszinierendsten Form", unter diesem selbstbewussten Motto feierte Citroën 1982 die Weltpremiere der nur 4,23 Meter langen Fastbacklimousine BX. Der Ort? Natürlich dort, wo schon 1955 die alles überstrahlende, zukunftsweisende "Göttin" Citroën DS Geschichte geschrieben hatte, nämlich in Paris zu Füßen des Eiffelturms. Während Fachmedien vorsichtige Skepsis äußerten, ob dieser Nachfolger des bereits zwölf Jahre alten Citroën GS wirklich ein technischer Leuchtturm sei, beruhigte Citroën in einem Pressecommuniqué: "Die Deutschen kriegen den konventionell gefederten, bierernst gestylten Autoeintopf allmählich satt und Appetit auf den Citroën BX."
40 technische Weltneuheiten
Den "Autoeintopf" füllten nach Citroen-Interpretation die BX-Konzerngeschwister Peugeot 305 und Talbot 1510/Solara, der Audi 80, aber auch der Alfa Giuletta und der stromlinienförmige Ford Sierra. Immerhin: Die profitable Gleichteile-Strategie beim BX (z.B. einige Peugeot-Motoren) identifizierten nur Insider. Stattdessen wies Citroën stolz auf rund 40 technische Weltneuheiten im BX hin, darunter leichte Motorhauben und Heckklappen aus Polyester-Glasfaserverbund, Vorderachsen mit hydropneumatischen Federbeinen und Anti-Nick-Vorrichtung und der höchste Anteil von elektroverzinktem, rostgeschütztem Stahlblech im Wettbewerbsumfeld. Hinzu kamen Citroen-typische, futuristische Instrumente je nach Ausstattungslinie, also Walzentacho, extraordinäre Bediensatelliten und ein Drehzahlmesser als Leuchtkette. "Ist das Cockpit nun faszinierend futuristisch oder nur irritierend gewöhnungsbedürftig?", fragte die Citroen-Werbung dazu provozierend, und plakatierte die Innenstädte mit einer Liebeserklärung für den Fünftürer: "J'aime, j'aime, j'aime" (ich liebe)!

"Ist das Cockpit nun faszinierend futuristisch oder nur irritierend gewöhnungsbedürftig?", fragte seinerzeit die Citroën-Werbung.
(Foto: Citroën)
Eine emotionale Aufforderung, die in 12 Jahren 141.000 Deutsche erhörten - auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Noch 1989, im Jahr des Mauerfalls, lieferte Citroën 160 BX Limousinen für die Administration der DDR, die zugleich den größeren, ebenfalls bei Bertone gezeichneten XM, bestellt hatte. Ganz andere Emotionen setzte der BX 4 TC Evo frei, eine 380 PS starke Allrad-Bestie für die brutal gefährliche Gruppe B der Rallye-WM. Ein wenig milder, aber immer noch wild genug gaben sich 200 gebaute BX 4 TC Straßenautos, die Citroën 1985 zu Homologationszwecken verkaufte - und nach dem Verbot der Gruppe B zurückkaufte, um sie zu verschrotten. Die wenigen Überlebenden werden heute zu Mondpreisen im sechsstelligen Bereich angeboten.
Damals wie heute bezahlbar sind dagegen die Diesel-BX, deren bis 90 PS starke Selbstzünder zu den effizientesten und temperamentvollsten ihrer Art zählten. Übrigens fuhr mehr als jeder zweite BX-Käufer zuvor ein Konkurrenzprodukt. Ein Eroberungserfolg, zu dem auch das damals sensationell breite Motorenangebot beitrug, mit rund 30 Leistungsstufen vom 55-PS-Basis-Benziner bis zum 16V-Triebwerk im BX GTI. Auch Spezialitäten wie permanenten Allradantrieb hatte Citroën im BX-Portfolio, und hydropneumatischen Federungskomfort bot in der Mittelklasse ohnehin keine andere Marke. Bei so viel Extravaganz überrascht es nicht, dass dieser Citroën bis heute Bestandteil des automobilen Narrativs der 1980er ist.
Quelle: ntv.de, Wolfram Nickel, sp-x