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Ist das noch ein Auto fürs Volk? Erste Fahrt mit dem Dacia Jogger Hybrid 140

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Stylische Tagfahrleuchten und das weiße Markenlogo des Dacia Jogger Hybrid sind Hingucker.

(Foto: Patrick Broich)

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Dacias erster Hybrid ist ausgerechnet ein Van und gehört damit einem Segment an, das immer mehr Hersteller vernachlässigen. Das könnte die Absatzchancen für den rumänischen Praktiker noch weiter erhöhen. Ein Schnäppchen ist der bis zu sieben Sitzplätze bietende Allrounder jedoch nicht.

Man muss ja zugeben: Dacia, seit 18 Jahren auf dem deutschen Markt, hat die Autofahrerherzen bereits vor vielen Jahren im Sturm erobert - und das als Newcomer-Marke. Wow. Und mal eben im Vorbeigehen eine komplett neue Kundenzielgruppe für Neuwagen erschlossen - nämlich Käufer, die sich früher auf dem Gebrauchtwagenmarkt umgesehen haben.

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Einen klassischen Van findet man heutzutage auch nicht mehr so häufig vor.

(Foto: Patrick Broich)

Das mag beim günstigen Logan oder Sandero funktionieren, beim höher angesiedelten Jogger eher nicht. Der startet nämlich in der magersten Ausführung bereits bei 16.800 Euro. Das ist günstig, ja. Insbesondere angesichts des Gebotenen kann sich der Kurs sehen lassen, aber für den malochenden Vater einer fünfköpfigen Familie ist das immer noch jede Menge Holz. Und jetzt kommt die Großraumlimousine auch noch mit einem fancy anmutenden Hybridantrieb um die Ecke. Bekommst du ab Liste 23.800 Euro. Bäm.

Klar, der mit zwei Antriebsaggregaten (eine dritte Elektromaschine steuert innersystemische Vorgänge im Bereich der Motor-Getriebe-Schnittstelle) ausgestattete Jogger avanciert damit zum 141 PS starken Topmodell mit Spritspar-Ambitionen - schön und gut. Aber den Mehrpreis gegenüber den schwächeren Ottomodellen über den Minderverbrauch reinholen? Ziemlich mühselig zumindest für Wenigfahrer.

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Nein, hier fährt kein Volvo - auch wenn die Gestaltung der Schlussleuchten zu diesem Gedanken verleiten mag.

(Foto: Patrick Broich)

Wirf doch mal den Taschenrechner an. Gesetzt den Fall, man legt 25.000 Kilometer pro Jahr zurück und schafft es, den durchschnittlichen WLTP-Verbrauch von 4,9 Litern je 100 Kilometer einzuhalten (klappte auf der Testfahrt ganz gut). Macht 1225 Liter zu einem realistischen Preis von 1,70 Euro je Liter. Sind also ungefähr 2083 Euro im Jahr an Kraftstoffkosten. Für den 110 PS starken Benziner veranschlagt das Werk 5,7 Liter Super je 100 Kilometer. Wären 1425 Liter, also 200 Liter mehr jährlich. Wären also circa 2423 Euro und damit 340 Euro Ersparnis im Vergleich zum reinen Benziner. Die 6600 Euro Mehrpreis bekommst du erst in etwas mehr als 19 Jahren rein. Okay, vielleicht einen Tick früher unter der Annahme steigender Kraftstoffpreise.

Der wahre Sparmeister an der Tankstelle ist natürlich die Gasversion. Diese würde unter gleichen Bedingungen etwa 1925 Liter Flüssiggas vernichten, was beim Gaspreis von etwa einem Euro je Kilogramm jährliche Kraftstoffkosten von exakt 1925 Euro bedeuten würde. Hier taugt der Hybrid so gar nicht als ökonomische Alternative.

Hybridversion vor allem eine Frage von Komfort

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Ein Blick unter die Motorhaube offenbart zunächst einmal den simpel gestrickten Vierzylinder.

(Foto: Patrick Broich)

Schnell wird klar, dass es gar nicht um den Preis geht. Die Entscheidung für den Hybrid ist vielmehr die für maximalen Komfort im Jogger, denn das hier obligatorische Automatikgetriebe ist für die Basisvarianten weder gegen Geld noch gute Worte zu bekommen. Es bildet sogar die Grundlage für diese Maschinenkreuzung, denn Stromer und Verbrenner werden über eine Unit miteinander verknüpft. Und zwar in einer Weise, die eine Anfahrkupplung obsolet werden lässt. Losgerollt wird grundsätzlich elektrisch, was das Anfahren besonders geschmeidig macht. Erst wenn der Jogger bereits in Bewegung ist, klinkt sich der Verbrenner in den Antrieb ein und steuert 94 PS dazu.

Und jetzt wird es richtig kompliziert: Insgesamt hält die kompakte Einheit sechs Übersetzungen bereit, von denen vier die 148 Newtonmeter Drehmoment des Verbrenners splitten. Die 205 Newtonmeter sowie 47 PS kräftige Elektromaschine hingegen läuft über zwei eigene Übersetzungsstufen und bringt sich flexibel in den Antriebsstrang ein. Ein weiteres E-Aggregat mit 20 PS soll den Strang glattschleifen und nicht zuletzt für die Synchronisation der Zahnradpaare zuständig sein. Es sorgt also für den harmonischen und reibungslosen Ablauf aller Komponenten, was der Fahrer auch spürt.

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Exklusiv für den Hybrid: Aus mechanischen Anzeigen werden elektronische.

(Foto: Patrick Broich)

Ist das nicht ein bisschen überkomplex, könnte man sich fragen. Zumal der Hybrid nicht etwa durch deutlich bessere Fahrleistungen auffällt. Betrachtet man seinen reinen Beschleunigungswert (9,8 Sekunden bis 100 km/h), fällt auf, dass er nominal kaum schneller (10,5 Sekunden) ist als der simple TCe110. Aber souveräner, weil so schön direkt angebunden. Egal, aus welchem Lastzustand oder Tempo heraus man beschleunigt - Zugkraftunterbrechungen sind diesem Dacia völlig fremd. Und die Übersetzungen sortiert die Box ruckfrei, nur manchmal weist ein leises Klacken darauf hin, dass im Innenleben emsig gewerkelt wird. Unter voller Last wird der 1,6 Liter große Vierzylinder natürlich etwas strenger von der Geräuschkulisse. Aber das darf er ja auch in der Brot- und Butterklasse.

Einfacher Verbrenner, komplexer Antriebsstrang

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Hier gut zu erkennen: die beiden Sitze der dritten Reihe. Möchte man das Kofferraumvolumen komplett nutzen, bitte einfach kurzerhand entfernen.

(Foto: Patrick Broich)

Und so aufwendig die Motor-Getriebe-Einheit sein mag, beim Benziner-Part setzen die Techniker auf einfache Komponenten: Denn im Zweifel verbrennt der Saugrohreinspritzer das Gemisch geräuschärmer als effizientere Direkteinspritzer und das trägere Ansprechen des Saugers macht schließlich der integrierte Stromer wett. Dürfte auf der Kostenseite günstiger kommen perspektivisch. Gerade für Neuwagenkunden, die ihr Auto lange halten, könnte das ein Vorteil sein, denn defekte Turbolader werden teuer in der Reparatur. Hier nicht, denn es gibt ja gar keinen.

Extern aufzuladen ist dieser Hybrid übrigens nicht, sondern dient in erster Linie dazu, die Bremsenergie in seinem 1,2 kWh-Akku einzufangen, die sonst als Wärme über die Bremsscheiben verpufft wäre. Aus dieser bescheidenen Stromquelle wiederum speist sich die E-Maschine und hilft dabei, Sprit zu sparen, indem sie beispielsweise genau dann boostet, wenn der Verbrenner gerade im ungünstigen Betriebsbereich läuft. Das nennt man Lastpunktverschiebung.

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Platz ist im Fond des Dacia Jogger keine Mangelware.

(Foto: Patrick Broich)

Die Freude über das großzügige Platzangebot des 4,55 Meter langen Vans ist allerdings mindestens so groß wie die über die weiche Antriebseinheit. Selbst dann noch, wenn aus der täglichen Fahrt zum Kindergarten oder zur Schule die jährliche Urlaubsfahrt wird. Denn das Mobiliar ist gar nicht mal so schlecht. Außerdem rollt der 1,5-Tonner recht verbindlich über Unebenheiten und schüttelt seine menschliche Fracht nicht über Gebühr durch. Alles wunderbar also am Hybrid-Van mit dem ganz sicher günstigsten Preis-Raum-Verhältnis?

Außen definitiv schicker als innen

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Die mit dünnem Stoff bespannte Armaturentafel kann zwar nicht über das Hartplastik hinwegtrösten, bequeme Sitze allerdings schon.

(Foto: Patrick Broich)

Na ja, dass die Innenarchitektur mit reichlich verbautem Hartplastik nicht ganz so schick ist wie das Außendesign, kann man dem Dacia durchaus verzeihen. Der prägnante Markenschriftzug im stylischen Weiß auf dem Heckdeckel verfängt genauso wie die großen, ebenfalls in weiß lackierten "DC"-Lettern auf dem Kühlergrill. Schon cool. Dann gibt es ja auch noch das markante LED-Tagfahrlicht in Pfeil-Optik sowie die hip mit dem Modellnamen gebrandete Dachreling.

Dass die Designer die Heckgestaltung mit einem Schuss Volvo abgemischt haben, könnte dem einen oder anderen Kunden gefallen. Ist ja schließlich nicht von der schlechtesten Marke inspiriert. Hinzu kommen bei der Ausstattungslinie "Expression" gekonnt platzierte Trekkingelemente wie schwarze Radhausverkleidungen plus Unterfahrschutz. Auf diese Weise kommt selbst im Van ein bisschen SUV-Gefühl auf. Sicher kein Zufall, denn die Kunden stehen drauf, was die Hersteller wiederum wissen.

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Der hoch oben auf der Armaturentafel platzierte Touchscreen ist serienmäßig, eine Navigationsfunktion muss man sich mit 400 Euro extra erkaufen.

(Foto: Patrick Broich)

Ein bisschen Luxus gefällig im Dacia? Parkpiepser, Regensensor, Smartphone-Integration (inklusive Achtzoll-Touchscreen) sind frei Haus. Und im Falle der Hybridausgabe kommt sogar ein Tachoelement zum Einsatz, das komplett auf Bildschirmfläche setzt. Es gibt allerdings auch Sonderausstattungen. Ein Navigationsmodul kostet weitere 400 Euro, Leichtmetallräder erfordern zusätzliche 200 Euro. Für die Sitzheizung möchte Dacia 250 Euro extra sehen, während Sonderlacke 550 respektive 650 Euro kosten. Und schon wäre die 25.000-Euro-Schwelle überschritten. Siebensitzigkeit (wirklich praktisch) lässt sich der Konzern außerdem mit einem weiteren Tausender bezahlen.

Zum Glück ist ein bisschen Praxistauglichkeit serienmäßig in Form der schicken Dachreling sowie satten 1800 Litern Gepäckraumvolumen. Ein Dacia fürs Volk ist zumindest der Hybrid nicht mehr. Er kostet nämlich mit ordentlicher Ausstattung mehr als doppelt so viel wie das Dacia-Basismodell Sandero. So kann selbst ein Dacia zu einem Luxusobjekt werden.

Quelle: ntv.de

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