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Tanken, Heizen, Strom Wo Deutschland russische Energie braucht

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Deutschland will weg von russischem Gas und Öl. Ein europaweites Embargo würde Moskau vermutlich härter treffen als alle bisher beschlossenen Sanktionen. Doch wenn Rohstoffe knapp werden, hat das auch hierzulande Konsequenzen. Wie sehr ist die Bundesrepublik von russischen Energielieferungen abhängig?

Deutschland braucht Energieimporte. Lange Zeit sah darin kaum jemand ein ernsthaftes Problem. Die wirtschaftliche Verflechtung Deutschlands mit Staaten innerhalb und außerhalb der Europäischen Union galt als Garant für Stabilität und Frieden in der Region - und sorgte für eine ununterbrochene Belieferung.

Bereits mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch die russische Armee im Jahr 2014 wurden jedoch Forderungen lauter, Deutschland müsse seine Energiepartnerschaft mit Russland überdenken. Der Einmarsch Russlands Ende Februar hat den Handlungsdruck auf die Politik nun erhöht.

Tag für Tag überweist der Energiekunde Deutschland Millionensummen auf die Konten russischer Staatskonzerne. Ein sofortiger Stopp der Energieimporte würde den Kreml wohl sehr viel schwerer treffen als alle bisher beschlossenen Sanktionen, Deutschland allerdings auch. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck warnte vor "erheblichen wirtschaftlichen Verwerfungen" und "gesellschaftlichen Schäden" sollte die Bundesrepublik sich für ein Energieembargo entscheiden. Aber wie sehr ist Deutschland wirklich auf russische Energie angewiesen und wo zeigt sich das am deutlichsten?

Der deutsche Energiemix, gemessen an der eingesetzten Energie, hat sich in den vergangenen 30 Jahren stark verändert. Windkraft, Fotovoltaik und andere erneuerbare Energiequellen machten 1990 gerade mal 1,3 Prozent aus. Bis zum Jahr 2021 steigerte sich dieser Anteil auf knapp 16 Prozent. Im gleichen Zeitraum ging die Bedeutung von Kohle und Kernenergie massiv zurück. Der Kohleanteil halbierte sich sogar.

Die Rolle von Mineralöl für die deutsche Energieversorgung hat sich über all die Jahre kaum verändert. Erdgas hingegen stieg zum zweitwichtigsten Energieträger auf: Erdgas deckt mittlerweile mehr als ein Viertel des Bedarfs hierzulande.

Neben der klimaschädlichen Wirkung von Kohle, Öl und Erdgas haben die fossilen Energieträger aus deutscher Sicht einen ganz unmittelbaren Nachteil: Sie müssen zu großen Teilen importiert werden. Deutschland bezieht Erdöl nahezu vollständig aus dem Ausland. Beim Erdgas lag der importierte Anteil letztes Jahr bei 95 Prozent.

Nicht viel besser sieht es bei der Kohle aus. Seit dem Ende der Subventionierung 2018 wird Steinkohle nicht mehr aus heimischen Revieren bezogen, sondern nur noch aus dem Ausland. Der Braunkohlebedarf hingegen wird noch komplett aus den Abbaustätten etwa in der Lausitz oder im Rheinland gedeckt. Auch die verbrauchte Menge an erneuerbarer Energie konnte im letzten Jahr aus hierzulande verbauten Quellen gespeist werden.

Die Vorteile von erneuerbaren Energiequellen liegen angesichts dieser Zahlen auf der Hand: Energie aus Wasser, Wind und Wärme ist nicht nur klimafreundlich, sie hat auch geostrategisch einen unschlagbaren Vorteil. Die verbrauchten Mengen an Ökostrom ließen sich zuletzt komplett aus heimischen Quellen speisen. Der Ausbauzustand reicht aber noch lange nicht, um Deutschland unabhängig zu machen. Weil Öl, Gas und Kohle eine so große Rolle spielen, ist die deutsche Energieversorgung noch zu 71 Prozent von Importen abhängig.

Putins Krieg in der Ukraine legt die Schwachstelle der deutschen Energieversorgung offen: Ein Großteil des deutschen Importbedarfs stammt aus Russland. Beim Rohöl etwa machten die russischen Lieferungen 2021 rund ein Drittel aller Einfuhren aus. Über den Seeweg, sowie die Pipeline "Druschba" (russisch für Freundschaft) kaufte die Bundesrepublik fast dreimal mehr Öl von Russland als vom zweitwichtigsten Lieferanten, der USA.

Doch die Lieferketten scheinen beweglich zu sein. Nach dem Angriff auf die Ukraine soll die Bedeutung Russlands für die deutsche Rohölversorgung bereits geschwunden sein: "Durch Vertragsumstellungen sinkt die Abhängigkeit von russischem Öl bereits jetzt absehbar auf 25 Prozent", schrieb das Bundeswirtschaftsministerium Ende März in einem Vermerk. Bis Mitte des Jahres ließe sich die Importmenge demnach halbieren, bis Jahresende strebe man an, "nahezu unabhängig zu sein".

Bei der Kohle gibt es Bewegung auf höchster Ebene: Am Donnerstag beschlossen die 27 EU-Staaten einen Importstopp, allerdings mit einer Übergangsfrist von vier Monaten. Das ist für Deutschland wichtig, immerhin kam letztes Jahr mehr als die Hälfte der hierzulande verfeuerten Steinkohle aus Russland. In einem Bericht des Wirtschaftsministeriums hieß es, bei einem sofortigen Lieferstopp könnte es nach wenigen Wochen zu Kohleknappheit kommen. Dann müsste für die Stromerzeugung auf Vorräte an den Kraftwerksstandorten und zwischengelagerte Steinkohle in Häfen zurückgegriffen werden.

Mittelfristig scheint die Loslösung von russischen Steinkohleimporten aber machbar. Sie könnten in wenigen Monaten vollständig durch Lieferungen aus anderen Ländern ersetzt werden - insbesondere aus den USA, Kolumbien und Südafrika, teilte Anfang März der Verein der Kohlenimporteure mit. Es gebe einen gut funktionierenden, liquiden Weltmarkt und es seien ausreichende Mengen vorhanden.

Energiepolitische Unabhängigkeit ist beim Gas nur schwer zu erreichen: Mehr als die Hälfte kam 2020 aus Russland, Norwegen kam für knapp ein Drittel der Erdgasimporte auf, die Niederlande für gut zehn Prozent. Damit ist das Feld der Lieferanten aber auch schon nahezu erschöpfend beschrieben. Hier soll langfristig eine breitere Aufstellung erfolgen, kurzfristig aber steht die Loslösung von Russland als wichtigstem Handelspartner klar im Vordergrund.

Laut einem Schreiben des Bundeswirtschaftsministeriums ging die Abhängigkeit von russischen Lieferungen beim Erdgas Ende März bereits auf rund 40 Prozent zurück. Bis Ende des Jahres könne der russische Anteil demnach "auf etwa 30 Prozent" gesenkt werden - unter anderem, weil weniger Gas und stattdessen mehr Kohle in Kraftwerken eingesetzt werde.

Schon im Sommer 2024 sei die Unabhängigkeit von russischem Gas möglich, zitiert der "Spiegel" das Wirtschaftsministerium weiter. Möglich werden soll das durch den Ausbau der Wasserstoffwirtschaft, der Transportinfrastruktur für flüssiges Erdgas (LNG) und der Produktion von Erneuerbaren Energien. Damit ließe sich eine Verringerung des Erdgasanteils Russlands auf rund zehn Prozent bewerkstelligen.

Die Umstellungen und der mögliche Lieferstopp haben die Energiepreise bereits im Frühjahr 2022 in die Höhe schnellen lassen. Die Strompreise zogen deutlich an, Verbraucher sollen mit einer Energiepauschale entlastet werden. Auch der Industrie machen die Stromkosten zu schaffen. Knapp ein Viertel des 2020 hierzulande produzierten und ins deutsche Netz eingespeisten Stroms kam aus Kohlekraftwerken. Mit einem Anteil von nicht mal einem Sechstel spielt Erdgas bei der Stromerzeugung eine verhältnismäßig geringe Rolle.

Ganz anders sieht es bei der Wärmeerzeugung aus: Hier wurden im Jahr 2020 knapp 45 Prozent der verbrauchten Endenergie aus der Verbrennung von Erdgas gewonnen. Das galt lange als günstigste Option, laut Bundeswirtschaftsministerium wurden 2019 rund 48,2 Prozent der Wohnungen in Deutschland über eine Gasheizung mit Wärme versorgt. Regional gibt es dabei aber große Unterschiede, in großen Städten wie Hamburg und Berlin sowie im Osten Deutschlands spielt beispielsweise Fernwärme eine größere Rolle als im Rest Deutschlands, wobei auch viele Fernwärmekraftwerke Erdgas verbrennen.

Im Verkehrssektor spielt Erdgas keine Rolle. Er ist fast ausnahmslos auf die Verbrennung von Erdöl ausgerichtet. Die Abhängigkeit von russischen Lieferungen ist hier zwar geringer als beim Gas, dennoch ließ bereits der russische Aufmarsch an der ukrainischen Grenze die Preise steigen. Deutschlands Abhängigkeit fällt auch hier regional unterschiedlich aus: Die beiden großen Raffinerien in Schwedt und Leuna, die russisches Öl verarbeiteten, liegen im Osten. Schwedt befindet sich an der Grenze zu Polen. Dadurch müssen vor allem für den Osten der Bundesrepublik andere Bezugsquellen und -wege von Erdöl aufgetan werden.

Bei allen Unwägbarkeiten: Sicher scheint, dass die Loslösung von russischen Energieimporten für Deutschland schmerzhaft wird. Sie wird von hohen Preisen begleitet sein, von Belastungen für Wirtschaft und Verbraucher. Sie dürfte im Fall der zusätzlich verstromten Kohle für Schäden in der Klimabilanz sorgen, baut aber möglicherweise auch genügend Druck für einen schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien auf.

Quelle: ntv.de

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