Der Medicus Ben Kingsley im Interview
26.12.2013, 17:37 Uhr
Bekannte Gesichter in einer der bekanntesten Buchverfilmungen: Ben Kingsley als Ibn Sina...
(Foto: imago stock&people)
Können Sie sich vorstellen, dass man nicht wusste, wie es im menschlichen Körper aussieht? Dass es eine gemeine Krankheit gab, die Seitenkrankheit, die Menschen der Reihe nach ums Leben brachte? Eine Krankheit, die heute ebenso heilbar ist wie die meisten Zahnschmerzen. Es ging um den Blinddarm. Natürlich kann ein Blinddarmdurchbruch auch heute noch katastrophale Folgen haben, wenn er nicht bemerkt wird. Aber damals, im finsteren Mittelalter, bedeutet das den sicheren Tod. Eine tolle Geschichte: "Der Medicus", der Weltbestseller von Noah Gordon, kommt endlich in die Kinos. Endlich - denn endlich hat sich einer getraut, das Monumentalwerk in Bilder zu packen. Und das ist Regisseur Philipp Stölzl wirklich gut gelungen. Ein bombastischer Film mit tollen Darstellern.
Große Namen sind dabei, Stellan Skarsgard, Olivier Martinez, Emma Rigby und Tom Payne, der den Waisenjungen Rob Cole spielt, der aus dem mittelalterlichen England ins persische Isfahan reist, um dort unter dem "Arzt aller Ärzte" Medizin zu studieren. Damit will er seinem Verlangen, den Menschen zu helfen, gerecht werden. Aber auch die beliebtesten Schauspieler, die wir in Deutschland gerade zu bieten haben, sind mit am Start: Elyas M'Barek und Fahri Yardim. Der "Fuck ju, Göhte"-Star und der "Tatort"-Assistent von Til Schweiger machen wahrlich gute Figuren in dem Historien-Epos. n-tv.de traf jedoch den Mann, der den Gelehrten Ibn Sina spielt, zum Gespräch im Hotel Waldorf Astoria: Sir Ben Kingsley.
... Olivier Martinez als gefühlloser, aber doch einsamer und ein wenig verrückter Schah Ala ad-Daula ...
(Foto: imago stock&people)
Ben Kingsley: Genau dieses Aufnahmegerät benutze ich auch. Da lese ich mir meine neuen Rollen vor und dann höre ich sie ab, bevor ich ins Bett gehe.
n-tv.de: Und das funktioniert?
Sieht so aus. Oder hatte ich Texthänger? (lacht)
Nein!
Sehen Sie. Das geht kurz vor dem Einschlafen ganz tief ins Unterbewusstsein. So mache ich das schon seit Jahren.
Glauben Sie, dass das eine gute Methode ist, die man Schülern weiterempfehlen sollte?
Ganz sicher. Früher hatten wir ein Blatt Papier mit dem Text, das wir unters Kopfkissen gelegt haben, aber ich glaube eher daran, dass das mit dem Aufnahmegerät funktioniert. Und ich glaube daran, dass man Schülern etwas beibringen kann, wenn man ihnen Appetit auf den Stoff macht. Ich glaube, das ist ein ganz großes Problem an den Schulen, dass den Kindern die Inhalte nicht attraktiv genug vermittelt werden. Denn nur wenn sie sich für etwas interessieren, werden sie es auch lernen wollen. Das war schon immer so, aber ich glaube, heute müssen die Kinder noch mehr lernen als früher. Ich kann mich jedenfalls sehr gut daran erinnern, dass wenn der Lehrer zu uns sagte: "Kinder, heute werdet ihr etwas Neues lernen", dass ich das dann wirklich aufregend fand als kleiner Junge.
Was war daran so aufregend?
Wenn der Lehrer damals etwas sagte, dann herrschte Ruhe in der Klasse. Das ist heute nicht mehr so einfach, denke ich, weil die Klassen so groß sind. Aber mir war einfach bewusst, dass Wissen Macht bedeutet. Ich habe schon immer gewusst, dass es am coolsten ist, richtig was im Kopf zu haben, und nicht, die richtigen Klamotten zu tragen. (lächelt)
Würden Sie den Film denn Kindern empfehlen?
Auf jeden Fall. Aber es muss mit seinen Eltern ins Kino, sie müssen darüber reden können. Auf keinen Fall darf ein Kind den Film alleine auf seinem iPhone oder Laptop sehen, wie es leider heutzutage üblich ist. Man muss unbedingt darüber sprechen können und gemeinsam verarbeiten, was man da gerade gesehen hat.
Sie empfehlen also das große Kinoerlebnis ...
Ja, auf jeden Fall. Das ist noch immer etwas Besonderes. Sonst ist jeder für sich alleine, muss mit dem Gesehenen fertig werden. Wir müssen die Kinder wieder an die Hand nehmen. Wir müssen ihnen zeigen, dass es spannend und aufregend sein kann, zu lernen.
Ich fand ein paar Szenen natürlich erst einmal ekelig, wenn Leichen aufgeschnitten werden, die Geräusche, das Blut ....
Oh ja, aber man muss den Körper eben als Ganzes betrachten. Das sind wir nun einmal, so sehen wir von innen aus. Und zwar jeder! Wenn man das Äußere schön finden kann, warum nicht das Innere ebenfalls? Es braucht nur eine andere Perspektive, um den menschlichen Körper auch aus medizinischer Sicht attraktiv zu finden, glauben Sie nicht? (lächelt)
Da ist etwas Wahres dran, ich werde das beim nächsten Mal bedenken. Wie haben Sie sich denn auf die Rolle des Ibn Sina vorbereitet?
Ich habe durch eine Fernseh-Dokumentation geführt, die das "goldene Zeitalter des Islams" thematisierte und da habe ich eine Menge gelernt. Mir wurde klar, dass es nicht nur eine Person wie Ibn Sina gegeben hatte, sondern Tausende brillanter Köpfe. Und das ist Jahrhunderte her. Es ist beeindruckend, was die Menschen damals schon wussten, und wie neugierig sie waren. Auf das Leben, auf die Sterne, die Mathematik, Architektur, Physik, Chemie, Schifffahrt und Navigation, einfach alles! Und eben auch die Medizin und die - im wahrsten Sinne des Wortes - "Menschenheilkunde". Man wollte auch schon im Mittelalter nicht einfach hinnehmen, dass Menschen zu früh sterben, verstehen Sie. Aber es gab eben immer wieder Kräfte und Strömungen, die sich diesen Forschenden in den Weg stellten.
Was war die größte Herausforderung an der Rolle für Sie?
Schwierige Frage, ich weiß nicht. Aber um ehrlich zu sein: Ich betrachte meinen Beruf nicht als Herausforderung. Nicht in der üblichen Weise, ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Ich liebe meinen Beruf, es ist mir eine Freude. Herausforderung hört sich so schwer an, aber das ist es nicht, es ist das pure Glück, was ich tun darf. Ich wache nur ganz selten auf und denke mir: "Ui, das wird aber schwierig werden heute." Bei ganz wenigen Filmen war das so.
Bei welchen?
"Schindlers Liste" war der schwierigste Film, den ich je gedreht habe. Da musste ich sämtliche Gefühle außen vor lassen, das ist das schwerste, was man von einem Schauspieler verlangen kann. Aber bei Ibn Sina jetzt konnte ich mich mit der Rolle in eine Art "Luftblase" begeben: Er weiß, was er weiß, Menschen können ihn schwer einordnen, er ist eine Klasse für sich, und das, was er weiß, möchte er den Studenten weitergeben. Eigentlich ganz einfach. Ganz direkt. Und ehrlich. Er lebt ganz in der und für die Wissenschaft. Er bekommt gar nicht mit, was um ihn herum geschieht, verstehen Sie, menschlich, politisch, er lebt in seinen Büchern. Das gibt es ja immer wieder: Die Welt liegt in Trümmern, und da sind Menschen, die da sitzen mit der Nase in einem Buch. Eine gewisse Form von Ignoranz und Arroganz ist das natürlich schon.
Das Buch war ein Mega-Erfolg. Macht es die Sache schwieriger, wenn man weiß, da gehen jetzt Menschen mit ganz hohen Erwartungen ins Kino?
Darüber habe ich nie nachgedacht. Und ich glaube, was mich davor bewahrt, irgendeine Form von "Angst" davor zu haben, wie etwas ankommen könnte, ist meine Bühnenerfahrung. Ich habe beispielsweise schon so oft in Shakespeare-Stücken gespielt, und jeder denkt doch, er könnte da mitreden. Im Publikum sitzen Leute, die haben den "Hamlet" schon fünf Mal gesehen, mit fünf Darstellern, alle kennen das Ende - er wird sterben - und trotzdem muss man es schaffen, das Publikum zu überraschen (lacht) ... Und es gibt immer noch welche, die dann sagen: "Oh nein, bitte nicht, bitte nicht er!" (lacht) Also, man muss sich davon freimachen, dass es Menschen gibt, die irgendwelche Erwartungen haben.
Mit Ben Kingsley sprach Sabine Oelmann
"Der Medicus" läuft ab dem 26.12.2013 in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de