Frankreichs Raumwunder im Test Renault Espace - der Beste seiner Klasse?
19.04.2016, 09:45 Uhr
Für einen Van wirkt der Renault Espace erstaunlich schnittig. Ein Grund dürften auch die 19 Zoll großen Räder mit 235er Gummis sein.
(Foto: Holger Preiss)
Vans sind nicht mehr die ganz große Nummer. Wenn man den Renault Espace betrachtet, zu Unrecht. Denn der sieht nicht nur spacig aus, er bietet auch unglaublich viel Platz. Bleibt die Frage, ob das reicht, um gegen die Konkurrenz bestehen zu können.

Der Unterfahrschutz am Heck soll etwas SUV-Romantik unter den Renault Espace bringen.
(Foto: Holger Preiss)
Renault hat es schon immer verstanden, mit seinen Concept Cars auf Messen die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. So auch mit dem Renault Espace, der 2013 auf der IAA in Frankfurt für Furore sorgte. Allerdings war man sich damals schon einig, dass auch dieses Gefährt so nicht aus den Produktionshallen des französischen Staatskonzerns rollen wird: schwebende Sitzschalen, eine ebenso fliegende Mittelkonsole, Portaltüren und eine für einen Van unglaublich dynamische Silhouette zierten das Show Car seinerzeit. Umso größer war das Erstaunen, als der Espace in der vierten Generation in den Handel kam. Bis auf die schwebenden Sitze und die Portaltüren war fast alles so wie beim Konzept.
Stellt sich die Frage, ob dieses wunderbare Space Car auch noch einen Praxiswert hat. Denn letztlich ist es ja so, dass die Klasse der Vans als Raum- und damit als Nutzwunder erfunden wurde. Zugegeben, in den letzten Jahren sind die Familienlaster immer mehr von den SUV verdrängt worden. Auch sie bieten in der Regel Platz und eine erhöhte Sitzposition. Und dennoch, so ein Van hat noch mal eine andere Dimension. Noch dazu, wenn er wie der Espace mit angedeutetem Unterfahrschutz an Front und Heck zum Praxistest bei n-tv.de vorfährt.
Raumschiff aus einer anderen Welt

Die Fahrmodi werden mit unterschiedlichen Farben in der Ambientebeleuchtung und in der Matrix untermalt.
(Foto: Holger Preiss)
Allein wenn man das Raumschiff besteigt, tritt man in eine andere Autowelt ein. Leuchtstreifen um die schwebende Mittelkonsole und in der Armatur bezirzen das Auge mit der Farbe des zuletzt gewählten Fahrmodus. Fünf stellt Renault zur Verfügung: Eco (grün), Neutral (blau), Komfort (violett), Sport (rot) und Individual (nach Wunsch). Doch bevor wir weiter in Farbe und Form des Franzosen schwelgen, sehen wir uns die Fahrmodi etwas genauer an und vor allem wie sie in dem von einem 1,6 Liter Diesel befeuerten Wagen wirken.
Die wohl augenfälligste Spreizung erfährt das Fahrverhalten zwischen Sport und Komfort. Während das Lounge-Programm für ein sehr weiches Ausfedern sorgt, bewirkt das Sportprogramm genau das Gegenteil. Es strafft Federung und Gaskennlinie und macht den Sound des 160 PS starken Selbstzünders deutlich aggressiver. Ob man das mag, dürfte individuell recht unterschiedlich sein. Keine Fragen sollte aber der Wechsel zwischen den beiden Programmen aufwerfen, wenn es über mit Bodenwellen gespickte Landstraßen geht. Hier schaukelt sich das Raumschiff im Komfort-Modus so zurecht, dass die Insassen den Eindruck gewinnen in einen Meteoritensturm geraten zu sein. Will der Pilot wieder Ruhe ins Schiff bringen, sollte er zwingend auf Normal oder Sport schalten. Zumal das Handling gerade bei häufigen Lastwechseln einfach besser ist. Die Lenkung arbeitet zwar ausreichend präzise und bietet ausreichende Rückstellkräfte, aber der Espace ist schon sehr lang und mit einem Radstand von 2,88 Meter kein wirklicher Kurvenräuber.
Indifferentes Ansprechverhalten
Schade ist, dass auch der Sportmodus es nicht vermag, dass etwas indifferente Ansprechverhalten des Gaspedals in den Griff zu bekommen. Wer gewillt ist an der Kreuzung den schnellen Start zu proben, wird von einem großen Loch enttäuscht. Denn selbst wenn der rechte Fuß das Gaspedal schon tief ins Blech presst, nimmt sich der Turbo Zeit, bevor die Druckwelle nach vorn geht und die 380 Newtonmeter Drehmoment bereitgestellt werden, um den 1,7 Tonnen schweren Espace anzuschieben. Laut Datenblatt sind sie bereits ab 1750 Kurbelwellenumdrehungen vorhanden, spürbar werden sie aber erst knapp unter der 3000. Ähnlich phänomenal reagiert der Turbo bei leichtem Gasfuß, wenn man das Pedal streichelt, um den 4,86 Meter langen Van in eine Parklücke zu schieben. Trotz größter Vorsicht ruckt der Wagen wie ein bockiges Zicklein plötzlich an, wenn der Turbo mit Luft gefüllt ist.

Das Ledergestühl mit Massagefunktion auf den vorderen Plätzen lässt im Renault Espace keine Wünsche offen.
(Foto: Holger Preiss)
Die Paradedisziplin des französischen Raumwunders ist aber mit Sicherheit die Langstrecke. Auf Autobahnen gleitet er, die sechs Stufen des Doppelkupplungsgetriebes sanft ausrollend, bis zu einer Geschwindigkeit von 200 km/h geräuscharm dahin und selbst der Common-Rail-Diesel singt sehr leise sein raues Lied und genehmigt sich im Schnitt 7,4 Liter. Hier macht sich auch der Komfortmodus bezahlt, lediglich die großen 19-Zoll-Räder – die den Espace wuchtig und dennoch dynamisch dastehen lassen – geben ab und zu Rückmeldung über die eine oder andere Querfuge.
Ansonsten ist für die Passagiere chillen angesagt. In der zweiten Reihe tummelt sich das Publikum auf drei einzelnen ausgezeichnet ausgeformten Lederpolster, die in Länge und Neigung verstellbar sind. An der B-Säule und C-Säule sitzen Positionsleuchten, die ebenfalls je nach Fahrprogramm die Farbe wechseln. Wenn gewünscht, öffnet sich der Himmel und das Panoramadach gibt die Sicht in die Sterne frei, während die Beine der Kinder lustig baumeln und Erwachsene sich im Fond genüsslich strecken. Um die Sonne fern zu halten, sind in den Türen Rollos verstaut.
So viel Raum
Auch im Kofferraum lässt sich bei 680 Liter Stauraum so einiges unterbringen. Wird das Gestühl in der zweiten Reihe per Touchscreen oder Tasten im Gepäckabteil umgelegt, tut sich eine plane Fläche auf, die 2884 Liter schluckt. Hier sollten auch Fahrten zum Baumarkt oder ins Möbelhaus kein Problem sein. Hinzu kommt, dass sich auf Wunsch die Heckklappe elektrisch hebt und senkt.

Mindestesn 680 Liter Kofferraumvolumen stellt der Espace zur Verfügung. Legt man die Rücksitze um, sind es über 2000.
(Foto: Holger Preiss)
Doch wie geht es dem Piloten? Der kann weder über seine Sitzposition noch über die Bedienbarkeit seines Raumgleiters klagen, zumal die Polster auf Wunsch mit drei Massageprogrammen aufwarten, die in fünf Intensitätsstufen von der Lende bis in den oberen Rücken massieren. Gesteuert wird alles über den vertikal aufgestellten 8,7 Zoll großen Touchscreen, dessen Darstellung sich teilen lässt, sodass zwei Programme gleichzeitig bedient werden können, ohne dass es nötig wird, sich durch lästige Menüs zu fummeln. Für Menschen, die die Programme lieber über einen Druckdrehsteller bedienen, ist ein solches Knöpfchen in der Mittelkonsole verbaut und auch die Tasten für die Sitzheizung sind – anders als bei Renault sonst – in Blick- und Griffnähe. Von einer Sache konnten die Franzosen aber auch beim Espace nicht lassen: die Bedieneinheit für das Radio aus der Lenkradverkleidung wachsen zu lassen.
Unpraktischer Schick
Und noch etwas ist absolut schick, aber total unpraktisch. Über der wunderschönen, förmlich durch das Fahrzeug wandernden Mittelkonsole befinden sich eine 12-Volt-Steckdose, ein Ablagefach und der Cupholder. Allerdings ist vonseiten des Fahrers keine der drei Optionen auch nur ansatzweise sinnvoll zu erreichen. Vor allem der Getränkehalter ist an dieser Stelle totaler Unfug. Zum einen stört der eigene Sitz, zum anderen kann der Becher unmöglich herausgehoben werden, weil die Konsole wie ein Dach darüberliegt. Auch größere Flaschen können dort nicht geparkt werden, weil die Aussparungen zum Einstellen zu klein sind.

Die Mittelkonsole ist unglaublich schön, die darunterliegenden Cupholder absolut unpraktisch.
(Foto: Holger Preiss)
In der Summe kann über diese Designverwerfungen aber hinweggesehen werden, denn der Renault Espace ist nach Ansicht des Testers im Augenblick der schönste Van auf Europas Straßen. Hinzu kommt ein tatsächlich ausgezeichnetes Preis-Leistungs-Verhältnis. Wer auf das Lederpaket verzichtet, behält 2500 Euro mehr im Geldbeutel. Wer kein adaptives Fahrwerk und 19 Zoll Räder benötigt, spart weitere 1700 Euro, und wer sich dann noch die elektrische Heckklappe und die beheizbare Frontscheibe, die es zusammen mit sich erwärmenden Rücksitzen gibt, klemmt, spart noch einmal 1100 Euro.
Übrig bleibt ein Familiengleiter mit riesigem Touchscreen, automatisch umklappenden Einzelsitze in der zweiten Reihe, einem Online-Multimediasystem inklusive Navi das auch vor Blitzern warnt, Voll-LED-Scheinwerfer, individuell einstellbarer Fahrzeugcharakteristik, Notbremsassistent, Spurhalte- und Totwinkelwarner, Rückfahrkamera sowie Verkehrszeichenerkennung für 40.150 Euro. Nimmt man das zum Test gefahrene Gesamtpaket, stehen 46.150 Euro auf der Rechnung. Für einen ähnlich ausgestatteten Ford Galaxy werden knapp 50.000 Euro fällig, ein VW Sharan bringt es gar auf 54.000 Euro. Einzig der Opel Zafira liegt mit knapp 40.000 Euro unter dem Franzosen, bietet aber auch weniger Platz.
Fazit: Der Renault Espace ist eines der schönsten Raumwunder, das es im Augenblick auf dem Markt gibt. Der Van besticht nicht nur optisch, sondern auch mit einer Reihe von Ausstattungsfeatures, die sich ohne zu schmerzen in eine gut kalkulierte Preispolitik einsortieren. Über kleine Unebenheiten, die in Form und Funktion kollidieren, kann angesichts des Gesamtpakets getrost hinweggesehen werden.
DATENBLATT | Renault Espace Energy dCi 160 EDC |
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe) | 4,86/ 1,88/ 1,67 m |
Radstand | 2,88 m |
Leergewicht (DIN) | 1630 kg |
Sitzplätze | 5 |
Ladevolumen | 680 / 2101 Liter |
Motor | Reihenvierzylinder mit 1598 ccm Hubraum |
Getriebe | 6-Gang-Doppelkupplungsgetriebe |
Leistung | 118 kW/160 PS bei 4000 U/min |
Kraftstoffart | Diesel |
Antrieb | Frontantrieb |
Höchstgeschwindigkeit | 202 km/h |
Tankvolumen | 58 Liter |
max. Drehmoment | 380 Nm bei 1750 U/min |
Beschleunigung 0-100 km/h | 9,9 Sekunden |
Normverbrauch (kombiniert) | 4,7 l |
Testverbrauch | 7,4 l |
Effizienzklasse | EU6b |
Grundpreis | 40.150 Euro |
Preis des Testwagens | 46.150 Euro |
Quelle: ntv.de