Musik

Musikpreis-Verleihung in HamburgHans, wo ist die Euphorie?

27.11.2014, 10:22 Uhr
imageVon Ingo Scheel, Hamburg
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Die Band Trümmer bekam den "Hans" in der Kategorie "Hamburger Nachwuchs des Jahres": Tammo Kasper, Paul Pötsch, Helge Hasselberg und Maximilian Fenski (v.l.). (Foto: dpa)

Zum sechsten Mal wird in der Hamburger Markthalle der Musikpreis "Hans" verliehen. Marcus Wiebusch gewinnt zwei Trophäen, auch die Metal-Newcomer Mantar und die Indie-Adepten Trümmer siegen. Man freut sich hanseatisch: nach innen.

Der Ort, an dem der Hamburger Musikpreis verliehen wurde, er strotzt nur so vor Historie. An der Stelle, wo am Mittwochabend die Raucher zitterten, auf der Plattform vor dem Eingang zur Markthalle, hat sich einst Marius Müller-Westernhagen in Schlaghosen für Promofotos ablichten lassen. Drinnen im Saal, auf der besten Bühne der Stadt, trug Morrissey beim einzigen Smiths-Konzert in Deutschland die Narzissen in der Gesäßtasche, tropfte Kurt Cobains Schweiß ins PVC, kifften Monster Magnet sich bräsig, bohrten die Einstürzenden Neubauten die Rückwand an, gaben Gwar dem zur Restaurierung bereiten Saal mit Hektolitern Kunstblut den Rest.

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Doppelhans: Sänger Marcus Wiebusch gewann in den Kategorien "Hamburger Künstler des Jahres" und "Hamburger Song des Jahres". (Foto: dpa)

Der "Hans" dagegen sucht auch nach mehr als einem halben Jahrzehnt immer noch ein wenig nach seiner eigenen Historie. Als wüssten die Nominierten und Prämierten, in Gedanken bei Lars Lewerenz, dem Kopf des Audiolith-Labels, der 2010 auf der Bühne seinen Preis zerhackte, immer noch nicht so wirklich, ob es okay ist, sich zu freuen. Lewerenz hatte gegen den Namensgeber des Preises, Schauspieler Hans Albers, und dessen einstige Nähe zu den Nazis protestieren wollen. Auch Marcus Wiebusch, an diesem Abend zweifacher Preisträger für "Der Tag wird kommen", hadert in seiner Dankesrede damit: "Danke für den Preis. Auch wenn der Name nicht so ganz astrein ist." Nicht so ganz astrein. Hans Albers als Namenspate, den die Nazis dazu drängten, sich von seiner jüdischen Frau zu trennen. Der in Durchhalte-Filmchen den blonden Hans von der Reeperbahn gab. Ganz astrein ist das nicht. So ganz klar aber wohl auch nicht.

Kein roter Faden

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Oke Göttlich, Präsident des FC St. Pauli, hielt die Laudatio für die Kategorie "Hamburger Künstler des Jahres". (Foto: dpa)

Ganz klar scheint es auch nicht zu sein, wie sehr der gemeine Hanseate es hier vielleicht mal krachen lassen kann. Wie sehr man hier bereit wäre, das Wort von der Gala, von den "Awards", mit etwas mehr Dampf zu füllen. Götz Bühler, Jazz-Fachmann, Radiomacher, Musik-Experte, findet als Moderator durchaus den richtigen Ton. Schwärmt von Run DMC, die er einst in der Markthalle sah, namedroppt Bobby Byrd und entlockt auch eher wortkargen Vertretern wie Wiebusch oder Michel van Dyke tatsächlich ein paar vollständige Sätze. Den roten Faden bekommt aber auch nicht so richtig gesponnen. Seinem Drive arbeiten etwa die wackeligen Einspielfilmchen der Nominierten entgegen, die sich entweder - Wow! - ganz doll freuen. Oder das ganze - Hippiekacke! Bäh! - dann doch irgendwie nicht so knorke finden. Ganz gut, aber…! Irgendwie blöd, aber …!

Wegbleiben mag aber auch keiner. Und so haben sich um die 600, wie es so schön heißt, Medienleute eingefunden, um Preise zu verleihen beziehungsweise dabei zuzusehen, aber bloß ja nicht zu dolle mitzugehen, zu jubeln. Oder, sei es drum, auch einfach mal wieder einen Preis zu zerkloppen. Apropos Preis - den haptischen "Hans" hat in diesem Jahr der Designer Tim John entworfen. In einem blinkenden Quader steht die Figur eines Künstlers, der einen Preis hochhält. So, als wohnte der Trophäe selbst die Verhaltensanweisung für ihren Gewinner inne. Zwei verhinderte Preisträger hätte man an diesem Abend zu gerne mit jenem Klotz in der Hand live gesehen: Mantar, das phonstarke Death/Metal/Core-Duo, Gewinner in der Kategorie "Produktion des Jahres", sind mit ihrer DIY-Produktion "Death by Burning" mittlerweile jedoch so erfolgreich, dass sie nicht in Hamburg sein können, sondern live in Helsinki auf der Bühne stehen.

Alben, die mit Hass gekocht sind

Ein fulminanter Video-Einspieler mit einem ihrer Songs fräst statt ihrer eine Schneise in die altehrwürdige Markthalle, bevor eines der Crew-Mitglieder schließlich die per E-Mail geschickte Dankesrede verliest. Die verdichtet, wofür dieser Preise am Ende des Tages steht. Oder stehen könnte: für "Do it Yourself". Nicht für "schön leben können", sondern für "nicht sterben müssen". Für mehr Alben, die mit Hass gekocht sind. Nicht für die Bands mit dem großen Zaster, sondern die mit den großen Herzen. Was, wenn das nicht passiert? "Dann stirbt der Untergrund".

Der Großteil der Halle nimmt diese Zeilen nur noch stoisch zur Kenntnis. Der offizielle Teil neigt sich dem Ende entgegen, die Labskaus-Häppchen warten. Im Hintergrund stöhnt und seufzt jemand betont gelangweilt. Der genervte Gast entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als die Stimme der Band Selig. Jan Plewka, so scheint es, ist solch expliziter Ansage, wie Mantar sie bringen, ausdrücklich entwachsen, hat mit derlei juvenil getriebener Verve nichts mehr an der Mütze. Sie hat geschrien heut nacht? Wohl schon länger nicht.

Am Ende gewinnt die dreifach nominierte Band Trümmer nicht nur in der Kategorie "Nachwuchs des Jahres", sondern bekommt auch noch den Preis der Deutschen Schallplattenkritik oben drauf. "Wo ist die Euphorie?", fragen sie danach live in ihrem bekanntesten Song. Und bekommen auch an diesem Abend wieder keine Antwort.

Quelle: ntv.de