Flugzeug-Recycling boomt Wenn der Jet in sein zweites Leben startet
10.09.2018, 11:08 Uhr
Hier die Verschrottung einer aus Belgien stammenden A310.
Bis dato wurden ausrangierte Flugzeuge über Jahre auf riesigen Schrottplätzen geparkt. Doch zu wertvoll sind die Bauteile für die Deponie. Deshalb starten inzwischen viele Jets in ein zweites Leben - und wenn es nur als Coladose ist.
Der Airbus hat ein Jet-Set-Leben geführt, wie es geschrieben steht: 18.000 Starts und Landungen auf Flughäfen in aller Welt, noch mehr Stunden in der Luft und mehr als eine Million Passagiere. Doch nach mehr als zwanzig Jahren im Dienst ist die westfälische Provinz die finale Destination dieses Airbus A310, er steht in einem Hangar am Flughafen Paderborn-Lippstadt. In frischem, weiß-grauen Lack, der die Spuren des langjährigen Einsatzes kaschiert, hat der Passagierflieger auf seine alten Tage hier noch einen letzten Auftritt. Dann wird er demontiert und anschließend fast komplett recycelt – in dieser Dimension ein Novum in Deutschland. Aber ein Zukunftstrend: Weltweit erhalten immer mehr Flugzeuge ein zweites Leben.
Kein Schräubchen bleibt übrig
"Am Ende soll nicht einmal ein Schräubchen übrig bleiben", erläutert Jürgen Stolze, Chef der German Aircraft Maintenance GmbH (GAM), die mit ihren rund 80 Mitarbeitern üblicherweise große Verkehrsflieger wartet und nun den A310 auseinandernimmt. Annähernd einhundert Prozent will die Flugzeug-Werkstatt recyceln – von den Sitzen oder Triebwerken bis zu den rund 40 Tonnen Alu-Schrott der Außenhaut. Ressourcenschonend ist das, aber auch lukrativ: Einige Millionen Euro will die Besitzerin, die Schweizer Leasing-Gesellschaft Aero-Sky, mit dem Recycling erlösen – wohl mehr, als der Vogel im Ganzen eingebracht hätte.
Denn obwohl der als VIP-Flieger mit 100 Sitzplätzen eingesetzte A310 auch mit mehr als 20 Jahren auf den Tragflächen noch uneingeschränkt flugtauglich ist und jederzeit einsatzbereit gewesen wäre, war er offenbar unverkäuflich. "Ein wirtschaftliches Betreiben wäre nicht mehr sinnvoll gewesen, da die Wartungen mit den Jahren immer kostspieliger werden", so Stolze. Ein mittlerer sechsstelliger Betrag wird mindestens für einen größeren Check fällig. Und natürlich spielt auch der Kerosinverbrauch eine Rolle: Neue Flugzeuge fliegen einfach effizienter.
600 Flugzeuge jährlich ausgemustert
"Das Thema Recycling gewinnt immer größere Bedeutung, weil viele Flugzeuge ihre Altersgrenze erreichen", sagt Stolze. Kein Wunder, ist doch der Flugverkehr in den vergangenen Jahrzehnten massiv gestiegen: Gab es 1960 weltweit lediglich 106 Millionen Flugpassagiere, hoben 1987 bereits eine Milliarde Menschen ab. Und die 4,1 Milliarden Flugpassagiere im Jahr 2017 waren nach Angaben der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation ICAO mal wieder ein Rekord.
Etwa 600 kommerzielle Flugzeuge werden jedes Jahr ausgemustert, glaubt man beim amerikanischen Flugzeugbauer und Weltmarktführer Boeing. Der Dachverband AFRA (Aircraft Fleet Recycling Association) schätzt das genauso ein und rechnet für die kommenden 20 Jahre entsprechend auf etwa 12.000 Maschinen hoch, die in den Ruhestand gehen werden. Und die Flotte erneuert sich schnell: "Bis 2027 wird das Flottendurchschnittsalter von 11,2 auf 9,7 Jahre sinken", sagt Ingrid Portacio vom amerikanischen Flugzeug-Recycler Universal Asset Management (UAM). "Ganz offensichtlich geht der Trend dahin, Flugzeuge schon in einem jüngeren Alter in Rente zu schicken. Das führt zu einer immer größeren Zahl, die für ein Recycling geeignet sind."
Die Rohstoffe sind zu wertvoll
Über Jahrzehnte wurden ausrangierten Maschinen wie der A310 auf sogenannten Flugzeug-Friedhöfen geparkt, um entweder in Hoch-Zeiten als Reserve-Flieger zu dienen oder vielleicht irgendwann verschrottet zu werden. Interessierte kennen Luftaufnahmen, beispielsweise aus der Mojave-Wüste in den USA: Hunderte Flugzeuge aufgereiht und in dem trockenen, heißen Wetter weitgehend vor kurzfristigem Verfall geschützt. Doch seit einigen Jahren hat ein Umdenken eingesetzt: Zu wertvoll sind sowohl die verbauten Rohstoffe als auch die Ersatzteile.
Allein die beiden Turbinen bringen beim A310 in Paderborn-Lippstadt zusammen 1,5 Millionen Euro. Sie sind bereits verkauft und werden als Erstes demontiert. Beim Ausbau gehen die Fluggeräte-Mechaniker äußerst vorsichtig zu Werke: Ist die Verkleidung entfernt und nach oben geklappt, wird ein bewegliches Gerüst, im Jargon "Jack" genannt, unter die Turbine geschoben. Behutsam lösen die Mechaniker das rund 5,5 Tonnen schwere Triebwerk, schützen wichtige Teile mit Plastikfolien und roten Klebestreifen vor Beschädigung. Ausgebaut, gereinigt, überprüft und nach den Richtlinien der Flugsicherheit neu zertifiziert ist die Turbine ein wertvolles Ersatzteil. Etwa dann, wenn eine der noch aktiven Schwestermaschinen einen Vogelschlag in ihrem Triebwerk hatte.
Fast alles kann verkauft werden
Turbinen, Avionik – also elektronische Geräte wie Computer, Fluginstrumente oder Radar – sowie das Fahrwerk machen einen Großteil des Werts aus. Aber auch Sitze oder Schwimmwesten sind wiederverkäuflich. Mehr als 1000 Teile sollen bei diesem A310 so wieder auf den Markt kommen. "Die Nachfrage nach kostengünstigen und hochwertigen Materialien der zweiten Generation ist groß", weiß Ingrid Protacio von UAM. Marktforscher schätzen den kompletten weltweiten Aftermarket für Flugzeugteile (inklusive neuer Teile) 2018 auf fast 36 Milliarden US-Dollar. Wertvoll bleiben die Second-Hand-Ersatzteile aber nur, wenn sie voll funktionstüchtig und zertifiziert sind. Nach Jahren in der Wüste hat ein Flieger daher kaum mehr als Schrottwert.
Rund 45 Prozent der Masse eines aus dem Verkehr gezogenen Flugzeugs landete in der Vergangenheit auf Deponien, schätzt die Europäische Kommission, recycelt wurde meist nur das Aluminium der Außenhaut. Um das zu ändern, kofinanzierte die EU-Kommission 2006 das Projekt PAMELA (Process for Advanced Management of End of Life of Aircraft) des europäischen Flugzeugherstellers Airbus. Die These: 85 bis 95 Prozent des Flugzeugs können wiederverwendet werden – analog zu der für Autos geltenden EU-Richtlinie. Das gelang: Lediglich 13 Prozent des im Projekt demontierten Airbus A300 mussten letztlich nur noch als nicht verwertbarer Abfall deklariert werden.
40 bis 60 Maschinen im Jahr demontiert
Der weltweit zweitgrößte Flugzeughersteller machte daraus bereits vor einigen Jahren ein Geschäft: Seit 2007 hat das Unternehmen Tarmac Aerosave, zu dessen Hauptanteilseignern Airbus gehört, rund 120 Flieger recycelt und erreicht mittlerweile eine beachtliche Wiederverwertungsquote von 92 Prozent. Obwohl das Recycling für die Franzosen mit Sitz im südfranzösischen Tarbes neben der Flugzeug-Wartung und der sicheren Aufbewahrung von Verkehrsfliegern, nur ein kleiner Geschäftszweig ist, sind sie mittlerweile Europas größtes Unternehmen dieser Art. Zum Gelände gehört auch ein 17.000 Quadratmeter großes "Warenhaus", in dem die sorgfältig verpackten Ersatzteile auf ihren nächsten Einsatz warten.
Zwischen 40 und 60 Maschinen jedes Jahr demontiert der amerikanische Flugzeug-Recycler UAM, dafür werden zwischen 15 und 90 Arbeitstage pro Flugzeug benötigt. Etwa sechs Wochen hat die GAM in Paderborn für den A310 veranschlagt. Sind die potenziellen Ersatzteile ausgebaut, kommt der grobmotorische Teil, der am Ende nur wenige Tage dauert: Ein Kran und ein Bagger mit Zange zerlegen den Rest des Flugzeugs, der in Container verpackt wird. Feiner sieht die Zerlegung bei Tarmac aus: Bei deren patentierter Zerlegungstechnik wird ein Portal über den Rumpf des Fliegers gefahren, so dass ein Kabel das Metall sauber durchtrennen kann.
Auch online wird verkauft
Verkauft wird das Altmetall über Händler. Erfahrungen mit Flugzeugschrott hat beispielsweise die junge Online-Plattform Schrott24 im vergangenen Jahr gesammelt, als sie die Reste zweier ausgemusterter A310 der belgischen Regierung verwertete: "Ein bemerkenswerter Auftrag mit einem Volumen von fast 100 Tonnen Aluminium, Kupfer und Stahl mit einem hohen fünfstelligen Marktwert", erinnert sich Geschäftsführer Jan Pannenbäcker.
Mittlerweile hat der Trend zum Recycling auch das andere Ende der Erde erreicht: "In China werden immer mehr Zivilflugzeuge in den Ruhestand kommen, was der aufstrebenden Recycling- und Wiederaufbereitungsindustrie erweiterte Marktchancen bietet", sagte LI Yuze, Werksmanager der neuen und nach Unternehmensangaben landesweit ersten großen Recycling-Basis, die Aircraft Recycling International Limited (ARI) Anfang Juni eröffnete. Am Flughafen der Provinzhauptstadt Harbin im Nordosten Chinas sollen auf 300.000 Quadratmetern Fläche jedes Jahr 20 Maschinen wiederverwertet und deren Ersatzteile für den Verkauf eingelagert werden.
Recycling wird in Zukunft schwieriger
Werden heute entsprechend eines Lebenszyklus von 20 bis 30 Jahren vor allem Maschinen aus den 1980er- und 1990er-Jahren aufbereitet, dürfte das Recycling der neuen Generation Flugzeuge aufgrund des höheren Kohlefaser-Anteils deutlich komplizierter werden. Bestand die Struktur einer Boeing 777 von 1993 noch zu 70 Prozent aus Alu, ist der Anteil des Metalls beim ab 2011 ausgelieferten Dreamliner 787 auf 20 Prozent gesunken und der Anteil von Verbundmaterialien auf 50 Prozent gestiegen.
"Von allen Strukturelementen ist Kohlenstofffaser am schwersten zu recyceln", sagt Ingrid Portacio. Die Amerikaner rühmen sich, mit einer neuen Technik als weltweit erstes Unternehmen jüngst die Carbonfasern einer Boeing 777 komplett recycelt zu haben. Für die Verwendung des Carbons der zweiten Generation sei man auch in Gesprächen mit der Automobilindustrie, heißt es bei UAM. Zunächst soll es aber zur Herstellung von Flugzeug-Bodenstützwerkzeugen eingesetzt werden.
Der A310 aus Paderborn-Lippstadt ist bis dahin längst in seinem zweiten Leben über den Wolken unterwegs. Vielleicht mit einem der wertvollen Triebwerke oder auch nur als eine aus recyceltem Aluminium bestehende Cola-Dose in der Bordküche.
Quelle: ntv.de, hpr/sp-x