Bücher

Antisemitisches Lügengespinst?Die Israel-Lobby

16.09.2007, 10:40 Uhr

Eine Publikation, die den Einfluss der Israel-Lobby auf die Außenpolitik der Vereinigten Staaten thematisiert – und sei sie auch noch so differenziert – scheint mit einer nahezu mechanischen Zwangsläufigkeit in den Sumpf ideologischer und interessenbasierter Grabenkämpfe gezogen zu werden.

Die Reaktionen waren weit gehend vorhersehbar: Eine Publikation, die den Einfluss der Israel-Lobby auf die Außenpolitik der Vereinigten Staaten thematisiert – und sei sie auch noch so differenziert – scheint mit einer nahezu mechanischen Zwangsläufigkeit in den Sumpf ideologischer und interessenbasierter Grabenkämpfe gezogen zu werden. Im besten Fall sehen sich die Autoren dem Vorwurf der akademischen Unredlichkeit, im schlimmsten Fall dem des Antisemitismus ausgesetzt. Dass es sich bei John J. Mearsheimer und Stephen M. Walt um seriöse und respektierte Wissenschaftler handelt, tut da offenbar nichts zur Sache. Dabei läge eine sachliche und vorurteilsfreie Debatte im Interesse aller Beteiligten, nicht zuletzt in dem der leidgeprüften Bürger des Staates Israel.

Nibelungentreue oder strategische Partnerschaft?

Aber zum Inhalt: Ausgangspunkt ihrer Kritik ist für die Autoren die Feststellung, dass die USA in einer Art Nibelungentreue an Israel festhalten und deshalb eine Nahost-Politik verfolgen, die sie immer mehr von der arabischen Welt entfremdet, was letztlich den nationalen Interessen des Landes schade. Für diese Tendenz machen sie in erster Linie eine Israel-Lobby in Form eines losen Verbundes verschiedener pressure groups wie etwa der American-Israelic Public Affairs Community (AIPAC) verantwortlich. Dieser sei es gelungen, einen privilegierten Zugang zu politischen Entscheidungsträgern, insbesondere zu denen im Kongress zu finden, um ihre strikt pro-israelischen Anliegen vorzutragen.

Darüber hinaus versuche sie, über die akademische Szene und über die Leitmedien des Landes auch die opinion publique in ihrem Sinne wenn nicht zu manipulieren, zumindest aber stark zu beeinflussen. So sei auch die desaströse Entscheidung, in den Irak einzumarschieren zu einem nicht unerheblichen Teil dem beharrlichen Wirken eben dieser Lobby geschuldet, die sich nun anschicke, militärischen Schlägen gegen den Iran den Weg zu bereiten. Diese erfolgreiche Lobbytätigkeit, welche die Autoren übrigens nicht im Geringsten für illegitim halten, erfolge dabei primär durch eine verzerrte Darstellung der nahöstlichen Realitäten.

Weder sei Israel aufgrund seines (mutmaßlichen) Nuklearwaffenarsenals der von arabischen Goliaths umgebene David in seiner Region, noch verdiene das Land infolge seiner im Kern "imperialistischen" Politik in den Palästinensergebieten – so die Autoren – die völlig uneingeschränkte Unterstützung der demokratischen Staaten. Auch von einer quasi naturwüchsigen Interessengemeinschaft im so genannten "Kampf gegen den internationalen Terrorismus" könne nicht die Rede sein, da die terroristische Bedrohung für die Vereinigten Staaten zuvorderst aus der unhinterfragten Allianz mit Israel erwachse.

Nationales Interesse als theoretischer Ausgangspunkt

Gewiss, dies sind allesamt schwere Vorwürfe, die einer peniblen Beweisführung bedürfen. Angesichts der schrillen öffentlichen Reaktionen bleibt aber auch festzuhalten, dass kaum Raum für eine nüchterne Diskussion des wissenschaftlichen Hintergrundes der beiden Autoren besteht. Bei Mearsheimer und Walt handelt es sich um Vertreter des so genannten Realismus innerhalb der Lehre von den Internationalen Beziehungen. Im Mittelpunkt dieses Theorieansatzes steht ein objektivierbares nationales Interesse, dass es im Verkehr mit anderen Staaten durchzusetzen gelte. Der Versuch, anders gelagerte Ziele zu erreichen, führt – diesem Ansatz zufolge – zu einer Schwächung der Stellung des jeweiligen Staates im internationalen System. Diesen Theorieansatz mag man mit guten Gründen kritisch hinterfragen.

Legendär ist etwa die kapitale Fehleinschätzung von Mearsheimer, dass mit der Wiedervereinigung Deutschland zur alten expansiven Machtpolitik zurückkehren und damit das Ende von NATO und EU heraufbeschwören würde. Nichtsdestotrotz bleibt der Realismus ein legitimer und partiell auch fruchtbarer Ansatz zur Analyse weltpolitischer Zusammenhänge. Nur vor diesem Hintergrund lassen sich die Ausführungen von Mearsheimer und Walt angemessen interpretieren. Aus ihrer Sicht bewirkt jeder übermäßige Einfluss von Interessengruppen auf die außenpolitische Entscheidungsfindung eine Verfälschung des nationalen Interesses – mit verheerenden Folgen. Die Israel-Lobby ragt dabei nur deshalb soweit hervor, weil es sich beim Nahen Osten um einen absoluten Hot Spot der Weltpolitik handelt.

Die Ablehnung allein der Vorstellung, dass es so etwas wie eine Israel-Lobby überhaupt geben könnte, wirkt umso befremdlicher, wenn man weiß, dass das amerikanische politische System seit jeher strukturell auf den privilegierten Zugang partikularer Interessen angelegt ist und jede auch noch so randständige Interessengemeinschaft einen schlagkräftigen Trupp gen Washington schickt. Auch der Vorwurf des Antisemitismus lässt sich leicht entkräften, denn dieser ist nur dann gerechtfertigt, wenn versucht wird, bestimmte menschliche Verhaltensweisen auf die Präferenz für eine bestimmte Religion, hier der jüdischen zurückzuführen. Dies ist eindeutig nicht der Fall!

Zuweilen einseitige Parteinahme

Auch wenn man die Analyse in ihrer Schärfe nicht teilen mag, so wird der vorurteilsfreie Beobachter kaum umhin kommen, eine zuweilen reichlich einseitige Parteinahme zugunsten Tel Avivs auszumachen. Der Libanon-Krieg im vorigen Jahr, der in Israel selbst mittlerweile als massiver Fehlschlag gewertet wird, ist dafür ein gutes Beispiel. Das bedeutet nicht, dass Washington allzeit Carte blanche geben würde: Wenn substanzielle nationale oder partikulare Interessen auf dem Spiel stehen, wird punktuell auch gegen israelische Interessen entschieden, was jedoch nur wenig an der langfristigen, strategischen Unterstützung ändert. Dies festzustellen heißt auch nicht, sich ungeschränkt die arabische Position zu Eigen zu machen, sondern verantwortungsbewusst nach Lösungsperspektiven zu suchen.

Hier müssen sich die beiden Autoren allerdings fragen lassen, ob sie das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Dass es sich z. B. bei der AIPAC um eine enorm einflussreiche Lobbyorganisation handelt, ist in den USA selbst relativ unbestritten. Nach Ansicht des antisemitischen Umtrieben gänzlich unverdächtigen "Economist" ist sie sogar einflussreicher als die National Rifle Association, und die gilt als das Paradebeispiel effektiver Interessendurchsetzung schlechthin. Übersehen bzw. nicht hinreichend gewürdigt haben die Autoren dabei Dreierlei. Einmal erhält die Israel-Lobby maßgebliche Unterstützung von der christlichen Rechten, für die die Unterstützung Israels eine "biblische Verpflichtung" darstellt.

Die Crux des Realismus

Dann sieht sich die Mehrzahl der amerikanischen Bevölkerung in der Tat in einem Kampf gegen den radikalen Islamismus mit Israel vereint, was jedoch weniger an etwaigen Einflüsterungen der Israel-Lobby, sondern eher an den Geschehnissen des 11. September 2001 sowie einer tiefen wurzelnden kulturellen Affinität mit Israel liegen dürfte. Schließlich lassen sich epochale Entscheidungen wie die zur Invasion des Iraks nicht allein, wahrscheinlich nicht einmal zu einem großen Teil mit dem Agieren einer einzelnen Lobby begründen und sei sie auch noch so erfolgreich. Hier dürfte vielmehr eine Koalition diverser Interessenspektren ursächlich sein. Der Vorwurf wäre wohl eher in Richtung Wolfowitz, Perle, Armitage und Konsorten zu richten. Dass diese Aspekte von den Autoren übersehen wurden, muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass ihre Analyse insgesamt unzutreffend wäre – ein Einbezug hätte ihr aber in jedem Fall zu einer größeren Glaubwürdigkeit verholfen. Hier zeigt sich eben die Crux mit dem Realismus: Im Bestreben, möglichst eindeutige Erklärungen zu liefern, nimmt er mitunter eine unzulässige Komplexitätsreduktion vor.

Trotz einiger Fragwürdigkeiten wie der pauschalen Aberkennung eines demokratischen Regierungssystems in Israel kommt den Autoren dennoch der Verdienst zu, dieses Thema aufs Tableau gebracht zu haben. Daneben stehen aber ein fehlendes Fingerspitzengefühl sowie die etwas fragwürdigen Begleitumstände der Veröffentlichung in bewährter Huntington/Fukuyama-Manier, die auf ein ausgeprägtes finanzielles Kalkül schließen lassen. Vielleicht trägt das Buch dennoch ein wenig zu Hinterfragung des zählebigen Dogmas bei, dass nur derjenige ein Freund Israels sei, der mit den dortigen säkularen und religiösen Hardlinern daccord geht!

Daniel Müller

John J. Mearsheimer / Stephen M. Walt, Die Israel-Lobby. Wie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird, Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2007, 504 S., 24,90 Euro