Kino

"Geliebtes Leben" von Oliver Schmitz Kämpfen gegen das Tabu

Allein gegen Angst und Tabus: Chanda

Allein gegen Angst und Tabus: Chanda

Als die Schwester stirbt und die Mutter schwer erkrankt, übernimmt die 12-jährige Chanda die Verantwortung für die jüngeren Geschwister. Doch schwerer wiegt die Angst vor dem Geheimnis, das die Familie umgibt. "Geliebtes Leben" von Oliver Schmitz ist mehr als ein Aids-Drama. Es ist eine südafrikanische Parabel gegen Intoleranz.

Stets ungefragt zur Stelle: Mrs. Tafa.

Stets ungefragt zur Stelle: Mrs. Tafa.

Ein Kind, das alleine den Sarg für seine verstorbene Schwester aussuchen muss, während die Mutter von Trauer überwältigt ist und der Stiefvater das für die Beerdigung vorgesehene Geld versäuft: Chanda muss auf einen Schlag erwachsen werden. Noch in der Schuluniform, die Haare mit bunten Zopfgummis geschmückt, übernimmt die 12-Jährige die Verantwortung für ihre zwei jüngeren Geschwister und die schwer erkrankte Mutter. Hilfe erhält das Mädchen nur von der unangenehm neugierigen und dominanten Mrs. Tafa, die sich im Gegenzug das Recht herausnimmt, sich in alles einzumischen. Die übrige, einst so freundliche Nachbarschaft im ländlichen Township Elandsdoorn meidet die Familie zunehmend.

Chanda ahnt, dass das alles mit dem Tod der Schwester und der Krankheit der Mutter zu tun haben muss. Doch auch ihre Mutter will ihr nicht erklären, warum ihr Stiefvater glaubt, dass die Muttermilch den Säugling vergiftet hat. Mrs. Tafa dagegen ermahnt Chanda lediglich, an dem Grippetod der kleinen Schwester festzuhalten, ganz genau so, wie sie ihren Sohn bei einem schrecklichen Raubüberfall verlor. Dann würde niemand Gerüchte über die Familie verbreiten. Doch die 12-Jährige ist nicht bereit, keine Fragen mehr zu stellen und mit anzusehen, wie ihre Mutter immer mehr an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird. Und so ist sie es, die das Wort Aids als erste ausspricht und dafür kämpft, dass ihrer Mutter und ihrer Familie die Würde zurückgegeben wird. Ein Kampf gegen Angst, Tabus und eine mit uralten Ritualen vermischte Religiösität, in der der erste Steinwurf nicht lange auf sich warten lässt.

Sensibel, nicht sentimental

Ungewöhnliche Mutter-Tochter-Beziehung.

Ungewöhnliche Mutter-Tochter-Beziehung.

Der südafrikanische Regisseur und Drehbuchautor deutscher Abstammung, Oliver Schmitz, thematisiert das schwierige Thema Aids in Südafrika sensibel und ohne Voyeurismus. Nach der Romanvorlage des Kanadiers Allan Stratton "Worüber man nicht spricht", zeigt Schmitz in eindringlichen Bildern ein Mädchen, das gegen soziale Konventionen ein eigenes Gefühl für Anstand und Gerechtigkeit entwickelt und diesem Gefühl konsequent folgt. Entgegen der Romanvorlage hat Schmitz das Alter der Hauptdarstellerin von 16 auf 12 Jahre herabgesetzt. Mit 16 gebe es keine Unschuld mehr. Ihm sei es aber wichtig gewesen, das Chanda am Anfang überhaupt nicht verstehe, was um sie herum passiere, sagte Schmitz in Interviews.

Der Film wurde an Originalschauplätzen und überwiegend mit Laiendarstellern gedreht. Besonders beeindruckend ist dabei Khomotso Manyaka als Chanda. Der 1996 in Südafrika geborenen Manyaka, die zuvor nie vor einer Kamera stand, kann man die inneren Konflikte vom Gesicht ablesen. Etwa wenn sie sich gegen den Rat der allgegenwärtigen Mrs Tafa wieder und wieder entscheidet, zu ihrer besten Freundin Esther zu halten, die sich als Aids-Waise als Gelegenheits-Prostituierte verdingen muss.

Freundschaft für immer: Chanda und Esther.

Freundschaft für immer: Chanda und Esther.

Unaufgeregt und damit umso eindringlicher erzählt Schmitz eine Geschichte, die weit über das Thema Aids hinausgeht – es geht darum, was Menschlichkeit und Toleranz bedeuten. "Für alle Chandas dieser Welt" lautet die folgerichtige Widmung dieses Films.

In Cannes wurde der Film bei seiner Weltpremiere gefeiert, beim Durban Filmfestival gewann "Geliebtes Leben" den Preis für den besten südafrikanischen Spielfilm, außerdem wurde Hauptdarstellerin Khomosto Manyaka als beste Darstellerin ausgezeichnet. Beides zu Recht. Denn mit seinen ruhigen Bildern hat Oliver Schmitz, der hierzulande vor allem für die preisgekrönten Regiearbeiten bei "Türkisch für Anfänger" und "Doctor's Diary" bekannt ist, einen Film gemacht, auf den man sich einlassen sollte. Dann hinterlässt die in langen Einstellungen eingefangene Schönheit von Landschaft und Darstellern einen nachhaltigen Eindruck. Die aufgeworfenen Fragen tun das ohnehin.

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Quelle: ntv.de

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