Anthologie der Genialität Gesamtausgabe der Beatles auf Vinyl
08.12.2012, 16:17 UhrJetzt ist das Gesamtwerk der Beatles auf remastertem 180-Gramm-Vinyl erschienen. Eine Schau auf das Oeuvre einer Band, an dem sich gute Populärmusik bis auf den Tag messen lassen muss.
Natürlich ist es bequemer, die Alben der Liverpooler auf einem USB-Stick oder einem Smartphone zu speichern und sie dann mit Minikopfhörern abzuspielen. Aber ist es auch schöner?
Schöner ist es, die Platten in die Hand zu nehmen, die Covergestaltung zu bewundern, die Scheiben vorsichtig aus dem "inner sleeve", der Innenhülle, herauszuziehen, sie auf den Plattenteller zu legen und sie mit einer leidlichen Stereoanlage abzuspielen. Ja, aber wer hat denn noch alle Vinyls von damals oder auch spätere Neuauflagen in gutem Zustand im Regal?
Remastered auf Vinyl
Heuer gibt es neue Neuauflagen, die einen – das etwas abgegriffene Bild sei hier gestattet - perfekten Hörgenuss ermöglichen, weil die Aufnahmen von der remasterten CD-Ausgabe der Alben in 2009 stammen, die ihrerseits auf Basis der Originalbandaufnahmen entstanden. "The Beatles 2012", so wird man sie dereinst der Einfachheit halber nennen, heißt: alle zwischen 1963 und 1970 in Großbritannien erschienenen Studioproduktionen als 180-Gramm-Vinylscheiben.
Aber: Die erste Studioversion der ersten Beatles-Single "Love Me Do" aus 1962, die Platz 17 der British Pop Charts erreichte, ist auch dabei. Und zwar auf der 1988 erstmals veröffentlichte Kompilation "Past Masters" mit den nicht auf regulären Langspielplatten erschienenen Singles samt deren "flip sides", also B-Seiten, der EP, also "extented play", "Long Tall Sally".
Die Scheibe enthielt neben der Eigenkomposition "I Call Your Name" drei weitere rockige Nummern: Den Titelsong aus der Feder von Schreihals Richard Penniman alias Little Richard, "Matchbox" von Carl Perkins und "Slow Down" von Larry Williams. Von diesem stammt auch der Rocker "Bad Boy", der auf der bis dato nur in den USA auf der Platte "Beatles VI" (1965) erschienen war.
Rock ’n’ Roll Coverband
In den ersten Jahren coverten John, Paul, George und Ringo Vieles von ihren "inspirateurs" aus der Zeit des klassischen Rock ’n’ Roll: Neben den genannten Interpreten war dies auch Chuck Berry, der wie die anderen für in den USA längst vergessenen Kompositionen kassierte.
Die größte (sic!) Rock ’n’ Roll-Band der Welt hat mithin nicht nur einen wesentlichen Anteil an der Rettung des Genres, sondern auch an der Verbesserung der materiellen Lage einiger seiner Sänger. Neben den Rock ’n’ Roll-Coverversionen nahmen die Fab Four auch Songs der Anfang der Sechziger äußerst beliebten Girlgroups auf. So auf der LP "Please Please Me" (1963) das Stück "Chains", das ursprünglich von den Cookies stammte. Oder "Please Mister Postman" auf dem Album "With The Beatles" (1963), das die Marvelettes eingespielt hatten.
Bis zur LP mit der Musik des zweiten Beatles-Films "Help!" (1965), auf der "Dizzy Miss Lizzy" von besagtem Larry Williams zu hören ist, erschienen nur noch auf "Beatles For Sale" (1964) Coverversionen; so das unübertreffliche "Rock ’n’ Roll Music" von Chuck Berry. Apropos: Bei "Twist And Shout" vom ersten Beatles-Album , ursprünglich als "Shake It Up, Baby" von der Band The Top Notes aus Philadelphia/PA aufgenommen und mit seinem späteren Titel von den Isley Brothers auf das zweite Treppchen der US R&B Charts geführt, ist ein schlagender Beweis, dass die Beatles Songs nicht nur nachspielten, sondern ihnen eine eigene Note verliehen.
Unerreichte Perfektion
Schon beim Soundtrack des ersten Films der Beatles "A Hard Day’s Night" (1964) waren nur Eigenkompositionen zu hören. Das erstaunliche Songwriting von John Lennon und Paul McCartney muss an dieser Stelle nicht noch einmal beschrieben werden. Doch sollte Erwähnung finden, dass George Harrison über ein ebensolches Talent verfügte. Bereits auf "Please Please Me" und With The Beatles" hat der angeblich so stille Beatle mit den Songs "Chains" beziehungsweise dem Eigenwerk "Don’t Bother Me" brilliert. Von der nie wieder erreichten Perfektion beim Chuck-Berry-Cover "Roll Over Beethoven"" auf letztgenannter LP ganz zu schweigen.
Das Liedwerk der Beatles wäre nicht so überragend geworden, hätte ihr Leadgitarrist nicht seinen Teil dazu beigetragen. Georges "If I Needed Someone" vom Album "Rubber Soul" (1965) ist nach Kenntnis des Schreibers dieser Zeilen der einzige Beatles-Song, der damals von gleich zwei erfolgreichen Beatbands jener Jahre nachgespielt wurde. Die Hollies aus Manchester brachten das Stück 1967 als Single in den USA heraus. Auch The Kingsmen – "Louie, Louie", do you remember? – aus Philadelphia/ PA hatten sich im Vorjahr daran versucht.
Auch an der zunehmenden Komplexität der Tracks hatte George einen wesentlichen Anteil. So ist es ihm zu verdanken, dass indische Elemente in die Musik einflossen wie bei "Within You Without You" vom epochalen "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band" (1967). Die vorliegende Edition erhält zusätzlichen Reiz, weil hier die "cut outs" beigefügt sind, die das berühmte Titelbild noch besser verstehen lassen. Die Neuauflage des OST des 1967er Fernsehfilms "Magical Mystery Tour" enthält ein 24-seitiges Büchlein mit höchst erbaulichen Photos der Beatkasper, die sich als Walrösser und vieles mehr verkleiden.
Ein Schmankerl ist auch das Poster, das der Originalaufnahme des ersten und einzigen Original-Doppelalbums der Band, das unter dem Namen "The White Album" (1968) bekannt wurde.
Noch einmal zurück zu "Sgt. Pepper’s". Es ist eine wohlgemeinte Legende, dass dies das erste Konzeptalbum der Rockgeschichte war. Die Beach Boys aus Kalifornien hatten ein Jahr zuvor ihr "Pet Sounds" auf den Markt gebracht, das die Engländer zu einem Oeuvre dieser Art inspirierte. Es war gleichwohl deren Genialität, die Brian Wilson, Mastermind der US-Band, nach eigener Aussage an seinen Fähigkeiten als Liedschreiber verzweifeln ließ.
Noch Fragen?
Wer an die Einzigartigkeit der Beatles nicht glaubt, hat spätestens mit "Beatles 2012" Gelegenheit, seine Meinung zu korrigieren. Hier haben wir’s mit einer audiophilen Anthologie der Entwicklung der Beatles vom rockenden Anfang über die psychedelischen Mittsechziger bis hin zum konzertanten Ende zu tun. Wie heißt es doch gleich im Titelsong von "Magical Mystery Tour"? Satisfaction Guaranteed." Das ist übrigens der Titel einer SF-Story von Isaac Asimov. Noch Fragen?
Quelle: ntv.de