Don't, don't you want them?Elektro-Ikonen: The Human League
Mit Songs wie "Being Boiled" und "Don't You Want Me" zählten The Human League einst zur Speerspitze des Synthie-Sounds. Nun melden sie sich zurück. n-tv.de sprach mit Sänger Phil Oakey über das Comeback, das Schöne am Gassi gehen und die dunklen Seiten der Vergangenheit.
Den Song "Don't You Want Me" kennt wirklich jeder. Doch auch "Being Boiled" oder "The Things That Dreams Are Made Of" dürften viele locker mitsingen können. Die Gruppe, die für diese Hits in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren verantwortlich zeichnete, ist The Human League. 1977 im nordenglischen Sheffield gegründet, gibt es die mittlerweile im Kern aus Sänger Phil Oakey und den beiden Sängerinnen Susan Ann Sulley und Joanne Catherall bestehende Band seit über drei Jahrzehnten. Mit "Credo" legt sie ihr erstes Studioalbum seit zehn Jahren vor. n-tv.de sprach mit Phil Oakey über das Comeback, das Schöne am Gassi gehen und die dunklen Seiten der Vergangenheit.
n-tv.de: Vor 30 Jahren hast Du gesungen: "Everybody needs love and adventure, everybody needs cash to spend, everybody needs love and affection, everybody needs 2 or 3 friends. These are the things that dreams are made of." Sehen Deine Träume heute immer noch genauso aus?
Phil Oakey: Vielleicht, zumindest zum Teil. Ich habe jedenfalls immer noch das Ziel, musikalisch erfolgreich zu sein. Wir hatten zum Beispiel noch immer kein Nummer-1-Album in Amerika. Im Wesentlichen geht es mir wahrscheinlich heute um die gleichen Sachen wie damals. Eventuell habe ich jetzt nur eine etwas realistischere Sichtweise darauf.
Wie gesagt, der Song ist 30 Jahre alt. Du bist jetzt 55. Ein anderes Lied von The Human League heißt "Keep Feeling Fascination" - was fasziniert Dich noch immer am Popgeschäft?
Nun ja, ich habe Popmusik einfach immer gemocht. Es ist lustig, man weiß ja auch nicht, woher das kommt. Bei mir liegt es vielleicht unter anderem daran, dass ich drei ältere Brüder habe und in einem Haus aufgewachsen bin, in dem Popmusik eine große Rolle gespielt hat. Meine Brüder haben schon das erste Album von Bob Dylan nach Hause mitgebracht. Und ich bin ja in Nordengland aufgewachsen - hier tauchten auch die Beatles zum ersten Mal auf. Ich habe diese Begeisterung einfach nie verloren. Vielleicht bin ich da auch einfach gestrickt.
Euer neues Album "Credo" ist Euer erstes Studioalbum seit zehn Jahren. Allerdings habt Ihr die ganzen Jahre davor auch Musik gemacht und seid live aufgetreten. Ist es überhaupt richtig, nun bei "Credo" von einem Comeback zu sprechen?
Ich weiß nicht, ob die anderen in der Band das auch so sehen, aber für mich ist das schon so. Es ist definitiv ein Neustart. Und es ist ein Experiment, um zu sehen, was in der Musikindustrie los ist, die wir so gut zu kennen glaubten, die aber seit etwa 1998 auf den Kopf gestellt wurde. Für mich ist es mein nächster erster Schritt in Richtung Weltbeherrschung und dahin, in Chart-Shows auf der ganzen Welt gefeiert zu werden.
Die Musik, mit der Ihr auf "Credo" zur Weltherrschaft ansetzt, ist eine Mischung aus den typischen Synthie-Klängen von The Human League und eher modernen Club-Sounds ...
Ja, ich denke es ist ein ziemlich schizophrenes Album. Als wir mit dem Schreiben der Lieder angefangen haben, wussten wir nicht, ob wir sie für The Human League schreiben würden.
Sondern?
Es war so, dass ich es leid war, bei den Platten anderer Leute als Gastsänger mitzuwirken. Ich wurde oft gefragt und habe zugesagt, meistens wenn ich betrunken war. Aber eigentlich dachte ich mir: Warum wollt Ihr mich als Sänger? Denn eigentlich war ich immer ein Songwriter. Egal ob "Tell Me When", "Being Boiled", "Don't You Want Me", "Mirror Man" oder "Electric Dreams" - all diese Lieder habe ich ja zumindest mitgeschrieben. Als ich also nun gemeinsam mit unserem Schlagzeuger (Rob Barton, Anm. d. Red.) angefangen habe, Songs zu schreiben, haben wir in zwei Richtungen gearbeitet. Ich denke, ich war etwas mehr "clubby" drauf, weil ich die Club-Musik sehr genossen habe, etwa die Trance-Version, die wir in England und auf Ibiza hatten. Und Rob brachte eher die klassischen Song-Strukturen mit ein. Ehrlich gesagt, bin ich selbst überrascht, beides nun auf ein und demselben Album zu sehen.
Du sagst, Du warst etwas mehr "clubby" drauf. Gehst Du mit 55 noch in Clubs?
Nein, nicht wirklich. Ein Album zu machen, ist wirklich harte Arbeit. Wir haben vor ungefähr zweieinhalb Jahren angefangen und mussten einige neue Programme und Arbeitsabläufe lernen. Gleichzeitig hat sich meine Freundin einen Hund angeschafft. Jetzt muss ich immer früh raus und mit dem Hund gehen. Ich kann mir also keinen Hangover erlauben. Ich war seit ein paar Jahren nicht mehr groß aus. Aber ich vermisse es wirklich.
Das klingt nicht gerade nach einem exzessiven Popstar-Leben mit Drogen, Alkohol und zum Tag gemachten Nächten. Wie war das eigentlich früher bei Euch?
Wir waren nie so exzessiv. Schau, wir sind nie nach London gezogen. Wir haben nie Drogen genommen - ich habe noch nie Kokain oder irgendetwas in der Art probiert. Auch getrunken haben wir nicht viel. Das mache ich heute vielleicht sogar ein bisschen mehr als damals. Trotzdem lebe ich gesünder als jemals zuvor. Ich bin seit elf oder zwölf Jahren in einer festen Beziehung. Ich stehe jeden Tag früh auf, gehe mit dem Hund raus und lege mit ihm drei bis fünf Kilometer zurück. Ohne das würde ich wahrscheinlich die ganze Zeit nur vorm Fernseher sitzen und Kaffee trinken.
Zurück zu "Credo": Das Album wurde von dem Elektro-Duo I, Monster produziert. Wie war die Zusammenarbeit?
Es war sehr zielgerichtet. Wir haben alle hart gearbeitet, aber es war nicht schwierig mit ihnen. Ich habe I, Monster immer bewundert und halte sie für die beste Gruppe, die Sheffield seit einiger Zeit hervorgebracht hat.
Und wie sah die Zusammenarbeit konkret aus?
Wir hatten schon 14 oder 15 Songs. Ich gab sie Dean (Dean Honer von I, Monster, Anm. D. Red.), und er sagte, er schaue sie sich an. Dean und sein Partner bei I, Monster, Jarrod (Jarrod Gosling, Anm. d. Red.), haben also angefangen, die Songs weiterzuentwickeln und verschiedene Mixe von ihnen zu machen. Als wir festgestellt haben, dass das wirklich gut werden würde, haben wir bereits mit den Gesangsaufnahmen begonnen. Ich weiß wirklich nicht, wie sie die Musik so gut hinbekommen haben, denn eigentlich sind sie keine Synthie-Gruppe, sondern befassen sich eher mit Sampling und dergleichen. Aber ich glaube, sie haben am Ende besser als ich verstanden, wie The Human League klingen sollte.
In den 80ern wart ihr bei einer großen Plattenfirma. Die hat einerseits zwar einen immensen Erfolgsdruck auf Euch ausgeübt, dafür habt Ihr damals aber auch Millionen Platten verkauft. "Credo" indes erscheint nun bei einem relativ kleinen Label. Welche Situation ist für Dich angenehmer?
Nun, ich weiß ja nicht, was wir mit dem neuen Album anstellen werden. Wir haben sehr feste Vorstellungen davon, was wir machen sollten und was nicht. Ich zum Beispiel glaube daran, dass man versuchen sollte, international zu arbeiten. Diesmal etwa gab es mit der Plattenfirma Diskussionen darüber, ob wir zu so lauschigen TV-Shows in Großbritannien gehen. Du weißt schon, diese Frühstücks- und Nachmittagsshows, bei denen jeder freundlich ist. Ich habe nichts gegen diese Shows, aber ich glaube, dass das nicht passen würde. Ich denke, die Musik von The Human League sollte dramatisch sein, bedrohlich und wie aus einer anderen Welt. Ich sehe uns eher wie Joy Division oder New Order und nicht wie ABBA. Vielleicht liegen wir da falsch, vielleicht sind wir ja wie ABBA. Aber wichtig ist mir, woran wir glauben - dass wir schon etwas ausgefallener und auf eine selbstbewusste Art künstlerisch sind.
Also hat sich so gesehen für Euch nichts geändert …
Es ist auf jeden Fall sehr ähnlich. Ich meine, in uns drin sind wir heute glücklicher. Weil es zu spät zum Scheitern ist. Wenn man 25 ist, gibt es die Gefahr, den Rest seines Lebens wie jemand Gescheitertes auszusehen. Heute mögen die Leute The Human League einfach oder eben nicht. Wir können die Meinung über uns eigentlich nicht mehr groß beeinträchtigen. Das macht es für uns sicher entspannter.
Wie unentspannt und hart war es denn dann tatsächlich in den 80ern?
Oh, es war in vielerlei Hinsicht hart. Wir fingen ja als elektronische Band in der Punk-Ära an. Unsere erste Tour in Großbritannien machten wir mit Siouxsie and the Banshees und unsere erste Europatournee mit Iggy Pop. Es war im wahrsten Sinne des Wortes hart - auch physisch. Das Publikum warf große Gegenstände nach uns, spuckte uns an und versuchte uns anzuzünden. Aber wir hatten eine ziemlich aggressive Haltung - diese alte UK-Punk-Haltung. Wir dachten, wir wissen es besser als die Plattenfirma, kämpfen dafür und streiten mit ihnen. Die Einsicht, dass es vielleicht besser sein könnte, zu kooperieren, kam erst so 1996. Ich wünschte, wir hätten das etwas früher gelernt.
Dabei heißt es ja immer, dass das Musikbusiness heute besonders schwierig ist. Würdest Du mit einer jungen Band tauschen wollen?
Nein, heute würde ich gar nicht mehr mit Musik anfangen. Ich würde versuchen, ins Fernsehen zu kommen oder vielleicht kleine Kunstfilme drehen. Für Leute, die den Anspruch haben, musikalisch frei zu sein, ist es heute schwer, konstant das Einkommen zu sichern, das sie weitermachen lässt. Wir haben die Goldenen Zeiten erlebt, mit Blick auf das Geld, das man mit Musik machen konnte. Das kommt vielleicht nie wieder. Unser Erfolg basierte ja auf der Arbeit von nicht allzu vielen Leuten. Aber heute, wenn man so groß sein will wie Rihanna, die Black Eyed Peas oder Katy Perry, ist das immer ein extremer Kompromiss. Man hat Teams um Teams von Leuten, die Songs für einen schreiben, man hat Presseagenten, Ankleider und so weiter. Ich glaube, dieses Leben würde ich nicht leben wollen.
Euer größter Hit in den 80er-Jahren war natürlich "Don't You Want Me". Es heißt, das Lied wurde gegen Euren Willen als Single veröffentlicht. Mochtest Du den Song nicht?
Wir fanden, dass er etwas zu kommerziell für uns war. Wir sahen unsere Arbeit eher in einem musikalischen Umfeld von New Order, Gary Numan oder John Foxx und Ultravox. Es war für uns schwer zu akzeptieren, dass wir Pop machen, den auch deine Großmutter oder Kinder gut finden könnten. Das steckt immer noch ein bisschen in uns, obwohl ich Pop wirklich liebe. Ich stehe zum Beispiel echt auf die Bee Gees.
Wenn es nicht "Don't You Want Me" ist, welcher Song von Euch bedeutet Dir dann besonders viel?
Ein Song, der mich immer noch besonders packt, wenn wir ihn live spielen, ist "Seconds", der auf dem "Dare"-Album war. Ich finde wirklich, dass er ein Vorgriff auf spätere Spielarten der Dance-Musik ist. Er hat einen treibenden elektronischen Beat, ein starkes Schlagzeug und ein bisschen etwas Beängstigendes. Bei dem Song habe ich das Gefühl, dass wir unserer Zeit 20 Jahre voraus waren.
Es ist interessant, dass Du einen Song von Euch aus den 80ern nennst. Schließlich bringen Euch die meisten ja mit dieser Dekade in Verbindung. Nervt Euch dieses Image der 80er-Jahre-Band?
Ja, manchmal. Aber andererseits denke ich mir wieder, dass es dumm ist, davon genervt zu sein. Jeder kann sich aus Dingen das herausziehen, was er möchte. Aber wir können immer noch Platten machen, in interessante Länder reisen und auftreten. Und wir werden dafür bezahlt. Natürlich ist uns bewusst, dass der Grund dafür das ist, was wir in den 80ern gemacht haben. Lustig ist das insofern, weil wir in meinem Kopf tatsächlich eine 70er-Jahre-Band sind. Unsere Basis waren der Disco-Sound von Georgio Moroder und Glam, kombiniert mit einem klitzekleinen bisschen Prog. Wir mochten tatsächlich Prog.
Als The Human League 1977 gegründet wurde, gehörten noch Martyn Ware und Ian Craig Marsh zur Band - beide gingen im heftigen Streit und gründeten Heaven 17. 2008 warst Du mit Martyn Ware - er mit Heaven 17 und Du mit The Human League - gemeinsam auf Tour. Wie ist Euer Verhältnis heute?
Großartig. Erst vor rund zwei Wochen habe ich mich mit ihm zum Essen getroffen. Wir sind Freunde, und ich mag ihn wirklich gern. Ich denke, es ist nicht ausgeschlossen, dass wir auch mal wieder zusammenarbeiten. Er ist ein guter und sehr talentierter Kerl. Und er ist einer der lustigsten Menschen, die ich in meinem Leben getroffen habe.
Wann habt Ihr Euch denn wieder angenähert?
Das ist im Verlauf der 90er Jahre passiert. Aber es hat auch nur deshalb so lange gedauert, weil wir in Sheffield waren und er in London.
In den 80er-Jahren haben Deine Outfits wahrscheinlich fast genauso viel Aufsehen erregt wie Eure Musik. Wenn Du Dir heute manche Bilder von damals ansiehst - bist Du stolz oder schämst Du Dich?
Ich bin stolz darauf. Wir waren wahrscheinlich so ziemlich der Höhepunkt der Reaktion auf die graue Welt, die wegen des Kriegs aus ganz Europa geworden war. Ich wuchs in einem Land, wirklich schauderhaft grau wie ein Militärgelände, auf, in dem alle Frauen Kleider trugen und alle Typen kurze Haare und dunkle Anzüge. Wir haben nur darauf reagiert - wie auch schon die Mods in den 60ern und unsere Glam-Helden in den 70ern. Wir wollten Künstler sein. Ich vermisse das. Es tut mir eher für die Kids heute leid, die keine Möglichkeit haben, sich so auszudrücken.
Woran liegt das Deiner Ansicht nach?
Ich denke, das liegt zum Teil daran, dass es früher sehr klare Trennlinien zwischen den Generationen gab. Wir waren vermutlich beinahe die letzte Generation, die mit ihren Eltern richtig über Kreuz lag. Seither haben die Kids junge Eltern. Jetzt bringen sie möglichweise schreckliche, lärmige Musik mit nach Hause, und ihre Eltern sagen: Hey, super, das gefällt mir.
Heute schocken sie ihre Eltern eher mit Justin Bieber …
Ja, die Eltern sind heutzutage häufig revolutionärer drauf als die Kinder. Das ist schon ein bisschen erschreckend.
Zugleich gibt es aber viele junge Bands und Sänger, die eindeutig von der Musik der 80er-Jahre und Synthie-Sounds wie denen von The Human League beeinflusst sind - wie La Roux, Robyn oder Hurts. Was denkst Du darüber?
Oh, ich mag La Roux und Hurts sehr. Und ich denke, sie bringen durchaus ihre eigene Note mit ein. Das ist wie manchmal bei Geschäften, die erklären, sie hätten eine Reihe von Klamotten im Stil der 80er-Jahre. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass sie eben nicht genau wie damals sind.
Um unser Gespräch mit einem Lied von The Human League zu beschließen: Ich hoffe, Du hast Dich nicht wie "being boiled" gefühlt …
Nein, ganz und gar nicht. Vielen Dank, dass Ihr Euch die Zeit genommen habt.
Mit Phil Oakey von The Human League sprach Volker Probst