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Annäherung an Albert Speer Ich bin die Tochter

60 Jahre nach Kriegsende werden die Zeitzeugen weniger, die Erinnerungen verwaschener. Die letzten Monate des blutigen Krieges markieren für viele einen Neuanfang, lieber heute als morgen wollen sie die falschen Überzeugungen vergessen. Zur gleichen Zeit wächst eine unbelastete Generation heran, die die Väter schmerzhaft an ihre Schuld erinnern wird.

Doch so manche frühere Nazigröße hat Frau und Kinder, und die müssen mit Namen leben, die im neuen Deutschland keinen guten Klang mehr haben. Margret Nissen, geb. Speer, hat genau das erlebt. Eine Frage gibt ihrem Buch den Titel: "Sind Sie die Tochter Speer?" - und lässt ahnen, wie schwer ihr oft die Antwort gefallen sein mag.

Ein Leben voller Verdängung

Nissen ist inzwischen 66 Jahre alt, hat die Goldene Hochzeit schon hinter sich, vier Kinder, acht Enkelkinder. Ein Kind von Albert Speer, Hitlers Baumeister und Rüstungsminister ist sie dennoch geblieben. All die Jahre hat sie geschwiegen, auch dem Dokumentarfilmer Heinrich Breloer verweigert sie die Mitarbeit. Die Speers sind nicht die Manns, meint sie. Doch um die eigene Auseinandersetzung mit ihrer Herkunft kommt sie nicht herum.

Sie will sich nicht mehr schuldig fühlen an Dingen, für die sie keine Verantwortung trägt. So macht sich Nissen auf die Reise zu ihren Wurzeln, zum Obersalzberg. Nissen geht durch alle Lebensphasen, sie schaut Fotos an, liest Briefe und erstmals die Bücher des Vaters. Sie durchforstet ihre Erinnerungen.

Macht und Hündchen

Der Kriegsverbrecher als Vater, als Familienmensch. Nissen muss mit dieser Tatsache umgehen und bekommt diese beiden Personen doch nicht zusammen. Die kleine Margret kennt den Machtmenschen und NS-Täter nur als liebevollen Vater, der die sechs Kinder in seinem Bett spielen lässt, der ihnen einen Langhaardackel schenkt und mit ihnen im offenen Sportwagen durch die Gegend braust. Margret ist sieben Jahre alt, als Albert Speer als Hauptkriegsverbrecher zu 20 Jahren Haft verurteilt wird. Der bewunderte Vater wird plötzlich zum verurteilten Verbrecher.

Am Alltag ändert das nicht viel, der Vater ist abwesend, doch Briefe ins Gefängnis und später Besuche dort, sind nichts Normales in einem Kinderleben. Zu Hause wird über alles Mögliche gesprochen, nur nicht über die Verbrechen des Vaters, die Mutter achtet auf das Schweigen, die Kinder setzen es später fort.

Zwei Seiten einer Medaille

Doch die erwachsene Margret sieht diese Verbrechen, sie sieht den kühl kalkulierenden Machtmenschen, der während der Nürnberger Prozesse um die Todesstrafe herum feilscht, sein Wissen herunterspielt, vielleicht auch lügt. Ohne all das wird man nicht einer der mächtigsten Männer des "Dritten Reiches".

Doch so genau will sie das noch immer alles nicht wissen. Die Zwangsarbeiter, die Nähe zu Hitler, das alles passt mit dem Papa so schlecht zusammen. Nissen lässt uns teilhaben an einer Innensicht der Familie Speer. Sie gewährt uns Einblicke in Briefe, die Speer seiner Frau 1945 schrieb und die deutlich machen, dass das neue Speer-Bild, welches er später in seinen Erinnerungen beschreibt, schon früh Gestalt annahm. Sie beschreibt auch wie nebenbei, wie eine Seilschaft von ehemaligen Mitarbeitern Speers und Industriellen, zu denen Frau Speer rege Kontakte pflegte, ihre Familie finanziell unterstützte.

Tapfer, aber begrenzt

Nissen nähert sich sicher aufrichtig und geht dabei über alles hinaus, was sie in ihrem bisherigen Leben zugelassen hat. So macht sie ihren Frieden mit ihrer Herkunft und verliert auch ein bisschen die Furcht vor der berüchtigten Frage. Doch sie bleibt einer zweigeteilten Sicht auf ihren Vater verhaftet. So alt wie sie geworden ist, sie kann die "vielen Facetten seiner Persönlichkeit" nicht mehr in ein geschlossenes Ganzes bringen und gesteht dies ein. "Ich werde letzten Endes aber weiter zwischen einem historischen und privaten Vater trennen müssen, denn nur so kann ich wohl mit meiner Erinnerung an ihn leben."

Solveig Bach

Margret Nissen unter Mitarbeit von Margit Knapp und Sabine Seifert: "Sind Sie die Tochter Speer?", DVA, 2005, 250 Seiten, 19,90 Euro

Quelle: ntv.de

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