Andreas Dresen zu "Wolke 9" "Die Zeit war reif"
29.08.2008, 15:05 Uhr Bei den Filmfestspielen in Cannes wurde "Wolke 9" gefeiert und mit dem Preis "Coup de Coeur" ausgezeichnet. Ab dem 4. September läuft Andreas Dresens jüngstes Werk nun auch in deutschen Kinos. Wieder erzählt der Regisseur, bekannt durch Filme wie "Halbe Treppe" oder "Sommer vorm Balkon", fast dokumentarisch und leise eine sehr private Geschichte, die aber das Zeug hat, viele zu berühren, und die uns alle betrifft. Sie handelt von der Freiheit im Alter zu lieben und von den Folgen.
n-tv.de: Wie sind Sie auf das Thema Liebe und Sex im Alter gekommen?
Andreas Dresen: Ich fand es verblüffend, dass es keine Liebesgeschichten zwischen alten Leuten gibt - jedenfalls keine, die das Thema radikal anfasst, die nicht nur schrullige, putzige Alte zeigt, die sich noch einmal ein Küsschen geben und Händchen halten. Ich wundere mich darüber schon seit Jahren und irgendwann war die Zeit eben reif.
War es schwer, Schauspieler für Ihre "radikale" Liebesgeschichte zu finden?
Ich hatte mit allen drei Schauspielern schon einmal gearbeitet und dachte, die werden sich das trauen, die haben irgendwie den Rock'n'Roll im Blut. Und so war es. Erst gab es ja nur die Überlegung, eine Liebesgeschichte zwischen alten Leuten zu erzählen, die leidenschaftliche Gefühle enthalten sollte und auch Sexualität. Wir hatten kein Drehbuch. Ich war mir relativ sicher, dass wir das nur machen konnten, wenn wir Schauspieler finden würden, die Lust darauf hätten, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen. Zum einen, weil es für Schauspieler sehr schwierig ist, zu improvisieren, keine festen Worte zu haben, an denen sie sich festhalten können. Und zum anderen, weil es vielleicht nicht mehr so einfach ist, nackt vor einer Kamera zu agieren, wenn man ein gewisses Alter erreicht hat. Ich habe mich noch mit einer anderen Schauspielerin getroffen, dann hätte es vielleicht eine Viererkonstellation werden können. Die hatte aber Angst davor. So haben wir die Geschichte mit zwei Männern und einer Frau gebaut. Die Schauspieler haben sie sich gleich zu Eigen gemacht und es gab auch keine Ressentiments.
Die Handlung stand also anfangs gar nicht fest?
Ich habe erst die Besetzung gesucht. Da konnte ich den Schauspielern noch gar nichts zur Geschichte sagen. Dann habe ich das Team zusammengetrommelt. Das waren nur sieben Leute, mit denen ich auch "Halbe Treppe" gedreht habe. Ich wollte für den Film eine intime, familiäre Konstellation. Wir haben angefangen, den Film zu finanzieren und zu viert eine Art Szenenfahrplan entwickelt, ohne Dialoge, nur einen groben Ablauf: Was wollen wir erzählen, was wollen wir weglassen, wo operieren wir mit Auslassungen? Mit dieser Skizze sind wir zu den Schauspielern gegangen und haben uns über die Charaktere verständigt: Wie sind die Figuren, welche Hobbys haben sie und welche Vorgeschichte, haben sie Kinder? All das haben wir im Vorfeld sehr genau festgelegt, damit die Schauspieler ihre Figuren und deren Horizont sehr genau kannten. Und mit diesem Rucksack sind wir dann an den Start gegangen und haben am Drehort versucht herauszufinden, wie die Szene gehen könnte, was vielleicht gesagt oder auch nicht gesagt wird.
Viel gesprochen wird ja nicht
Ich habe versucht, möglichst wenig Dialog in den Film zu lassen, weil Schauspieler beim Improvisieren dazu neigen, zuviel zu reden. Man hat dann das Gefühl, die Pausen mit redundantem Geplapper füllen zu müssen. Außerdem braucht es ja, wenn man verliebt ist, nicht so viele Worte, dann spricht man physisch eine andere Sprache. Und wenn man dreißig Jahre in einer Beziehung lebt, muss man auch nicht mehr so viele Dinge erklären, dann läuft vieles in der Alltagsroutine. Wenn dann in der zweiten Hälfte des Films der Konflikt ausbricht, beginnen die Figuren auch Worte zu finden, aber nicht unbedingt welche, die helfen. Sondern eher Worte, die die Situation zuspitzen und die Zerstörung vorantreiben.
Waren die Sexszenen nicht die größere Herausforderung als das Improvisieren?
Ich glaube das Ausziehen ist letztendlich nicht so schwer. Da ist ein Moment, in dem man sich überwinden muss und dann ist es auch sehr schnell Arbeit und Alltag. Die Geschichte geht dann aber in eine Richtung, in der man sich eher seelisch nackt machen muss. Das war, glaube ich, sehr viel schwerer als die Phasen der physischen Nacktheit.
Hatten Sie Hemmungen, Nacktszenen mit Menschen zu drehen, die Ihre eigenen Eltern sein könnten?
Na klar! Ich wollte die Szenen ja gern konkret haben, da muss man als Regisseur natürlich auch konkret formulieren und fordern. Es fällt nicht so leicht, dann zu sagen "jetzt stimulierst du sie mal mit dem Mund". Das hat mich am Anfang auch Überwindung gekostet. Dann wurde es aber ganz schnell leichter. Die Schauspieler haben sich sofort bei der ersten Probe die Klamotten vom Leib gerissen. Plötzlich hatte ich mich auch daran gewöhnt, von Schauspielern einer älteren Generation umgeben zu sein, die eben nackt sind. Und die Kamera, die dann dabei ist, hat ja auch so etwas wie eine Schutzfunktion. Der Darsteller des Karl, Horst Westphal, rannte irgendwann einmal nackt durch die Wohnung, um sich einen Kaffee zu holen und sagte, "ach, wenn die Kamera nicht dabei ist, fühl' ich mich richtig ausgezogen".
Wie macht man plausibel, dass eine fast 70-Jährige eine 30-jährige Beziehung aufgibt?
Wir haben beim Dreh oft darüber nachgedacht, warum sie diesen neuen Mann Karl liebt und warum der jetzt besser ist als ihr Mann Werner. Der ist ja gar nicht besser als Werner, Karl ist einfach nur anders. Das ist das Irrationale an der Liebe. Wir können das Gefühl eben nicht steuern, wir können es nicht begründen, es hat nichts mit dem Kopf zu tun, es überkommt uns in einem Moment, in dem wir es nicht erwarten. Ich weiß nicht, warum Inge Karl liebt - Hingezogensein, ein starker sexueller Impuls, dass sie beide über den gleichen dummen Witz lachen können.
"Wie haben 80-Jährige Sex? Sie machen einen Handstand und er hängt ihn oben rein." Wie kam dieser Witz in eine sensible Bettszene?
Der kam von mir. Ich hab den Witz bei einer Internetrecherche gefunden und fand ihn ziemlich blöd. Aber als wir dann die Bettszene drehten, in der Karl Erektionsprobleme hat, und die dann eigentlich dahin führen sollte, dass er Inge davon erzählt, wie er seine todkranke Frau gepflegt hat und wie sie in seinen Armen gestorben ist, - das haben wir auch gedreht, es ist nur nicht im Film drin - da dachte ich, dass hier dieser Witz gut passen würde. Da habe ich Horst Westphal aus dem Set geholt und ihm ins Ohr geflüstert, dass er mal diesen Witz erzählen soll. Ursula Werner (Inge) kannte den noch nicht, wusste auch gar nicht, was das werden sollte, und war total perplex. Was im Film zu sehen ist, ist ihre Originalreaktion, das ist einfach ihr Lachen in dem Moment, weil sie es so absurd fand.
Und dann taucht der "blöde Witz" noch einmal auf.
Weil wir chronologisch gedreht haben, fiel mir später ein, dass es doch ganz hübsch wäre, wenn Inge den Witz ihrem Mann erzählen würde. Es war sehr schön, wie Horst Rehberg als Werner darauf reagiert hat - nämlich irritiert und verwundert. Er war genauso wenig vorbereitet. Während sie sich bekugelt, isst er verständnislos seine Bratkartoffeln. Da sieht man dann auch einen Unterschied zwischen den beiden Männern, auch in der Humorlage. So entstehen manchmal Dinge, die unverhofft schön sind, wenn man improvisiert und die richtige Intuition hat.
Manche Zuschauer könnten Ihre Sexszenen voyeuristisch finden. Was würden Sie denen entgegnen?
Ihr werdet auch mal alt, würde ich denen sagen, und seid froh, wenn ihr dann noch Sex habt. Warum traut man den eigenen Eltern eigentlich keinen Sex zu? Wenn man sich ein bisschen informiert, erfährt man, dass es die Alten noch munter treiben. Natürlich nicht alle, aber vielleicht doch mehrere als man gemeinhin denkt. Wenn man dann noch liest, dass der Sex im Alter bei manchen noch schöner wird, ist das umso verblüffender. Man kennt es ja vielleicht aus der eigenen Erfahrung. Als Teenager war das auch noch nicht so toll mit dem Sex bei mir jedenfalls nicht. Da fehlt einem einfach die Ruhe, die Gelassenheit und die Erfahrung. Vielleicht braucht man eine gewisse Reife, um das auch genießen zu können. Das finde ich eine frohe Botschaft, dass da noch etwas kommt, worauf man sich freuen kann. Sonst ist ja Alter immer nur schrecklich, was ja zum Teil auch stimmt. Es ist ja nicht schön, wenn der Körper Wellen schlägt. Wir sollten aber nicht so tun, als seien alte Körper keine alten Körper, als ob wir mit 70 noch so aussehen wie mit 40, mit Waschbrettbäuchen und ohne Falten.
Doch was, wenn das Thema die Kinobesucher abschreckt?
Für mich zählt, dass es den Film jetzt gibt. Ob 30.000 oder 300.000 Zuschauer, der Film bleibt, was er ist. Leute, die das partout nicht sehen wollen, müssen es sich ja nicht anschauen, man geht ja erfahrungsgemäß freiwillig ins Kino. Im Film wird ja schon sehr früh, in den ersten fünf Minuten die Prämisse gesetzt, da kann man ja noch sehr schnell rausgehen und den Abend anders nutzen. Aber wenn das Kino ein Ort ist, der zur Erkundung des Lebens dient, dann gehört die Lebenswelt alter Menschen ja wohl dazu und nicht ausgeblendet.
Mit Andreas Dresen sprach Nona Schulte-Römer
Quelle: ntv.de