Unterhaltung

Der Männerversteher Harald Martensteins "Gefühlte Nähe"

Harald Martensteins neuer Roman "Gefühlte Nähe" ist gerade erschienen. Der Autor zeigt sich darin als großer Männerversteher und schonungsloser Analytiker des menschlichen Paarungsverhaltens. Es geht um Liebe und Sex und die Probleme, die daraus erst entstehen.

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"Gefühlte Nähe" ist 224 Seiten dick.

Harald Martenstein ist als Autor intelligenter, launiger Kolumnen bekannt, weniger für Romane. Bisher hat er erst einen veröffentlicht ("Heimweg") - immerhin einen hochgelobten. Nun ist sein zweiter erschienen: "Gefühlte Nähe". Nach einem gefeierten Debüt erfolgreich nachzulegen, gilt als Hürde, vor der viele Autoren zittern. Martenstein hat sie souverän genommen. Sein "Roman in 23 Paaren" gehört zu der Sorte kluger Bücher, bei denen man sich zum Weiterlesen nicht erst aufraffen muss.

Am Anfang scheinen die Geschichten nur lose verbunden zu sein. Doch mehr und mehr verstehen die Leser, dass Martenstein nicht einfach über verschiedene Erfahrungen im variantenreichen Beziehungsalltag von Männern und Frauen schreibt, sondern mit System vorgeht: Sein Buch ist eine Enzyklopädie des menschlichen Paarungsverhaltens. Es erzählt das Liebesleben der weiblichen Hauptfigur von den ersten Teenagersehnsüchten bis zur späten pragmatischen Beziehung zu einem jungen Afrikaner, als sie schon in dem Alter ist, in dem andere Frauen Großmutter werden.

Kitschfrei und ohne jede Sentimentalität

Anders als die männlichen Figuren bleibt die weibliche Protagonistin namenlos und wird nur mit "N." abgekürzt. In der Auftaktgeschichte hat sie ihren ersten Sex - mit ihrem Deutschlehrer während einer Klassenfahrt. "Es war wunderschön", schwärmt sie. "Genauso habe ich mir das erste Mal vorgestellt. Ich bin total verliebt in dich." Ihn wirft das Erlebnis aus der Bahn, die Beziehung zu einer Kollegin geht den Bach runter, "N." muss die Schule wechseln.

Liebe hat ein erhebliches Konfliktpotenzial, zeigt schon diese erste Geschichte. Martenstein erzählt auch alle weiteren kitschfrei, mit manchmal geradezu kaltem Blick beobachtet und ohne jede Sentimentalität. Gerade das macht ihre Stärke aus: "Gefühlte Nähe" ist keine Wohlfühlliteratur, und das ist auch gut so.

Perspektivwechsel mit Mitgefühl

Manche Geschichten legen den Fokus ganz auf die Wahrnehmung des männlichen Parts, "N." kommt nur am Rand vor. Aber mit jeder Geschichte lernt der Leser mehr über sie: Mal wird sie verlassen, weil sie ihrem Partner auf die Nerven geht, mal zerbricht eine Beziehung, weil ihr Lover schon das zweite Kind mit einer anderen hat. Mal trauert ihr ein Ex noch Jahre nach der Trennung nach, mal schreibt ihr ein anderer, den sie mit der Begründung verlassen hat, er sei ein netter Typ, aber einfach zu langweilig, einen letzten Brief.

In einer Geschichte hat sie eine Affäre mit einem 86-Jährigen, der sich kaum noch alleine die Socken anziehen kann. Einmal schläft sie mit einem alternden Moderator, von dem sie glaubt, er kenne sie, dabei kann er sich nicht erinnern. Martenstein spielt am Beispiel von "N." durch, was alles möglich ist, wenn Männer und Frauen aufeinandertreffen. Über weite Passagen erscheint der Erzähler als großer Männerversteher. Doch mit jeder Geschichte wächst gleichzeitig das Mitgefühl mit "N.", die im andauernden Beziehungsreigen oft genug ein hilfloses Objekt ist. Auch dieser Perspektivwechsel ist eine Stärke des Buchs. Dass sein Debütroman keine Eintagsfliege war, ist nun hinreichend bewiesen.

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Quelle: ntv.de, Andreas Heimann, dpa

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