Schnellster Fiat aller Zeiten Mit dem scharfen Klassiker Coupé 20V Turbo auf großer Tour


Man nehme eine Prise Ferrari. Die Front des begehrenswerten Fiat erinnert an den 550 Maranello.
(Foto: Patrick Broich)
Der korrekt als Coupé Fiat bezeichnete Zweitürer ist ein Modell, wie man es sich heute nicht mehr vorstellen könnte bei der Marke. Als Topvariante wohl der schnellste Fiat aller Zeiten, weil mit hoher Wahrscheinlichkeit kein schnellerer mehr kommt.
Wir können schlecht in die Zukunft schauen ohne Glaskugel und funktionierende Glaskugeln sind eben noch nicht erfunden. Aber eigentlich sollte man vorsichtig sein mit dem Ausdruck "aller Zeiten", denn Prognosen sind bekanntermaßen schwierig, insbesondere dann, wenn sie die Zukunft betreffen. Aber das Coupé Fiat 20V Turbo mit 220 PS und 250 km/h Spitzentempo ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der schnellste Fiat aller Zeiten, denn: Wenn der Stellantis-Konzern noch mal ein solch performantes Auto bringen würde, liefe der ganz sicher unter dem Label "Abarth" und nicht mehr unter "Fiat".

Mit 4,25 Metern Länge hat der Italiener Kleinwagen-Maße. Er galt seinerzeit aber als erwachsenes Auto.
(Foto: Patrick Broich)
Aber jetzt stehe ich vor dem Coupé aus den Neunzigerjahren und bin schon voller Vorfreude, das Jubiläumsmodell fahren zu dürfen. Nicht nur, weil es cool ist, noch mal kurz gedanklich in die Neunziger abzutauchen: Vor genau 30 Jahren hat Fiat seinen sportiven Zweitürer vorgestellt. Aber die allermeisten Exemplare haben das Band als brave Version verlassen mit vielleicht 131 oder 154 PS. Der Turbo war sicherlich eher die Ausnahme.
Die Neugierde auf den wilden Italiener steigt. Zumal jetzt einige Kilometer vor mir liegen, denn die Probefahrt gerät etwas ausgiebiger im Rahmen der Rhein-Main-Klassik von Frankfurt bis ins rheinland-pfälzische Worms. Das ist schön, denn hier muss sich das 1,3-Tonnen-Fliegengewicht beweisen - sowohl im eher stressigen Stadtverkehr als auch auf einsamen Landstraßen und auf der Autobahn.

Der bärenstarke Turbo braucht sportliches Beiwerk: hier in Form markanter Schweller.
(Foto: Patrick Broich)
Wie hat sich das Autofahren in den letzten drei Jahrzehnten verändert? ESP? Gibt es zu dieser Zeit nicht bei Fiat. Airbags immerhin schon und beim Testexemplar sowieso, denn es ist ein spätes Auto von 2000, dem letzten Jahr der Bauzeit. Und obwohl der Fiat gar nicht richtig alt ist, also nicht etwa den Sechziger- oder Siebzigerjahren entstammt, erscheint er wie aus einer anderen Welt, verglichen mit modernen Fahrzeugen.
In den Neunzigern war das Autofahren noch mehr Arbeit
Hier bedeutet das Autofahren wirklich noch fahrerische Arbeit - ohne Unterstützung von irgendwelchen Assistenten. Du musst aufmerksam sein, deinem Hintermann nicht in den Kofferraum zu fahren, denn da bimmelt oder bremst überhaupt nichts. Und du musst noch selbst schalten - eine heute fast ausgestorbene Tätigkeit. Und wenn du den zwei Liter großen Fünfzylinder startest, klingt es noch authentisch aus Richtung Auspuff und Motorhaube, nichts mit künstlich generiertem Sound.

Damals wie heute mutet die Innenarchitektur des Fiat Coupé cool an mit dem Blech-Dekor in Wagenfarbe sowie durchaus luxuriösen Sportsesseln samt Lederpolsterung.
(Foto: Patrick Broich)
Und wo macht das ungefilterte Fahren mit dem etwas ungehobelten Italiener am meisten Spaß? Na klar, auf der Landstraße. Denn schnelle Autobahnrunden passen nicht zum drahtigen Fiat. Klar erreicht der Fronttriebler spielend 200 km/h oder sogar höhere Tempi, aber das Drehzahllevel wird trotz Sechsganggetriebes so hoch, dass Unterhaltungen lautstärkebedingt schwierig werden. Also lieber schön auf beschaulichere Pisten und den Turbopunch im unteren Drehzahlbereich genießen.
Fein ist, wenn der Lader im dritten Gang in Aktion tritt. Dann schaffen es die 310 Newtonmeter nicht, die Traktionsgrenze der vorderen Pneus zu durchdringen. In der Konsequenz schiebt das 4,25 Meter lange Coupé mit wohligem Druck. Volle Last im ersten Gang hingegen lässt die Antriebsräder hilflos scharren, hier ist ein bisschen Feingefühl nötig. Die Fahrwerte können sich selbst für heutige Verhältnisse sehen lassen - es dauert bloß sechseinhalb Sekunden, bis die Nadel die 100-km/h-Marke auf dem eng bis 280 km/h skalierten Tacho durchschreitet. Das mag für jüngere Leser eine Randnotiz sein, aber die Autoquartett-Generation weiß solche Tachos sehr wohl zu schätzen. Früher war das auch eine Prestigefrage.
Das italienische Bangle-Coupé wird unterschätzt

Der berühmte Chris Bangle mit Hang zu skurrilem Design hat das Coupé aus dem Hause Fiat gezeichnet. Für die spannende Innenarchitektur war allerdings Pininfarina zuständig.
(Foto: Patrick Broich)
Und wie kommt das italienische Coupé beim Publikum an? Gerade bei Klassiker-Rallyes sind die Blicke der Passanten beim Durchfahren von Ortschaften ja ein guter Gradmesser, wie beliebt ein Auto ist. Und das unter der Regie von Chris Bangle gezeichnete Coupé scheint unterschätzt, denn besondere Neugierde erzeugt der Oldie nicht. Dabei ist seine Außenhaut sexy, die Front erinnert unweigerlich an den damals wie heute noch scharfen Ferrari 550 Maranello. Und die beiden markanten Sicken korrespondieren gekonnt mit den abgeflachten Radhäusern. Dieses Coupé ist schon eine coole Erscheinung.
Innen erwarten den Passagier angenehme Sportledersitze mit ausgeprägten Wangen, damit er in zügig gefahrenen Kurven nicht aus der Mittelbahn fliegt. Insgesamt bietet der Sportler zumindest so viel Komfort, dass eine mehrere Hundert Kilometer lange Rallye mit Grinsen auf dem Gesicht abgeschlossen werden kann.
Zum Schluss vielleicht noch ein Wort zur Marktsituation: Vor allem die gegen Ende ihrer Bauzeit über 50.000 Mark (als Neuwagen) teuren 20V-Turbos sind schon lange keine Schnäppchen mehr und kaum für unter 20.000 Euro zu bekommen. Wer mit einem Kauf liebäugelt, sollte darauf achten, dass der Zahnriemen frisch ist, sonst kann es zu kostspieligen Motorschäden kommen.
Die Kurzbeziehung mit dem wilden Fiat hat jedenfalls Spaß gemacht. Und der Gedanke schmerzt, dass es einen solch emotionalen Fiat vermutlich nie mehr geben wird. Schon allein deshalb, weil Coupés in den heutigen SUV-Zeiten gar nicht mehr so einen großen Anklang finden, als dass wirtschaftlich darstellbare Stückzahlen möglich wären. Vielleicht lesen ja auch Stellantis-Verantwortliche diesen Text und verstehen die Botschaft als Ansporn. Schön wärs.
Quelle: ntv.de