Am Ende des Tages Mit Till Brönner auf der Couch
15.10.2010, 11:23 Uhr
"Es gibt immer eine Liebe in meinem Leben."
Mal abgesehen davon, dass der Mann gerade ein Buch geschrieben hat und mit seiner besonnenen und musikalischen Art einer Castingshow ein völlig neues Gesicht gibt - ein besseres - hat er auch noch ein neues Album am Start. Und das schafft, was momentan fast unmöglich erscheint: Es verlängert den Sommer.
Die erste Auskoppelung "Summerbreeze" aus dem Album "At The End Of The Day" versetzt den Zuhörer, oder sollte ich besser sagen, die Zuhörerin, in eine Art Tagtraum: Ein Haus am Meer, leise Musik im Hintergrund, die Sonne geht langsam unter, die Gardinen wehen in den offenen Fenstern, ich stehe am Herd und koche, denn gleich kommt Till. Und da ist er auch schon, er winkt den Nachbarskindern zu, jetzt sieht er mich, er lächelt, er hebt seinen Trompetenkasten zum Gruß und geht einen Schritt schneller. Ich wische mir die Hände an der Schürze ab und laufe ihm leicht und beschwingt entgegen, wir lachen. Ich lache. Über mich. Jetzt muss ich mich aber konzentrieren, denn Tagträumereien bringen einen ja nicht weiter, sondern nur in Verlegenheit, und ich soll jetzt ein Interview führen.
Hotel de Rome, Berlin, sein Bruder und Manager Pino bittet mich in den Velvet Room, Till wartet schon und grüßt artig. Wir siezen uns, obwohl ich doch schon für ihn gekocht habe. Komisch. "Herr Brönner, ich habe gehört, dass ich Ihnen keine Fragen zu Ihrer Tätigkeit bei X-Faktor stellen darf, ist das richtig?" "Das ist absoluter Quatsch, wieso denn das?" Ich bin erleichtert, dass er so einen vernünftigen Eindruck macht und sage, dass ich sowieso nicht so viele Fragen zu X- Faktor habe. Ehrlicherweise habe ich die Show nur seinetwegen am Vorabend angeguckt, und es war, wie bereits eingangs erwähnt, gar nicht so schlecht. Tills und meine Favoritin ist Edita, und das ist garantiert nicht unsere einzige Gemeinsamkeit.
Egal, eigentlich soll ich ja etwas über sein neues Album schreiben, tatsächlich will ich aber nur wissen, ob er gerade eine Freundin hat. Ich wage einen Versuch: "Bei 'And I Love Her', an wen denken Sie da? Gibt es eine Liebe in Ihrem Leben?“ Er lächelt mich mit seinen unergründlich blau-grünen Augen an: "Es gibt immer eine Liebe in meinem Leben!" Ich stottere und werde wahrscheinlich ein bisschen rot, gehe jedoch galant darüber hinweg, dass er auf meine Frage quasi nicht geantwortet hat (natürlich!!!, er spricht nie über sein Privatleben) und denke mir einfach, dass er seinen Sohn meint, dem er sein neues Album gewidmet hat.
Im Velvet Room
Nun schwärme ich ihm erstmal von seinem Album vor: "Poppig, reizend, entspannend, geschmeidig und easy" sind die Worte, die ich gebrauche. Er wirkt amüsiert, er kennt es ja, und wahrscheinlich haben die drei Journalistinnen vor mir genau dasselbe Süßholz geraspelt und Herr Brönner ist einfach zu gut erzogen, um gelangweilt zu gucken. Natürlich, sein Vater war ja auch Lehrer in Rom an einer deutschen Schule, und sie alle haben zusammen Hausmusik gemacht, aber das wissen Sie schon aus den 1000 anderen Artikeln, die über Till Brönner verfasst wurden und deswegen erzähle ich jetzt ja auch was über sein neues Album!
"Möchtest du Wasser, Till?" fragt sein Bruder. "Ja, bitte, ohne Kohlensäure", antwortet er mit einem Lächeln. "Sie auch?" Klar, aber bitte mit Kohlensäure, noch lieber wäre mir jedoch ein Prosecco, denn es ist wirklich zu reizend, mit Till im Velvet Room zu plauschen. "Was hat Sie inspiriert, ausgerechnet diese Songs aufzunehmen?" Toll, Sabine, total kreativ, hat bestimmt noch keiner gefragt. "Oh, das ist eine gute Frage", antwortet er und neigt seinen Kopf ein wenig. "Das sind alles Songs, die mir etwas bedeuten." Wichtig ist ihm, dass die Texte stimmen, ohne gute Texte möchte er eigentlich auch kein Stück mehr auf der Trompete interpretieren. Das klingt nach der Erfahrung eines Enddreißigers, der seit einem Vierteljahrhundert den Vorzeige-Trompeter der Nation auf der ganzen Welt gibt. Das ist aber auch schwierig: Ausgezeichnet mit vier Echos und einer Grammy-Nominierung steht er permanent im Fokus nicht nur derer, die ihn gut finden ... Auch seine Kritker haben immer wieder genug Grund, an ihm herumzunörgeln, z.B. "Warum denn jetzt auch noch Pop?" Das perlt zwar nicht vollkommen an ihm ab, nervt ihn auch, bringt ihn dennoch nicht davon ab, seinen Weg - und sei es auch mit vielen Um- und Nebenwegen - zu gehen.
Professor Brönner will fördern
Sein Liebstes ist ja immer noch der Jazz! Das wird deutlich, als ich mit ihm über seine weiteren Pläne spreche: "Ich möchte gerne Forschung betreiben. Forschung über die Rolle, die Deutschland als Musikland Nummer eins hat." Und er möchte sich den jungen Künstlern widmen. "Ich denke da an ein Zentrum für Jazz, hier in Berlin, wo man sich der Förderung von Talenten im Bereich Jazz genauso intensiv widmet wie im Bereich Klassik." Dabei wurde Brönner 2009 an der Hochschule für Musik in Dresden bereits zum Professor berufen - nicht so leicht, ihn sich als solchen vorzustellen. Aber dem Mann ist alles zuzutrauen.

"Das ist meine verlängerte Zunge."
(Foto: dpa)
Ich frage ihn, mit welchem Lied er sich bei einem Casting vorstellen würde: "Ich mag die Songs aus den 30ern und 40ern, "I wanna be around", "I'm through with love", etwas Jazziges, oder Musik vom Broadway. Ich würde nicht taktisch vorgehen, und ich würde ein Lied wählen, das ich sowohl für ein Vocal Casting als auch für ein Trompetenstück bringen könnte. So schlägt mein Herz!" Er lächelt dieses "Nächste Frage?"-Lächeln, Brönner ist sympathischer als ich dachte, ich hatte auf mehr Arroganz getippt. Fehlanzeige. Den Unterschied zwischen Till, dem Sänger und Brönner, dem Trompeter, sieht er folgendermaßen: "Auf der Trompete geht es bei mir schon sportlicher zu. Da scheue ich keine Vergleiche, das ist das, was ich richtig gelernt habe. Und das ist das, was ich unterrichte. Die Trompete ist sozusagen meine verlängerte Zunge." Oops, aber ja, das hat er wirklich gesagt.
Mag er den Vergleich zu Louis Armstrong? Es gibt schließlich eine Menge singender Trompeter, angefangen bei Chet Baker, Louis Prima, Jack Sheldon: "Die Trompete war und ist ein dominantes Instrument, in der Geschichte ist es das Instrument, das den Bandleader ausgemacht hat. Insofern ist der Schritt vom Bandleader zum Sänger gar nicht so weit", erklärt Brönner. Und: "Was bei Armstrong immer vergessen wird, ist, dass er zum Weltstar wurde, weil er gesungen hat, nicht wegen seines Trompetenspiels. Er war ein Popstar seiner Zeit, auf der Trompete war er DER Innovator, und wer ihn nachspielen will, beißt sich noch heute oft die Zähne daran aus." Brönner ist eindeutig mehr ein Trompeter, und als dieser zu Weltruhm gelangt, aber als Sänger ist er auch nicht schlecht.
Ganz in Weiß
Der kleine Till spielte übrigens, wie viele Kinder, Blockflöte. Die Entscheidung für die Trompete kam natürlich ein bisschen später, und als er dann die Bigband-Typen mit ihren weißen Smokings sah, war es um den jungen Till Brönner geschehen. " Es traf mich wie der Donner", versucht er zu erklären, warum er sein Leben fortan in einer Männerkapelle verbringen wollte, die Mädchen standen schließlich eher auf Gitarre am Lagerfeuer. Aber solche Äußerlichkeiten waren ihm schon immer gleichgültig.
Zurück zur Songauswahl: "And I Love Her", welche Bedeutung hat dieses Lied für ihn? "Darin schwingt mindestens so viel Melancholie mit wie straighte Liebeserklärung. Ich persönlich empfinde bei dem Song ein unterschwelliges Fragezeichen, auch wenn der, der es singt, ja gerade eine Lieberklärung macht. Die Musik ist immer die Interpretation dessen, was eigentlich passiert: Wie in einem Film ist die Musik die Untermalung für das, was der Zuschauer fühlen soll." Und außerdem? "Außerdem ist das eine geniale Melodie der Beatles, so zeitlos. Auch wenn ich mich mit dem Original nicht messen kann - ich wollte den fragenden Aspekt verstärken. So einen Aspekt zu zaubern, das macht mir Spaß, etwas anderes rauszuhören als andere hören." Ja, das glaube ich ihm auf's Wort, und damit muss ich jetzt doch noch einmal auf seine Tätigkeit als Juror bei X-Factor eingehen: Dort ist er ruhig, optimistisch, fair. Ist das sein Wesen? "Ja, ich verstelle mich da nicht, denn wir wollen die Menschen ja nicht vorführen, sondern präsentieren, das ist eine filigrane Angelegenheit. Ich versuche, den Kandidaten das Gefühl zu geben, vor und hinter der Kamera, dass ein Ausscheiden aus der Show nicht das persönliche Ende für sie ist. Nur weil sie bei einer Show rausfliegen!"
Wichtig ist ihm, dass das auch ein Wettbewerb der Juroren ist: Wenn sein Kandidat weiterkommt, dann kommt auch er weiter, aber genau so sehen das natürlich auch Sarah Connor und George Glück, und deswegen kämpfen alle wie die Löwenmütter. Da zu entscheiden ist gar nicht leicht, denn gut singen zu können ist weiter verbreitet als man denkt. "Ich würde allerdings gerne mal einen Tag so singen können wie Edita," gibt er zu.
Was macht Till Brönner eigentlich, wenn er sich entspannen will? Wenn er sich entspannen kann, denn viel Zeit hat er ja nicht: "Ich bin oft auf Reisen, da kann ich mich rausziehen an Orten, wo die Sonne verlässlicher scheint. Ich will aber gar nicht so wetterfühlig klingen - da habe ich ja das Gefühl, ich werde zum Weichling." Ach nö, es geht noch, also, daran habe ich jetzt eigentlich nicht gedacht. Er erzählt weiter: "Ich ziehe mich dann in mein Studio zurück, lasse mich von der Musik erwärmen, ich fotografiere, ich koche gern was Sonniges, ja, das klingt ein bisschen pathetisch, aber es gibt schon Möglichkeiten, sich aus dem Wetter rauszuziehen. Musik ist ein super Tool, um sich optimistisch durchs Leben zu bewegen."
Auf der Couch mit Till Brönner
Tja, wir könnten jetzt ewig so weiterschwatzen, aber die Zeit ist um. Herr Brönner möchte aber noch eine Frage gefragt werden. Kein Problem. "Sind Sie leichter, also leichtfüßiger geworden in der Musik?" "Es ist so ein Zeitpunkt, eine Markierung am Wegesrand. Das Album ist keine fundamentale Aussage über meine generelle Geisteshaltung, es ist ein Zustand, in dem ich mich jetzt befinde. Und wenn ich mir mein Leben angucke, wie ich das so logistisch meistern muss, dann ist die Musik at the end oft he day so eine Art Therapie für mich. Diese Musik ist eine Welt, in der ich mich gerne aufhalte. Und eine Welt, die ich gerne mit anderen teile."
Das schließt nun nicht aus, dass er auch mal wieder eine härtere Gangart einschlägt, experimenteller wird. Aber er macht eben gerne immer wieder etwas Neues. Und anderes. Jetzt will er wissen, ob ich auch immer so laut Musik im Auto höre, und ob ich überhaupt neutral sein kann, wenn man immer Alben zugeschickt bekommt. Neutral! Pffhh, wer ist schon neutral? Egal, hier geht es ja um ihn, letzte Frage: Fühlt man sich als Sänger nackter als mit seinem Instrument in der Hand? "Natürlich! Unbedingt, man ist ausgelieferter. Ich bin vorsichtig in der Auswahl der Songs, die ich mir zutraue, in Konzerten natürlich noch mehr! In Konzerten werde ich vor allem daran gemessen, was ich mit meinem Instrument mache!! Und im Studio hab ich mir abgewöhnt, so lange zu tricksen, bis es irgendwie gut klingt, da kommt sonst ganz schnell Langeweile auf! Wir haben viele Versuche unternommen, und wir haben viele Sachen nicht aufs Album gepackt, weil sie nicht funktioniert haben, und dann wird da auch nicht herumgetrickst."
Ist das dann das Prinzip "Trial and Error"? "Genau!!! Das, was jetzt auf dem Album ist, ist relativ leichtfüßig und ohne große Fragezeichen entstanden. Meine Produzenten haben schon gefragt, 'Sag' mal, müssen wir eigentlich singen?' Und dann hab' ich gesagt: Müssen wir nicht, aber ich will!"
Till Brönner, "At The End Of The Day", Universal, erscheint am 15.10.2010
Quelle: ntv.de