Infografik

Widersprüchliche Impfquoten Warum die RKI-Impfdaten unscharf werden

Eine Frau lässt sich bei einer Impfaktion gegen Covid-19 impfen.

Verwirrende Angaben aus dem Impfquoten-Monitoring: Der Anteil der Grundimmunisierten kann mitunter höher liegen als die Quote der mindestens einmal Geimpften.

(Foto: Moritz Frankenberg/dpa/Archivbil)

Die offiziellen Impfquoten einiger Bundesländer sorgen aktuell für Verwunderung. Denn der berechnete Anteil der doppelt Geimpften wird höher angegeben als der Anteil der einfach Geimpften. Eine Verwechslung? Nein! Hintergrund sind ungenaue Daten.

Aufmerksame ntv.de-Leser wundern sich: Die Infografiken zu den Impfquoten der Bundesländer weisen scheinbar widersprüchliche Werte aus. In Bayern und Sachsen-Anhalt etwa übertrifft die Quote der "Grundimmunisierten" den Anteil der Einwohner, die laut Datenlage mindestens eine Impfung erhalten haben. Wie kann das denn sein? Schließlich ist für die Grundimmunisierung in der Regel mehr als eine Dosis erforderlich.

Kurz: Eine Verwechslung der Werte liegt nicht vor. Die Daten, die ntv.de veröffentlicht, stammen direkt vom Robert-Koch-Institut (RKI). Und auch das schließt auf Nachfrage einen Fehler bei der Berechnung aus.

In den Impfdaten fehlen wichtige Angaben

Das Problem liegt vielmehr in einer zunehmend komplexen und lückenhaften Datenlage. Ein Großteil aller durchgeführten Impfungen, nämlich etwa die Hälfte, wird inzwischen aus dem vertragsärztlichen Bereich gemeldet. Doch die übermittelten Datensätze der kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) enthalten nur rudimentäre Informationen, wie das RKI auf Anfrage bestätigt.

Wer welchen Impfstoff erhalten oder darüber hinaus eine Covid-19-Erkrankung durchgemacht hat, wird dort nicht im Detail dokumentiert. Daher werden Personen unter bestimmten Umständen schon nach nur einer Impfung als "grundimmunisiert" gezählt, ohne dass sie zugleich der Gruppe der Erstgeimpften zugeordnet werden könnten.

Bisher war das zum Beispiel für Betroffene der Fall, die eine einzige Impfung mit dem Vektor-Impfstoff des US-Herstellers Johnson & Johnson (auch bekannt als Janssen-Impfung) erhalten haben. Bis vor Kurzem galten diese Personen schon nach einer Dosis als "vollständig geimpft". Mittlerweile wurden die Empfehlungen angepasst - die Geimpften sollen zusätzlich eine Dosis mit einem mRNA-Impfstoff erhalten. Das RKI hat eine entsprechende Anpassung der Impfstatistik im Januar 2022 angekündigt. Die Neuberechnung der Angaben steht aber noch aus.

"Genesene" verzerren die Impfstatistik

Da der Janssen-Impfstoff nur für Erwachsene zugelassen ist und in der deutschen Impfkampagne eine eher untergeordnete Rolle spielt, ist der rechnerische Effekt auf die Impfquoten bisher kaum aufgefallen. Doch es gibt einen weiteren Grund, warum die offiziellen Impfquoten der "vollständig Geimpften" die Anteile der Erstgeimpften in einigen Landesteilen zu übertreffen scheinen: die enorme Zahl an Infektionen.

Denn auch wer eine Corona-Erkrankung durchgemacht hat und per Nach-Impfung grundimmunisiert wurde, taucht in den Impfdaten der KBV in derselben Gruppe auf wie all jene, die tatsächlich zwei Impfungen erhalten haben. Ob der angenommene Immunschutz nun vollständig aus der Spritze kam oder teilweise durch eine vorherige Infektion erlangt wurde, wird im Datensatz des RKI schlicht nicht unterschieden.

Je mehr Menschen geimpft oder mit dem Erreger in Kontakt gekommen sind, desto größer werden die Unschärfen in der Statistik - die berechneten Impfquoten driften auseinander. In bestimmten Altersgruppen und Regionen kann es dann so aussehen, also ob die "Zweitimpfquote" höher sei als die "Erstimpfquote".

Die Zahlen sind ungenau - aber sind sie noch aussagekräftig?

Das mag verwirrend sein. Doch inwiefern ist es ein Problem? Klar ist: Zur Bewältigung der Corona-Pandemie und auf dem Weg zurück zur Normalität brauchen möglichst viele Menschen einen ausreichenden Immunschutz - und eine Infektion oder eine einzelne Vakzin-Dosis reichen dafür nicht aus. Worauf es ankommt, ist also die Impfquote der mindestens doppelt oder dreifach Geimpften. Für Geboosterte sinkt das Risiko für eine schwere Covid-19-Erkrankung oder gar einen tödlichen Verlauf am deutlichsten.

Auch der Faktor Zeit spielt eine Rolle: Mehrere Monate nach Abschluss der Impfserie lässt die Schutzwirkung nach, zeigen Studien. Neue Virusvarianten, die der Immunantwort entkommen können, stellen Wissenschaft und Medizin vor zusätzliche Herausforderungen. Gerade in den Risikogruppen könnte daher eine regelmäßige Auffrischungsimpfung gegen Covid-19 nötig werden, ähnlich wie beim Grippeschutz.

Die verfügbaren offiziellen Impfzahlen können vor diesem komplexen Hintergrund bestenfalls einen Hinweis darauf geben, wie es um den gesamtgesellschaftlichen Immunschutz gegen Sars-CoV-2 bestellt ist. Eine exakte Wiedergabe des tatsächlichen Impffortschritts ist auf Grundlage der gemeldeten Daten nicht möglich.

Die Impfung bleibt der einzige nachhaltige Schutzwall gegen die Pandemie

Gerade bei hohen Infektionszahlen und einer routinemäßigen Eintragung neuer, problematischer Corona-Varianten muss die Gesellschaft weiterhin beobachten und sorgfältig abwägen, welche Kosten und Risiken sie in Kauf nehmen will. Auch bei einer hohen Impfquote kann eine ungehinderte Ausbreitung des Erregers gravierende Konsequenzen verursachen, etwa durch einen hohen Krankenstand, Personalausfall, eine dauerhafte Belastung des Gesundheitssystems oder durch eine insgesamt sinkende Lebenserwartung.

In Deutschland klaffen derzeit noch immer größere Impflücken - auch in den besonders gefährdeten höheren Altersgruppen. Eine Aufhebung sämtlicher Schutzmaßnahmen scheint dem Expertenrat der Bundesregierung aktuell noch nicht ratsam. Das erklärte Ziel der Bundesregierung bleibt es weiterhin, die Impfquoten zu steigern, um besser für zukünftige Corona-Wellen gewappnet zu sein.

Im Instrumentenkoffer der Pandemie-Bekämpfung stellt die Impfung eine Art Grundsicherung dar: Wenn es trotz aller Vorsicht zu einer Ansteckung kommt, kann die Immunisierung Menschenleben retten und zumindest die schlimmsten gesundheitlichen Folgen in den meisten Fällen verhindern. Die Impfung funktioniert vor allem auch dann noch als nachhaltiger Schutzwall, wenn die geltenden Corona-Auflagen wegfallen.

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen