"Das hat mich umgehauen!" Stellan Skarsgård in "King of Devil's Island"
29.03.2012, 12:33 Uhr
Stellan Skarsgård in der Rolle des Direktors.
Stellan Skarsgård ist einem sofort sympathisch, auch wenn seine aktuelle Rolle das nur bedingt hergibt. Er ist bekannt aus "Verblendung" oder "Fluch der Karibik". Für Lars von Trier spielt er bald in einem Porno, doch jetzt sehen wir ihn in einem "kleineren" Film, das aber mit Wucht. Die Norweger strömen ins Kino, um eine wahre Geschichte zu sehen.
Die Anfangsbilder sind beeindruckend: Ein Wal taucht aus dem Wasser, das Licht ist blau vor Kälte, wir spüren, dass wir uns am Ende der Welt befinden. Und auch, wenn es nur Norwegen ist - hier weht ein anderer Wind. Wir erleben eine andere Zeit, andere Methoden und andere Einstellungen und wissen doch, dass Vorkommnisse wie auf der "Teufelsinsel" überall auf der Welt passieren konnten und noch immer passieren können. Der Film - nach einer wahren Begebenheit - "The Devil's Island" vom norwegischen Regisseur Marius Holst handelt von einer Gruppe gesetzesuntreuer Jungen, die auf der Gefängnisinsel Bastøy bei den Fjorden von Oslo lebt und unter dem strengen Regime des Anstaltsleiters Hakon (Stellan Skarsgård) zu sogenannten "besseren Menschen" erzogen werden sollen. Dabei ist es egal, ob ein Junge 7 oder 17 ist, ob er Kleingeld aus dem Klingelbeutel geklaut oder einen anderen halbtot geschlagen hat.
Was man am Anfang des letzten Jahrhunderts unter "Erziehung" verstand, zeigt der Film schmerzhaft deutlich: Hier ist ein Kind kein Mensch, sondern eine Nummer. Die inhumanen Umstände, unter denen die Jungen hier heranwachsen, prägen sie, machen sie hart. Zugleich schweißt das eintönige Leben auf Bastøy die Heranwachsenden aber auch zusammen. Bis eines Tages Erling (Benjamin Helstad) auf die Insel kommt, für den nur seine Regeln gelten. Beaufsichtigt werden die Neuen - mit Erling zusammen kam Ivar (Magnus Langlete), der sich seinem Schicksal beugt und zum bevorzugten Opfer, auch sexueller Gewalt, des Haushälters Bråthen wird - von Olav (Trond Nilssen), der in wenigen Wochen die Insel verlassen kann. Erling beugt sich dem brutalen Regime nicht und stachelt seine Mithäftlinge zur Revolte an. Bastøys System aus Unterdrückung, Entmündigung und Misshandlung bekommt Risse, bis die jahrelangen Erniedrigungen in einer explosionsartigen Revolte der Erziehungsanstalts-Insassen endet.
Über den Film, der mit überwältigenden Bildern, einem hervorragenden Darstellerensemble aus - zum größten Teil - Amateuren und seiner Authentizität geradezu protzt, sprach n-tv.de mit Stellan Skarsgård.
n-tv.de: Jag är mycket glädja att göra ert bekantskap.
Stellan Skarsgård: Danke, ich freu' mich auch, hier zu sein. Dass wir mit dem Film hier in Deutschland so herzlich empfangen werden, freut mich wirklich. Und ich fand es lustig, mich gestern Abend bei der Vorpremiere deutsch sprechen zu hören.
Wissen Sie auch, mit wem man Ihre deutsche Stimme hier verbindet?
Oh ja, das wurde mir erzählt. Das ist die Stimme, die sonst George Clooney bekommt, richtig?
Richtig.
Ich fand sie ein bisschen zu hoch. (lacht)
Ja, aber wir hier mögen die Stimme gern. Kommen wir zum "König von Bastøy", so heißt der Film ja im Original. Das ist kein leichter Film, in den man mit der ganzen Familie geht, um sich Popcorn essend vom Alltag abzulenken. Das ist harter Tobak.
Stimmt. Ja, und dieser Film braucht eine große Leinwand, weil er so tolle Bilder hat, vor allem am Anfang und am Schluss, aber auch, weil er eine so große, tiefgründige Geschichte erzählt.
Erzählen Sie doch von den Dreharbeiten.
Zuerst einmal war es einfach nur eiskalt. Und es war, ganz ehrlich gesagt, ein scheußlicher Drehort. Und am schlimmsten war es für die Kinder, die noch weniger an hatten als ich. Für mich allerdings war es das Größte, die Möglichkeit zu haben, mit diesen Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Wissen Sie, die haben überhaupt keine schauspielerische Ausbildung und kommen teilweise aus ähnlich schwierigen Verhältnissen wie die Jungs, die sie im Film darstellen. Viele von ihnen haben daher die Erfahrungen mit einbringen können, die sie aus ihrem Leben in Anstalten oder Erziehungsheimen kennen. Es ist schon ein großer Unterschied, ob man mit Profis oder mit Amateuren arbeitet, in diesem Fall mit Amateuren, die Experten in dieser Materie sind und sich dort richtig zu Hause fühlen konnten. Auch wenn das vielleicht ein bisschen merkwürdig klingt.
Und was ist der größte Unterschied?
Man sieht es an ihren Augen. Du erkennst, wie hart das Leben sie gemacht hat und wie sehr sie sich dagegen wehren, auch nur irgendein Gefühl an sich heran zu lassen. Man spürt, dass sie wissen, wie sie in dieser Welt überleben können. Und man spürt nach einer Weile, durch ihre harte Schale, was für ein verängstigtes Kind dahinter doch noch steckt. Das war eine fantastische Erfahrung, aber auch eine sehr große Herausforderung. Ich musste nämlich versuchen, genauso gut wie sie zu sein, (lacht) im Sinne von "genauso authentisch", verstehen Sie?
Ja.
Die Jungs waren nun mal die Experten in dieser Rolle.
Wie lange haben die Dreharbeiten denn gedauert?
Es hat schon ganz schön lange gedauert, das lag aber auch an dem Drehort. Zweieinhalb Monate dauerte der Hauptdreh, dann haben wir aber noch Szenen extra gedreht, das dauerte nochmal ein paar Wochen. Und wir hatten eine Weihnachtspause. Für einen so kleinen Film hat das lange gedauert. Das ist aber okay.
Haben Sie nach dem Dreh das Gefühl gehabt, dass die Kinder nach den Dreharbeiten etwas zugänglicher waren als vorher?
Ja, sie haben eine gewisse Art von Selbstbewusstein und Zufriedenheit erlangt, aber am schönsten war, dabei zuzusehen, wie sich darüber gefreut haben, dass sie etwas lernen und dass man sie ernst nimmt. Nehmen wir zum Beispiel den Darsteller von Olav, Trond Nilssen. Der hat zum Regisseur gesagt, dass dies das erste Mal in seinem Leben sei, wo er etwas zu Ende gebracht hat. Das hat mich umgehauen. Ein 19-Jähriger, der vorher nie etwas in seinem Leben bis zum Ende gemacht hat. Der zum ersten Mal wirklich zufrieden mit sich war.
Titel: King of Devil's Island
Originaltitel: Kongen av Bastøy
Produktionsland: Norwegen
Produktionsjahr: 2010
Länge: 115 Minuten
Verleih: Alamode Filmverleih
Kinostart: 29.03.2012
Nachdem das Erziehungsheim Bastøy 1970 geschlossen wurde, fungiert die Insel heute wieder als "Besserungsanstalt". Heute sind hier Strafgefangene interniert, und das in einem der liberalsten Gefängnisse der Welt.
"King of Devil's Island" ist der bisher teuerste norwegische Film und zugleich einer der erfolgreichsten – in seiner Heimat sahen 300.000 Zuschauer Marius Holsts Drama. Der Film wurde mit dem norwegischen Filmpreis "Amanda" ausgezeichnet.
Sie meinen zum Beispiel, der nie eine Schule beendet hat ...
Ja, genau, keine Schule, keine Ausbildung, kein guter Familienhintergrund, ein junger Mann, der so durchs Leben schlingert. Das Einzige, wovon er wirklich berichten konnte, waren Erziehungsanstalten und Heime. Schön zu sehen war, wie sehr der Respekt, der ihm und auch den anderen Kinderdarstellern entgegengebracht wurde, sie stolz gemacht hat. Zum ersten Mal in ihrem Leben wurden sie für etwas wirklich anerkannt. Man hat sie behandelt wie Erwachsene. So wurden sie wahrscheinlich noch nie behandelt. Sie haben zum ersten Mal gesehen, dass man es mit Disziplin - und die herrscht natürlich auf einem Filmset - wirklich weit bringen kann. In Tronds Fall hat diese Erfahrung sogar sein ganzes Leben verändert. Der ist jetzt ein Schauspieler, und das, obwohl er vorher noch nie vor einer Kamera gestanden hat. Der Junge ist unglaublich gut.
Sie haben gesagt, dass diese Jungs zum ersten Mal wie Erwachsene behandelt wurden - meinen Sie nicht, dass es ein viel größeres Problem ist, dass sie nie wie Kinder behandelt wurden?
Ja, klar, aber ich meinte das eher im Sinne von "respektiert werden". Das sind sie zum größten Teil nämlich noch nie. Diese Kinder haben so etwas wie Integrität noch nie erlebt. Das wurde ihnen wahrscheinlich schon genommen, als sie noch klein waren. Deswegen sind sie auch nicht in der Lage, es selbst zu geben, wenn man es ihnen nicht mühsam wieder beibringt. Im Laufe der Dreharbeiten ist es ihnen gelungen, glaube ich jedenfalls, so etwas wie einen Einklang mit sich und der Welt zu finden. Sie haben gelernt, sich selbst wieder zu mögen. Nicht alle werden aus den Dreharbeiten so viele persönliche Vorteile für sich gezogen haben wie Trond, aber die meisten. Hoffe ich.
Und der, der den Erling spielt?
Benjamin Helstadt hatte tatsächlich vorher schon ein paar Stunden in einer Schauspielschule belegt, aber der wird auch seinen Weg gehen, da bin ich sicher.
Er wirkt wahnsinnig stark, aber auch verschlossen.
Ja, körperlich ist er sicher präsenter, aber im wahren Leben ist das nicht so hervorstechend, das sind beides ganz normal gebaute Jungs (lacht).
Warum wollten Sie unbedingt mit Marius Holst zusammen arbeiten?
Ich habe ein paar Filme von ihm gesehen, und ich habe ihn über einen Freund kennengelernt. Er kam mir so intelligent vor, so interessant, dass ich mich fortan für ihn interessiert habe. Und außerdem, als durchsickerte, dass er diesen Film drehen will und wie er an das Casting ging, da wollte ich unbedingt mitmachen. Marius hatte jemanden getroffen, der auf dieser Insel war, und seitdem wollte er die Geschichte verfilmen. Das ist schon zehn Jahre her, aber die Arbeit im Vorfeld hat einfach viel Recherche und Vorbereitung verlangt.
Das waren ja harte Dreharbeiten ...
Oh ja, sowohl physisch als auch psychisch ...
... und was mögen Sie lieber? Sie arbeiten schließlich auch in richtig teuren Hollywood-Produktionen mit.
Ich gebe schon zu, dass es wahnsinnig angenehm ist, einen bequemen, beheizten Trailer zu haben, in dem man sich jederzeit zurückziehen kann, aber ich liebe die Abwechslung. Bei diesen kleineren Produktionen hat der Regisseur mehr Einfluss, und oft kommt dabei etwas so Gutes heraus, dass man die Unannehmlichkeiten, wie zum Beispiel in kalten, müffelnden Schlafsälen zu übernachten, einfach hinnimmt und sich dann um so mehr über das Ergebnis freut. Außerdem mag ich den Gedanken, dass ein Film hauptsächlich dem Kopf einer Person entspringt. Das macht es so persönlich. Ich versuche deswegen unbedingt, in beiden Welten zu arbeiten, in der Hollywood-Area und in der, wo Filme mit Herzblut gemacht werden und ein echtes Anliegen haben. Bis jetzt ist mir das auch ganz gut gelungen, glaub' ich. (lacht)
Wieviel von Ihnen steckt in dem Hakon, den Sie in "Devil's Island" spielen?
Das weiß ich nicht so genau, aber seine Rolle war zuerst mal sehr negativ angelegt, er ist eine Art Tyrann, und die Kinder sollten Angst vor ihm haben. Aber ich wollte ihm gerne etwas Menschliches geben, und deswegen haben wir seine Szenen ein bisschen weiter ausgeschmückt, ihm mehr Leben eingehaucht. Wir mussten das aber alles kürzen, es war ein langer Prozess, aber diese Menschlichkeit sollte er, ein bisschen wenigstens, beibehalten. Er sollte zumindest ein Mann sein, der gute Absichten hat. Ob er die immer mit den richtigen Mitteln durchsetzt, ist eine ganz andere Frage. Für die damalige Zeit war er wahrscheinlich sogar so etwas wie ein moderner Pädagoge. Er verhält sich letztendlich aber doch auch feige, weil er nicht den Mut hat, der Gesellschaft die Stirn zu bieten. Seine Verzweiflung sollte deutlich werden ...
... das ist durchaus gelungen, ...
... gut, danke, und er sollte, obwohl er von dem sexuellen Missbrauch wusste, der dort auf der Insel herrschte, kein eindimensionaler Typ sein. Aber wie gesagt, er war zu feige.
Glauben Sie, dass so etwas auch heute noch möglich ist?
Ja, natürlich, anders, aber Unterdrückung von Schutzbefohlenen oder Feigheit sind Eigenschaften, die es heute genauso gibt wie 1915, als die Geschichte spielt. Die meisten haben doch schon einmal ihre eigenen Ideale verraten, um besser in die Gesellschaft zu passen, oder? Ich meine, das ist für viele der einfachste Weg. Außerdem lassen sich viele Menschen natürlich korrumpieren, wenn sie Macht bekommen. Für Norwegen und Schweden zum Beispiel ist das alles Geschichte, wir haben aus den Fehlern gelernt, die zum Beispiel auf solch einer Insel gemacht wurden, aber in vielen Teilen der Welt ist sogar per Gesetz noch erlaubt, Kinder zu züchtigen, zu schlagen. Als erzieherische Maßnahme. Ich meine, das ist Realität, in England, Amerika, ganz offiziell, und nicht Geschichte, leider. Natürlich wird hinter verschlossenen Türen überall auf der Welt noch geprügelt, machen wir uns nichts vor.
Wenn man eine Insel wie Bastøy sieht oder von einer "Teufelsinsel" hört, denkt man heute viel eher an Utøya, wo Anders Behring Breivik im letzten Sommer 77 Menschen, überwiegend Jugendliche, tötete.
Ja, aber das war die Weltsicht eines verwirrten Einzeltäters, der sich für einen Tempelritter hält, und der meinte, mit seiner Tat seine verschrobene Sicht der Weltordnung wieder herstellen zu können. Die Zeiten haben sich, trotz solcher Taten, durchaus zum Besseren gewandelt. Gut und Böse ist recht klar! Keine Gesellschaft der Welt kann sich gegen verrückte Einzeltäter wappnen, es wird immer wieder passieren, egal, wie sehr wir aufeinander aufpassen, wie gut erzogen unsere Kinder sind, es wird immer welche geben, die anders ticken.
Etwas ganz anderes: Sie haben in "Mamma Mia" gespielt. Wie erklären Sie sich den Erfolg, den dieser Film hatte?
"Mamma Mia"!, das war kein Film! (lacht) Das war ein einziger, riesiger Spaß!! Und es war toll, dass man sich da nicht so ernst nehmen musste! Wir sollten sogar ausgelacht werden, lauter Schauspieler, die nicht singen können, singen einen ganzen Film hindurch, herrlich. Und die Frauen in dem Film, (Amanda Seyfried, Meryl Streep und die Regisseurin Phyllida Lloyd, Anm.d.Red.) sind so tolle Frauen, da musste man einfach mitmachen. Es war großartig in Griechenland, heiß und ganz anders als jetzt in Norwegen (lacht)! Die Leichtigkeit und der Charme, der Spaß, das ist das Geheimnis des Films.
Was sind Ihre Pläne in nächster Zeit?
Ich werde im Mai in Edinburgh anfangen zu drehen. Viel kann ich dazu noch nicht sagen. Und danach drehe ich einen Porno mit Lars von Trier. Das wird richtig lustig! Wir haben schon sechs Mal oder so zusammen gearbeitet.

Lars von Trier, Kiefer Sutherland, Kirsten Dunst und Stellan Skarsgård beim Dreh von "Melancholia".
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Welche Rolle werden Sie spielen?
Natürlich die männliche Hauptrolle, aber Lars hat mir schon gesagt, dass es nicht zum Äußersten kommen wird (lacht).
Nochmal zurück nach Bastøy: Haben Sie eigentlich jemals solche Erfahrungen gemacht wie die Jungs in dem Film? Angst, Einsamkeit, Bestrafung?
Nein, meine Kindheit war extrem glücklich! Ich hatte fantastische Eltern. Selbst, wenn ich der Schule Schwierigkeiten hatte, habe ich mich stark gefühlt, weil ich wusste, dass ich von Hause unterstützt werde. Ich habe meine Lehrer manchmal sogar dafür bedauert, dass sie so schlechte oder unglückliche Menschen sind. Ich fühlte mich einfach überlegen.
Glauben Sie, Sie würden es einem Menschen sofort ansehen, dass er Ärger bedeutet? So wie im Film dem unbeugsamen Erling?
Oh ja, das sieht man. Bei diesem Kerl war von Anfang an klar, dass er sich nicht unterwerfen wollte, meine Frau im Film sagt ja auch: "Ich fühle mich unwohl, seit er auf der Insel ist". Gleichzeitig fühlt sich sich aber von ihm angezogen. So ist das wohl manchmal im Leben, solche Gefühle liegen nah beieinander. (lächelt)
Mit Stellan Skarsgård sprach Sabine Oelmann
Quelle: ntv.de