
Don Maurizio lässt sich seine gute Laune möglichst nicht verhageln.
(Foto: privat)
Die italienischen Priester, die gegen die Mafia rebellieren, setzen sich einer großen Gefahr aus - einige mussten bereits mit dem Leben dafür bezahlen. Don Maurizio, der unter Personenschutz steht, erzählt ntv.de, wie es ihm persönlich in dieser Situation ergeht.
Die Mafia schreckt hierzulande auch vor Verbrechen an Priestern nicht zurück, obwohl sich die Padrini selbst als besonders gottesfürchtig zeigen, ihre Kinder taufen lassen, kirchlich heiraten und bereitwillig als Patenonkel zur Verfügung stehen. Es heißt, Bernardo Provenzano, einer der blutrünstigsten Mafiosi aller Zeiten und für zwei Jahrzehnte Boss der sizilianischen Mafia-Familie der Corleonesi, soll seine Mordaufträge mit den Worten "So wahr mir Gott helfe" begleitet haben. Wenn aber ein Gottesdiener wagt, sich ihnen offen entgegenzusetzen, gibt es auch für ihn keine Gnade.
Zu den bekanntesten Mafia-Opfern unter den Priestern zählen der sizilianische Don Pino Puglisi, der 1993, am Tag seines 56. Geburtstags, in Palermo vor seiner Haustür ermordet wurde, und Don Peppino Diana, den es 1994 an seinem Namenstag in der süditalienischen Stadt Casal di Principe unweit von Salerno traf.
Momentan scheint sich die organisierte Kriminalität auf Drohungen zu beschränken. Die Pfarrei San Paolo Apostolo, in der Don Maurizio Patriciello dient, befindet sich in Caivano, einem der gefährlichsten Vororte von Neapel, und noch genauer im Viertel Parco Verde. Von einem grünen Park ist aber weit und breit nichts zu sehen. Seit die Polizei - nach dem Recherchebuch "Gomorrha" von Antonio Saviano über die neapolitanische organisierte Kriminalität und dem gleichnamigen Film von Matteo Garrone - das Scampia-Viertel im Auge behält, ist das Viertel Parco Verde zum größten Drogenhandelsplatz in Europa geworden, heißt es in einer Doku des öffentlichen Fernsehsenders Rai 3.
Nicht nur beten, auch rebellieren
Don Maurizio führt seine Kirchengemeinde seit 30 Jahren und seit 30 Jahren kämpft er gegen die Camorra. Vor einigen Tagen hat ihm das Innenministerium Personenschutz erteilt. Am 11. März, seinem Geburtstag - die organisierte Kriminalität scheint für solche Anlässe ein Faible zu haben - wurde vor der Kirche eine Papierbombe gezündet. Was Don Maurizio predigt, gefällt den Camorristi ganz und gar nicht.
"Wenn euer Sohn mit einer Torte nach Hause kommt, dann fragt ihn zuerst, woher er das Geld dafür genommen hat. Wenn es nicht ehrlich verdient wurde, esst sie nicht, sondern werft sie ihm nach", spricht Don Maurizio den Müttern vom Pult aus in Gewissen. Von der Camorra bedroht zu werden, ist für den Priester nichts Neues: In der Vergangenheit stand er an vorderster Front beim Kampf gegen die kriminellen Machenschaften mit dem Giftmüll, heute kämpft er gegen den Drogenhandel.
Bis jetzt hatte er die Drohungen nicht angezeigt, doch nach der Papierbombe hat er sich entschlossen, den Vorfall der Polizei zu melden. "Warum ich das nicht vorher gemacht habe?", sagt Don Maurizio im Gespräch mit ntv.de. "Weil ich lange Zeit der Meinung war, dass meine Mission als Priester eine andere ist. Ich bin für meine ganze Glaubensgemeinschaft verantwortlich, auch für die Kriminellen." Seine Aufgabe sei es, den Leuten hier in diesem Viertel, wo 90 Prozent arbeitslos sind, die Augen zu öffnen. Daher auch sein ständiges Mahnen von der Kanzel: "Es genügt nicht zu beten, ihr müsst auch rebellieren, denunzieren."
"Solange ein Priester das Übliche predigt, ist es für die Mafia-Bosse okay", erklärt Enza Rando, Rechtsanwältin und Vizevorsitzende der Anti-Mafia-NGO Libera. "Wenn sie aber die Mafia an den Pranger stellen, wenn sie sagen, dass die Mafia die Familien und die Wirtschaft zerstört, dann reagieren die Mafiosi." Das weiß Don Luigi Ciotti, Vorsitzender von Libera, all zu gut. Er lebt seit 2014 unter Personenschutz, weil der mittlerweile verstorbene Mafia-Boss Totò Riina ihm sogar aus dem Gefängnis gedroht hatte. Der palermitanische Priester wurde ermordet, weil er im Stadtviertel Brancaccio eine Schule eröffnen wollte.
Die Leute im Viertel sollen keine anderen Perspektiven haben, das ist die Devise der Mafia, sie sollen von ihr finanziell abhängig sein. Weswegen wurden auch vor ein paar Tagen im Viertel Parco Verde die Lokale einer Jugendorganisation verwüstet. "Gegründet hat sie ein ehemaliger Camorrista, der seine Strafe abgesessen und danach einen neuen Weg eingeschlagen hat" erzählt Don Maurizio.
Aufgeben ist keine Option
Es ist nicht leicht, unter Personenschutz zu leben. Sogar während der Messe stehen die Leibwächter unmittelbar vorm Altar. Doch sie dienen seiner Sicherheit und er könne so seinen Kampf gegen die Camorra weiterführen, meint der Priester, denn aufgeben sei keine Option. Im Gegenteil, von einem lokalen Polizeikommandanten und einem Parlamentarier unterstützt, hat er in seiner Kirche den Anti-Camorra-Verband Comitato di liberazione dalla Camorra - Area Nord Napoli gegründet. Zu ihren Aktionen erzählt er: "Ein Beispiel: Zusammen mit dem Vorsitzenden des parlamentarischen Anti-Mafia Ausschusses sind wir einmal in einem Lokal Kaffee trinken gegangen, in dem es Tage davor einen Mordanschlag gegen einen anderen Camorrista gegeben hat. Dieser wurde erschossen, aber auch zwei unbescholtene Menschen kamen dabei zu Tode. Der Besitzer wollte das Lokal aufgeben. Wir haben ihm Mut gemacht, es nicht zu tun."
Don Maurizio setzt auf kleine nachahmbare Aktionen, die keinen Heldenmut verlangen. Auch Don Antonio Coluccia, der im römischen Problemviertel San Basilio tätig ist und wie Don Maurizio unter Personenschutz steht, kämpft auf ähnliche Weise. Mit dem Evangelium und dem Megafon in der Hand zieht er durch San Basilio und wird dabei nicht müde, den Satz "Bekehrt euch!", den Papst Johannes Paul II. einst in den archäologischen Stätten von Agrigent an die Mafiosi richtete, zu wiederholen. Papst Johannes Paul II. und Papst Franziskus waren es, die die Mafiosi aus der Kirchengemeinschaft verwiesen, sie exkommunizierten.
Der Personenschutz von Don Maurizio scheint jedoch die Camorristi nicht wirklich zu beeindrucken. Vor ein paar Tagen haben sie ihm wieder eine Nachricht vor der Kirche hinterlassen. Darauf stand: "Bla, bla, bla. Für den Moment." Was zweierlei bedeuten kann: "Bis jetzt haben wir nur gesprochen", oder: "Bis jetzt habt ihr nur gesprochen." Auch Don Maurizio weiß nicht, was wirklich damit gemeint ist. Er lässt sich aber nicht einschüchtern, denn wie bereits erwähnt - aufgeben ist für ihn keine Option.
(Dieser Artikel wurde am Montag, 11. April 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de