Lassen sich 1015 PS zähmen? Unterwegs mit dem V12-Monster Lamborghini Revuelto
25.10.2025, 09:53 Uhr Artikel anhören
Der Lamborghini Revuelto sieht ultraschneidig aus. In schrillem Gelb wirkt er schon im Stand nach Schreihals. Zum Glück bietet der Konfigurator auch gedeckte Farben.
(Foto: Patrick Broich)
Mit dem Lamborghini Revuelto setzen die Italiener ein Performance-Statement, das sich gewaschen hat. Es gibt quasi kaum ein Fahrzeug in dieser Preisklasse mit einer solchen Längsdynamik. Allerdings ist das Level schon ganz schön entrückt.
Eigentlich ist das schon ein bisschen absurd. Für die teuersten Standard-Serienfahrzeuge - also die Rede ist ausdrücklich nicht von stark limitierten Sondermodellen -, werden heute 500.000 Euro fällig, ob bei Aston, Ferrari oder eben Lamborghini. Und beim hier besprochenen Lamborghini Revuelto ist das bloß der Einstieg. Mit etwas Individualisierung können es auch 600.000 Euro oder mehr werden. Wenn ein Fahrzeug mehr als eine durchschnittliche Immobilie kostet, darf man wohl von einem Traumauto sprechen. Kriterium also erfüllt.
Und was steckt unter der auffälligen Kohlefaser-Karosse? Genau, natürlich ein Zwölfzylinder, und das ist eigentlich das wichtigste Versprechen der Marke an ihre Klientel. Nein, mehr noch, an die gesamte Fangemeinde, ob sie es sich leisten kann oder nicht. Denn wenn du die Scherentüren aufgefummelt und dich in den sogar richtig luftigen Innenraum gearbeitet hast (das Einsteigen erfordert allerdings etwas Koordination) und dann den Startknopf drückst, erlebst du eine Soundwelle, von der auch Außenstehende etwas haben.
Die Scherentüren muss man mögen. Mit 4,93 Metern Außenlänge ist der Sportler lange nicht mehr kompakt. Aber 2,78 Meter Radstand stabilisieren den Geradeauslauf.
(Foto: Patrick Broich)
Aber Moment, so einfach ist es nicht. Man muss schon in den richtigen Modus schalten, denn sonst bleibt der gewaltige Sechseinhalbliter nämlich einfach stumm. Das ist ehrlich gesagt eine ganz coole Nummer, denn so schön der Zwölfender auch schreien kann, durchs dicht besiedelte Wohngebiet fährt es sich einfach angenehmer elektrisch, zumal du sowieso schon unweigerlich in die Kommunikation mit Passanten gehst. Und nicht alle Leute am Straßenrand freuen sich über Beschallung dieser Art.
Generell ist es schon schwierig, unbehelligt durch die Straßen zu fahren, weil der bodennahe Ausnahmesportler sich einfach nicht retten kann vor Aufmerksamkeit für sein ultraschneidiges Design. Fällt die Akustik weg, erntet der Sportler immerhin weniger davon. Das möchte vielleicht nicht jeder Besitzer, aber jetzt kann er sich das zumindest aussuchen.
10.000 Umdrehungen wie nichts
Bitte nicht an den dicken Ofenrohren verbrennen. Mit bloß 1,16 Metern wirkt der Revuelto betörend flach.
(Foto: Patrick Broich)
Doch bitte nichts vormachen, drei Elektromotoren aus rund fünf kWh extern aufladbarem Stromspeicher gespeist sind allemal weniger aufregend im Vergleich zu zwölf Töpfen, die mit einer Mischung aus zornigem Grollen und glattem Schnauben Gänsehaut erzeugen. Zumal der virtuelle Drehzahlmesser in der TFT-Skala alias Kombiinstrument so willig durch das Tourenband gen 10.000 Rotationen stürmt wie ein heißes Messer durch die Butter. Von der dabei entstehenden Dynamik erst gar nicht zu sprechen. Wobei auch klar sein muss, dass im Kontext dieser Abhandlung allenfalls auf die Längsdynamik eingegangen werden kann. Um das 1015-PS-Biest quer zu beherrschen, braucht es schon Können sowie Urteilsvermögen eines erfahrenen Trackprofis. Und für die Landstraße hängt der Grenzbereich ohnehin drastisch zu hoch.
Nur so viel: Beim Revuelto haben die Techniker wirklich alle Register gezogen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die ausgefeilte aktive Aero, um den Zielkonflikt aufzulösen zwischen maximalem Abtrieb auf der Rennstrecke und minimalem Luftwiderstand - auch wenn es in diesem Segment nicht auf den Liter Superplus ankommt, Effizienz ist immer ein hohes Ingenieursgut.
Was lässt sich also hier und heute klären? Dass zwei Personen lange nicht mehr so eingeengt sind wie im Aventador. Und überhaupt, der Revuelto ist ein patenter Alltagsbegleiter, dafür, dass er von einem Alltagsauto so weit entfernt ist wie die Menschheit vom Mars. Wenn es einen nicht stört, dass man an jeder Kreuzung fotografiert und gefilmt wird, kann man mit dem potenten Serien-Lamborghini sogar entspannt im Schritttempo durch Spielstraßen rollen, ohne dass der Antriebsstrang auch nur im Ansatz ruckeln würde.
Komplexer Antrieb mit irrem Druck
Schön für Passanten ist, dass sie das ästhetisch aufgemachte Kolbentriebwerk immer begutachten können beim parkenden Auto. Hier wird Maschinenbau zur Kunst.
(Foto: Patrick Broich)
Stichwort Antriebsstrang: Der ist jetzt noch einmal genau zu sezieren, um sich auf der Zunge zergehen lassen zu können, was hier überhaupt Sache ist. Kollege Otto namens "L545" - 218 Kilogramm leicht, freilich trockensumpfgeschmiert und in der Mitte des Monocoque montiert – liefert zuverlässig 875 PS und 725 Newtonmeter Drehmoment. Der Zwölfender überträgt seine Kraft per Achtgang-Doppelkuppler, wird aber zusätzlich durch die beiden Elektrotriebwerke "P2" sowie "P3" mit jeweils 150 PS und 350 Newtonmetern unterstützt. Und dann wirken da ja noch elektrische 300 PS auf die Vorderachse, womit der Revuelto zum Allradler wird.
Macht insgesamt 1015 PS - damit gehört dieser Plug-in-Hybrid zu den stärksten auf dem Markt. Doch welche Motivation könnte man haben, ihn zu erwerben? Klar, der Revuelto macht etwas her, man muss ihn nicht erklären, damit er von der Außenwelt verstanden wird. Doch da wäre auch noch eine technikphilosophische Betrachtung - wer Effizienz und Zwölfzylinder zusammendenkt, kommt an Lamborghini derzeit nicht vorbei. Das ist ein Asset, wenngleich viele Motor-Genussmenschen sicherlich die reine Lehre vorziehen, also keine hybridisierte Variante möchten.
Der Revuelto spricht für sich
Und wie man die Skeptiker herumbekommen könnte, die Antwort liefert der Revuelto selbst. So schiebt der 1,8-Tonner derart gewaltig, wie man es mit schnöden Wörtern kaum beschreiben kann. Dabei spielt die Von-0-auf-100-km/h-Betrachtung kaum eine Rolle. Denn 2,5 Sekunden dauert es, weil Traktion eigentlich immer Mangelware ist. Atemberaubend ist eher der Sprint von 200 auf 300 km/h - hierfür lässt sich der Italiener nämlich bloß etwas mehr als zehn Sekunden Zeit.
Neue Welt: Auch ein V12-Antriebskonzept kann heutzutage mit Strom gefüttert werden.
(Foto: Patrick Broich)
Man darf wirklich mutmaßen, dass der Revuelto das schnellste Auto für ein Budget von etwa einer halben Million Euro ist. Der Hersteller gibt die Höchstgeschwindigkeit mit größer als 350 km/h an. Ja, das klingt absurd, aber schnellere Autos wie diverse Bugatti-Modelle oder der McLaren Speedtail kosten ein Vielfaches dessen, was man für den Revuelto ausgeben muss.
Ach ja, wer sich Sorgen darüber macht, ob die volle Systemleistung hier auch dauerhaft abrufbar ist: Der Verbrenner lädt die Batterie in sechs Minuten voll. Und im entsprechenden Fahrmodus (es gibt 13 davon) wird quasi permanent nachgefüttert, wenn man die volle Leistung nicht gerade abruft.
Viel Infotainment gibt es im Innenraum des schnellsten Serien-Lamborghini. Dass nicht jede Ziernaht schnurgerade ist, verzeiht man ihm.
(Foto: Patrick Broich)
Zum Schluss vielleicht noch ein paar Wörter zum Interieur, in dem es inzwischen viel Touchscreen gibt und reichlich Lederbespannung samt feinen Ziernähten, die allerdings nicht immer ganz akkurat gearbeitet sind. Das macht eben immer auch den Charme eines so besonderen Autos aus, wie der Lamborghini Revuelto eines ist - nicht ganz perfekt, aber die maximale Sehnsucht ist im Spiel. Am Ende gehört er allein wegen seines einzigartigen Technikkonzepts in jede hochkarätige Sammlung, auch wenn sein extrovertiertes Erscheinungsbild sicherlich nicht nur Freunde findet. Wenn da bloß nicht diese verdammte 500.000-Euro-Hürde wäre.
Quelle: ntv.de