"Prince Of Darkness" bei 30 GradWenn Ozzy zur Autogrammstunde bittet
Autogrammstunde von Ozzy Osbourne - auf der Freilichtbühne eines Elektromarkts? Da müssen wir hin, haben wir uns gedacht. Ein Bericht von einer Autogrammstunde der anderen Art.
Schon mal in eine Autogrammstunde von Miley Cyrus geraten? Nein? Nun ja, Sie haben nicht unbedingt etwas verpasst. Da geht es eben zu, wie man es sich erwartet, wenn ein Pop- oder Filmstar den Faserschreiber schwingt. Vor einer total hippen Location (in diesem Fall der MTV-Store in New York) versammeln sich schon Stunden vor dem offiziellen Beginn der Autogrammstunde Horden von Teenagern. Vorzugsweise Mädchen. Durchschnittsalter 15. Vielleicht auch 13 oder 14. Wer weiß das in Zeiten, in denen sich bereits Kleinkinder Make-up ins Gesicht knallen und High Heels umschnallen, schon so genau. Sie kreischen und hyperventilieren, obwohl Miley sie definitiv nicht hören kann, weil sie wahrscheinlich gerade noch Kilometer entfernt irgendwo eine Pizza (ihr Lieblingsessen) mampft.
Da Sie ja nur zufällig vorbei gekommen sind, fragen Sie eines der Mädchen mit den purpurroten Gesichtern, was denn hier eigentlich abgeht. Ein Fehler! Umgehend ernten Sie einen dieser typischen genervt-vorwurfsvollen Gesichtsausdrücke pubertierender Sprösslinge. Auch wenn sie es nicht sagt, ihre Mimik spricht Bände: "Mann, Alter, bist Du deppert, dass Du das nicht weißt?" Immerhin, nachdem sie Sie kurz mit ihren Blicken in Grund und Boden gestampft hat, japst sie es heraus: "… eillliiee!" Wie bitte? Sie müssen noch mal nachfragen. "… eillllliiiiiieeeeee …", schallt es Ihnen energischer, aber nicht unbedingt verständlicher entgegen. Sorry, aber ich habe es immer noch nicht … "Mmmm-iiiillleeeyyy Cyrussss", schreit Sie das Mädchen nun schon beinahe an, während ihre Halsschlagader trommelt. Danke, jetzt habe ich es verstanden.
Die Miley Cyrus der Mittfünfziger
Ja, so in etwa stellt man sich eine Autogrammstunde vor. Oder man denkt an das genaue Gegenteil. An Elektromärkte, Autohäuser und Parkplätze. An abgehalfterte Schlagerstars, Volksmusikanten oder den Fünftplatzierten bei DSDS vor drei Jahren. Diese Autogrammstunden gibt es in jedem Fall auch, und wir sind froh, dass wir da noch nie hinein geraten sind. Sich von einer 15-Jährigen anplärren zu lassen, ist allemal besser, als mit einem Wildecker-Herzbuben-Verschnitt aneinander zu geraten.
Was wir uns allerdings bisher in unseren kühnsten Träumen nicht hätten vorstellen können, ist, dass es eine Symbiose dieser beiden Spielarten von Autogrammstunden geben könnte. Aber, ob Sie es glauben oder nicht: Ja, es gibt sie. Diese Lektion hat uns kein Geringerer erteilt als der "Prince Of Darkness" himself. Der Godfather des Heavy Metal. Ozzy Osbourne! Quasi die Miley Cyrus der Mittfünfziger und -sechziger.
Schon als wir die Ankündigung sehen, sind wir leicht irritiert: "Donnerstag, 8. Juli 2010, ab 17 Uhr – AUTOGRAMMSTUNDE – OZZY OSBOURNE – Open Air Bühne Media Markt am Alex in Berlin (ALEXA)", ist da auf einem Plakat zu lesen. Sapperlot! Der "Prince Of Darkness" kommt bei ausgerechnet 30 Grad im Schatten zur ausgerechnet so ziemlich größten Berliner Bausünde der Neuzeit mit ausgerechnet rosa gestrichener Fassade ausgerechnet auf eine Freilichtbühne ausgerechnet eines Elektromarkts in ausgerechnet einem Einkaufscenter. Und das ausgerechnet bei uns um die Ecke. Schnell ist klar: Da müssen wir hin!
Wo geht's denn hier zum Moshpit?
Eigentlich wollen wir pünktlich los. Wer weiß, wie viele Metal-Freaks, Shopping-Opfer und verdatterte Hauptstädter sich noch von Ozzys Anwesenheit überzeugen wollen. Nicht dass es heißt: Wir müssen leider draußen bleiben. Aber, war ja klar, wir verzetteln uns mit einer Bilderserie zu Dr. Motte, quasi dem Ozzy Osbourne der Techno-Heads. Doch immerhin: Zehn vor Fünf treffen wir am Ort des Geschehens ein. Und siehe da: Alles entspannt.
Der Platz vor der Bühne ist gut gefüllt, aber nicht überfüllt. Sind das 500, 600 oder vielleicht sogar 700, die da in der prallen Sonne auf den "Prince Of Darkness" warten? Von jemandem, der 13- und 15-Jährige nicht unterscheiden kann, kann man keinen vernünftigen Schätzwert erwarten. Also, es ist voll, aber kein Massenandrang. Die Medien jedenfalls sind gut vertreten: RTL, ZDF, dpa – alle da.
Zahlreiche freundliche, in schwarz gekleidete Herren mit breiten Schultern und Sturmfrisuren sorgen wahrscheinlich dafür, dass keiner einer Fledermaus den Kopf abbeißt. Schließlich geht es hier alles andere als in einem Moshpit zu.
Bäuche statt Backen
Schon bald stellen wir fest: Miley- und Ozzy-Fans scheint doch etwas zu unterscheiden. Hier kreischt keiner. Stattdessen setzen vereinzelt brav geordnete Sprechchöre ein, die klar und deutlich "Oz-zy" artikulieren. Keiner ruft hier "… zzzzzyyyyy …". Statt geschwollener Backen sieht man eher geschwollene Bäuche, die auf einer der Bierbänke im hinteren Bereich des Bühnenvorplatzes mit reichlich Gerstensaft weiter angefüttert werden. Andere wiederum harren in einem Liegestuhl aus. Ja, in einem Liegestuhl. Wenn der Finsterfürst kommt. Gemütsruhe statt Hysterie. Man könnte auch sagen: Doom Metal. Und Miley wäre dann Speed Metal. Aber vermutlich beißt uns für diesen Vergleich demnächst ein Ozzy-Anhänger den Kopf ab. Oder eine 15-Jährige kratzt uns schreiend die Augen aus. Also lassen wir das.
Noch etwas hier ist anders als bei Miley: Das Publikum ist durch und durch gemischt. Jungs mit strahlenden Kutten und wallendem Haar stehen neben Herren mit speckigen Kutten und ergrauten Mähnen. Dazwischen ganz viele "Normalos", von denen man nicht weiß, ob sie zufällig oder absichtlich hier sind. Ja, sogar Eltern mit ihren Kindern, bei denen wiederum unklar ist, wer hier eigentlich wen hergeschleppt hat.
Bitte mal voll abgehen
Ozzy verspätet sich. Er wird doch nicht mit dem Auto hierher fahren? Schließlich hat er gerade erst nach 19 Anläufen seine Führerscheinprüfung bestanden. Ach was! Er hat ja selbst zugegeben, dass keiner mit ihm fahren will, nur weil er beim Abbiegen schon mal einschläft.
Die Verspätung ist zudem eine prima Gelegenheit für ein Überbrückungsprogramm. Auf einer Videowand hinter der Bühne laufen unablässig Filmschnipsel von Ozzy, Interviewausschnitte und sein neuester Musik-Clip. Natürlich, wir sind hier auf keiner Charity-Veranstaltung. "Scream" heißt Osbournes neue Scheibe – und die will beworben werden.
Passend zum Albumtitel versucht eine Moderatorin, die Menge zum Schreien zu animieren. Doch auch ihr ist dabei nur mäßiger Erfolg beschieden. Also greift sie zu rigideren Mitteln, um die Stimmung anzuheizen. Sie winkt mit Postern und findet im Publikum zwei ältere Herren, die sich auf der Bühne darum battlen wollen. Einer von ihnen hat auf dem rechten Oberarm Ozzys Visage tätowiert. Wer also, wenn nicht er?
Hätten die beiden gewusst, was sie erwartet, sie hätten womöglich auf das Poster verzichtet. Die Moderatorin fordert von ihnen erst Liegestützen, dann Headbangen trotz Kurzhaarschnitt und schließlich "voll abzugehen". Bei dem Versuch bekommt ausgerechnet der tätowierte Ozzy-Fan Rücken. Mit schmerzverzerrtem Gesicht müht er sich trotzdem weiterhin, alles aus seinen gealterten Rockerknochen raus zu holen. Die Moderatorin aber ist unerbittlich: "Das nennt Ihr abgehen?", zeigt sie sich mit den beiden rund 50-Jährigen knallhart und holt als weitere Konkurrenz ein junges Mädel auf die Bühne. Die macht es aber auch nicht viel besser, eher wie Nena, meint die Moderatorin, um sich schließlich gnädig zu erweisen: Alle drei bekommen ein Poster und noch eine Kappe des Elektromarkts dazu. Na, das hat sich doch mal gelohnt.
Gut gelaunter Ozzy
Von uns aus hätte dieses spitzenmäßige Unterhaltungsprogramm gerne noch eine Weile so weiter gehen können, doch plötzlich ist er da, der "Prince Of Darkness". Selbst gefahren ist er wohl nicht, jedenfalls sieht er ganz und gar nicht müde aus. Im Gegenteil: Der absolut gut gelaunt wirkende Ozzy lässt sich mit einigen Fans ablichten und posiert bereitwillig für die Fotografen. Ehe er sich niederlässt, um Autogramme im Akkord abzuzeichnen, beantwortet er sogar noch ein paar Fragen. Was das Beste an seinem neuen Album sei, will die Moderatorin wissen. Unweigerlich schießt uns durch den Kopf, was wohl die 15-Jährige auf die Frage nach dem Besten am neuen Miley-Cyrus-Album geantwortet hätte. Wir vermuten mal: "Das ist so … eeeeiiiilllll …, so … uuuupeeeer …, so … aaaaahhhhh …". Ozzys Antwort zu seinem eigenen Werk indes fällt deutlich lapidarer aus: "It's finished."