Weniger ist mehrFahrt im Golf I Cabrio - Erdbeerkörbchen geht immer
Von Patrick Broich, Wagrain
Ein Klassiker muss weder komplex noch teuer sein, um seinen Passagieren ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. So wie das Erdbeerkörbchen, mit dem ntv.de unterwegs war. So wird das Golf I Cabrio nämlich im Volksmund genannt. Warum eigentlich?
Wer die "Schwarzwaldklinik" kennt, hat diese Szene deutlich vor Augen: Sascha Hehn nimmt Anlauf und springt mit Wucht in das Golf-I-Cabrio. Dabei hält er sich am prägnanten feststehenden Überrollbügel fest, ein Sicherheitsmerkmal, das dem populären Cabrio seinen Spitznamen verliehen hat: Erdbeerkörbchen.
Dabei war der auffällige Bügel (der eben an den Griff eines Korbs erinnert) gar nicht ausschließlich als direktes Sicherheitsmerkmal angelegt für den hoffentlich niemals eintretenden Fall des Überschlags. Sondern er war insbesondere der sichtbare Teil des Verstrebungskonzepts, um dem offenen Golf jene Verwindungssteifigkeit zu verleihen, welche die geschlossene Basis ohne Modifikation nie mitgebracht hätte. Und auf diese Weise ist den Wolfsburgern ein besonders stabiles Cabriolet gelungen.
Überhaupt ist ihnen außerdem ein beliebtes Auto gelungen, das sich immerhin von 1979 bis 1993 am Markt behauptete. Okay, gegen die 30 Jahre des Käfer-Cabrios ist das eher müde, zugegeben. Aber die luftgekühlte Knutschkugel ist ja bis heute Kult als offene Variante.
Luftkühlung gibt es auch beim offenen Golf, wie ein früher Werbeslogan das Vergnügen mit dem Kompakten beschrieb. Und genau an dieser Stelle lass in die Neuzeit hüpfen. Wie fährt das in Würde gealterte Gold Cabrio, das Volkswagen mitgenommen hat auf die Salzburg Klassik, um tüchtig ausprobiert zu werden?
Das hier besprochene Exemplar stammt aus den späten Jahren, gehört somit zur letzten Ausbaustufe - und hier ist schon moderate Modernität eingezogen. Armaturen aus dem Golf II und auf Wunsch sogar ein Fahrerairbag kennzeichnen die späten Jahrgänge. Äußerlich ist das Facelift an den deutlich dickeren Stoßstangen sowie an den mit Kunststoff verkleideten Schwellern zu erkennen.
Herrlich bodenständig motorisiert
Unter der Haube geht es darüber hinaus auch etwas potenter zu, was in größerer Lebhaftigkeit mündet. Der Hubraum des Topmodells stieg um 200 Kubikzentimeter auf 1,8 Liter, und so leitet der Vierzylinder 112 PS (ohne Kat) an die Vorderräder. Späte entgiftete Varianten bringen es auf 98 PS. Was heute für ein Spaßauto eher mickrig klingt, war damals jede Menge Kram.
Und hinzu kommt, dass der Fronttriebler mit kaum 1000 Kilogramm ein wahres Fliegengewicht ist. Und das merkt man auch auf den ersten Metern; der luftige Zweitürer setzt sich quirlig in Bewegung und beschleunigt spielerisch. Klar, er fühlt sich freilich schneller an, als er ist - das Datenblatt nennt rund zehn Sekunden für den Standardsprint auf 100 km/h und etwa 160 Sachen Höchstgeschwindigkeit, nominal also eher mau. Was auch am Geräuschlevel liegt.
Hier und heute wird natürlich offen gefahren, gar keine Frage. Auch wenn die Temperaturen eisig sind Richtung Großglockner, unten schützt die leistungsstarke Heizung - schön, dass beim Verbrenner so viel Wärme abfällt -, während oben herum die Kapuze das Gröbste vom Kopf fernhält. Aber die windungsreichen Passfahrten haben ja auch noch einen ganz anderen Charme. Hier kann man sich schön am alten Golf austoben, das ist noch Autofahren pur.
Klar, der späte Einser hat zwar eine Servolenkung. Trotzdem muss man hier richtig kurbeln, leichtgängig ist wirklich anders. Aber auf kurviger Landstraße ist das genau richtig, hier mutet nichts synthetisch an, stattdessen gibt es eine ausgestorbene Eigenschaft, die sich Fahrbahnkontakt nennt. Allerdings kündigen sich Grenzen in der Querdynamik früh an. Wer mit einfacher Verbundlenkerachse hinten und im Vergleich zu heute dürren Querlenkerchen vorn unterwegs ist, kann es in der Kehre nicht zu bunt treiben. Daran erinnert der Wolfsburger dann mit untersteuernder Tendenz.
Und längs? Braucht der Sauger ganz schön Drehzahl, um zu feuern. Das ist man von modernen Autos nicht mehr gewohnt. Und die Motorleistung ist bekanntermaßen nicht unendlich. Steile Bergpassagen zwingen das 3,82 Meter lange Gölfchen in die Knie und seinen Fahrer zum Herunterschalten. Was allerdings leichtgängig, wenn auch nicht ultrapräzise von der Hand geht. Man sitzt eben in einem Klassiker.
Der bezirzt außerdem mit authentisch-bodenständigem Klang, nicht laut, aber charmant - typisch Volkswagen eben. Und ein paar zaghaft-moderne Anflüge hat das Cabrio ebenfalls - wie beispielsweise einen Bordcomputer, keine Selbstverständlichkeit in den analogen Achtzigern. Damals nannte sich das Multifunktionsanzeige, und die konnte unter anderem Dinge wie Öltemperatur und den Verbrauch anzeigen.
Schön am Golf I Cabrio ist, dass er im Grunde ein super simpler Spaßmacher ist, den man nach wie vor für kleines Geld bekommt und der keinen hohen Wartungsaufwand erfordert. Es gibt massenhaft Ersatzteile für das beliebte Auto, ist ja logisch. Und kleines Geld heißt konkret: Die ersten halbwegs ansehnlichen und fahrbereiten Offerten starten um 3000 Euro herum. Für ein richtig gepflegtes Exemplar werden dann um 8000 Euro herum fällig. So gesehen ist das Erdbeerkörbchen der ideale Einsteiger-Oldie. Und wenn man dafür dann noch ein Fahrzeug ohne festes Dach bekommt, ist das ganz klar einer dieser Fälle, bei denen weniger mehr ist.