"Ufftatata" mit Gregory Porter Musik für die Seele - und die Hüften
26.09.2013, 16:33 Uhr
Er nimmt die Mütze auch mal ab - zu Hause.
Er geht ab wie eine Rakete, in den Charts tummelt er sich ganz vorne - obwohl er Jazz macht. Die Kritiker überschlagen sich vor Freude, die Fans werden immer mehr, und das hat gute Gründe: Der Typ ist einzigartig. Nicht nur wegen seiner eigenartigen Kopfbedeckung.
Gregory Porter: Wow, ist das voll hier in deiner Stadt!
n-tv.de: Ja, es ist aber immer voll, ehrlich gesagt.
Ist was Spezielles los?
Es ist immer was los hier. Du bist gerade gelandet zum Beispiel …
(Lacht) Danke, aber ich glaube, das hat keiner gemerkt.
Just in dem Moment bleibt ein Hotelgast an unserem Tisch stehen und fragt: "Hey, Sie sind doch der Jazz-Musiker, oder?“ Porter lächelt freundlich, ich eisig, Gast redet weiter: "Hey, wenn Sie jemals einen guten Musiker für die Band brauchen, ich hab‘ da einen …", mein Lächeln wird eisiger, Porter bleibt freundlich, Gast fährt fort: "Ich will sie wirklich nicht unterbrechen ..." "Das ist schön!", sag' ich, Gast geht, Porter lächelt: "Ich hätte nicht gedacht, dass mich jemand hier erkennt."
Du bist aus New York, da ist es doch auch immer voll …
Ja, ich weiß, ich glaube, auf der ganzen Welt ist es voll. Tokio, Moskau, London, überall!
Lass' uns lieber über die Musik reden, nicht über den Verkehr in Hauptstädten: Wo nimmst du deine Ideen nur her? Deine Musik ist so voller Emotionen, so tief, ist das nicht anstrengend manchmal?
Die Musik kommt natürlich aus meinem Innersten, aus meinem Erfahrungsschatz. Manchmal aber auch der Beobachtung anderer Menschen. Wenn jemand schwer verliebt ist, oder aber auch, wenn jemand sehr traurig, verletzt ist, das berührt mich. Als Songwriter muss man empathisch sein, man muss in der Lage sein, die Stimmungen von anderen Menschen zu deuten oder noch besser: sie zu verstehen. Aber das meiste sind meine Gefühle, vor allem, wenn es ein trauriges Liebeslied ist, dann kannst du davon ausgehen, dass das meine Erfahrungen sind (lacht). Nehmen wir zum Beispiel "Painted on Canvas" von meinem letzten Album: Da ist es so gewesen, dass sich mir der Sinn erst so richtig erschlossen hat, als der Song wirklich fertig war. Und siehe da: Es geht um gegenseitigen Respekt. Das ist es, worum es im Leben auch wirklich geht! Die Goldene Regel, könnte man sagen.
So sollte es sein, ist aber nicht immer so …
…ja, ja, leider, das haben immer noch nicht alle kapiert. Es ist wie meinem Lied "Our Love". Der Text: "They think we’re weak, but you’re the reflection of my love/ we’re incomplete, but you’re the direction of my love/ Vultures are flying around the ramparts of the towers of our love/ don’t it sound sweet, our love?"
Das sind sehr schöne Zeilen …
… yeah, danke. Damit möchte ich sagen, dass jemand uns angreift, unsere Liebe, aber daraus wird nichts. Und das Wichtigste sind sowieso die Worte: "Our Love", unsere Liebe, das ist das Allerwichtigste. In dem man also den Irrsinn und das Böse hervorhebt, zeigt man den Leuten doch besser: "Macht das nicht, es ist nicht gut für euch!" Ich will nicht predigen, es ist eher eine poetische Art den Leuten zu sagen, dass es besser ist, manchmal cool zu bleiben.
Das ist sicher der bessere Weg, ja, aber hast du nicht trotzdem ein bisschen etwas von einem "Preacherman"?
(Lacht) Ja, wie auch nicht? Meine Mutter, mein Vater, sieben meiner Onkels, mein Großvater, sie alle waren oder sind Prediger. Da ist wahrscheinlich was hängen geblieben.
Hast du das Gefühl, dass etwas passiert ist in der Musikwelt? Ich meine: Plötzlich scheinen die Menschen wieder echte Texte hören zu wollen, erwachsene Texte, Worte, die etwas zu bedeuten haben. Woher kann das kommen?
Ja, das ist eine richtige Beobachtung, und ich denke, dass es für alles eine richtige Zeit und einen richtigen Ort gibt. Es sollte im Gleichklang sein. Aber Musik, die einfach nur in die Hüften geht, hat auch ihre Berechtigung (lacht)! Spaß, lachen …
… trinken, tanzen …
…ja, genau! (Fängt an zu singen): "I can’t wait until tonight, yeah, can’t wait …"
Tanzt du dann?
Natürlich tanze ich dann! Und wenn ich tanzen will, dann will ich ufftata, aber: Das darf nicht das Einzige sein. Ich glaube nämlich, dass wir das, was wir hören, auch verinnerlichen. Weißt, was ich meine? Es gibt Leute, die glauben, dass sie ihr ganzes Leben in einem Club sind. Der Rhythmus ihres Lebens ist – u-schalla-lalla-u ... Porter macht typische Disko-Rhythmen und lacht …
Ja, aber man wird auch immer wieder dazu verführt, zu glauben, dass das der Rhythmus des Lebens ist. In vielen Klamottenläden zum Beispiel läuft so laut Musik, dass man eigentlich nicht mehr denken kann, man ist wahllos und kauft. Außerdem wird signalisiert: Los, hab‘ Spaß! Wenn du keinen Spaß hast, dann läuft was falsch in deinem Leben!
(Lacht) Stimmt, und man ist sehr schnell gelangweilt. Aber ich werde mich an keiner Stelle über die Musik oder die Gewohnheiten anderer Leute lustig machen, denn alles hat seine Berechtigung. Ich will einfach etwas Sinnvolles sagen oder singen, etwas, das ans Herz geht, das eine Seele hat. Das ist auch das, was ich gerne höre.
Okay, also nochmal: Was kann dieses Interesse an – momentan zum Beispiel an deiner Musik – ausgelöst haben? Du bist ja eher ein Spätzünder …
Ja, stimmt, ich hab‘ erst in meinen Dreißigern angefangen, Musik aufzunehmen.
Ist das jetzt einfach deine Zeit, wie du vorhin schon angedeutet hast, um Musik mit einer bestimmten, ehrlich gemeinten Botschaft zu verbinden? Ohne zu predigen?
(lacht) Ja, das hört sich gut an, das ist ein schöner Gedanke. Ich hoffe es! Es ist doch so: um etwas zu sagen zu haben, muss man auch etwas erlebt haben. Man muss ein paar Erfahrungen machen, gute und schlechte, um das Leben besser zu verstehen.
Aber die Leute nennen dich jetzt "Die neue Stimme des Jazz" – ich bitte vielmals um Entschuldigung, aber so "neu" bist du nun auch wieder nicht!
(Lacht) Ja, das ist richtig, aber das sind doch nur Überschriften.
Und was ist mit der Bezeichnung "DIE Stimme des Jazz"?
Ja, da würden sich einige bestimmt ganz doll drüber freuen, aber dazu liebe ich die Musik einfach zu sehr, als mir anzumaßen, dass ich DIE Stimme des Jazz sein könnte, das wär' doch langweilig. Ich bin aber sehr gerne eine der vielen Stimmen des Jazz, meinetwegen auch gerne eine sehr starke, auffällige (lacht). Jazz macht keinen Sinn allein, verstehst du? Und er ist auch schwer einzuordnen, er ist sehr persönlich.
Glaubst du, dass du mit deinem Erfolg in den Charts den Jazz populärer machen kannst, auch anderen näher bringen kannst, die sonst nichts mit Jazz zu tun haben? Jazz ist ja nicht so einfach …
Ja, ach, ich glaube, ich kann so vieles in meiner Musik vereinen. Ich habe den Gospel-Hintergrund, Emotionen sind mir wichtig, ich mag aber auch sehr gerne klassische Musik. Wenn ich das alles zusammenpacke, dann ist das vielleicht zugänglicher für einige Zuhörer. Aber ich mach' das nicht mit Absicht, ich will niemanden einfangen, es ergibt sich einfach so. Das bin ich, so fühle ich, so singe ich, und wenn andere das auch gut finden, und verstehen, dann ist das gut. Als ich früher mal gesagt habe, dass ich ein Jazz-Sänger bin, haben mich viele nur angeguckt und gefragt: "Ein was? Was soll das sein?" Und das ist auch schwer, die Bandbreite ist riesig.
Wie bei Pop-Musik …
(Lacht) Ja, stimmt!
Gibt es einen Unterschied in der Wahrnehmung von Jazz in Europa und den USA?
Das ist ein interessanter Aspekt. Ja, ich glaube, in Europa stehen die Leute einem guten Sound immer sehr aufgeschlossen gegenüber. In Paris zum Beispiel , da sehe ich ganz andere Werbung für Jazz-Konzerte, nicht so versteckt, nicht so ausgrenzend. Ich habe mein Poster hier schon in der U-Bahn gesehen, neben denen von HipHoppern und anderen Künstlern. So was gibt es in den Staaten nicht. Die machen da eher ein großes Ding draus, so ein bisschen elitärer. In Europa macht man es einfach! Super.
Hat Woody Allen denn nicht zur Popularisierung von Jazz in Amerika beigetragen?
Naja, wenn er im Lincoln-Center auftreten würde, vielleicht, aber das macht er nicht, er liebt kleine Clubs.
Wo trittst du am liebsten auf?
Oh, das kommt ganz drauf an! Auf einer großen Bühne kann man sich besser entfalten, denke ich. Es ist ein großartiges Gefühl. Ich werde zum Beispiel in London in der Royal Albert Hall auftreten, das finde ich wahnsinnig aufregend. Aber an kleinen Clubs liebe ich, dass es so direkt ist, den Sound und den Kontakt zum Publikum.
Und dass das Publikum da mehr mitgeht?
Ja, aber man kann versuchen, auch große Säle so klein wie möglich zu machen, um jeden einzelnen zu erreichen.
Das wirst du in Berlin zum Beispiel mit deiner Kollegin Lizz Wright versuchen, im Kammermusiksaal.
Ja, ich habe sie hier in Berlin kennengelernt. Ich glaube, unsere Stimmen ergänzen sich. Sie ist mein weibliches Pendant, und ich umgekehrt ihres. Also, ich meine natürlich unsere Stimmen (lacht).
Du bist bereits zweimal für den Grammy nominiert worden – sind Preise wichtig?
Hah! Ein paar Freunde von mir, die schon über den einen oder anderen Grammy verfügen, sagen mir: "Gregory, kein Ding, Preise bedeuten echt nichts!", aber sie haben ja auch schon einen. Also, ich hätte nichts dagegen. Es wäre eine große Ehre. Ich leg’s nicht drauf an, aber wenn es passiert, dann passiert es. Ich bin schon dankbar für die Nominierung.
Kommen wir mal kurz von der Musik weg: Du bist ja ein vielseitig talentierter Mensch. Du hast professionell Football gespielt, bis dir deine Schulter einen Strich durch die Rechnung gemacht hat.
Ja, Mann, das war schrecklich …
Und dann kam die Musik, um dich zu retten? Wie ist das, wenn man so viele Talente hat?
(lacht, sehr) Ach, Texte oder Songs zu schreiben ist doch gar nichts so besonderes, das machen viele. Es entwickelt sich. Wie bei einem Maler, man fängt an, und dann pinselt man hier, dann da … Aber natürlich, inzwischen ist das mehr für mich geworden. Es ist meine Welt. Und am faszinierendsten ist es dann für mich, wenn ich in verschiedenen Ländern auftrete, und überall sind die Emotionen ähnlich. Egal, ob in der Türkei oder Australien oder Kanada – Menschen haben Gefühle.
Also hat die Musik dir geholfen, das Ende deiner Sportler-Karriere zu verkraften?
Musik hat mir schon bei wirklich ALLEM geholfen! Beim Tod meiner Mutter, bei schmerzhaften Trennungen (lacht). Eigentlich steht jeder Titel auf meinen Alben für eine bestimmte Person. Aber es geht auch um Selbstzweifel und Unsicherheit, und um meinen Wunsch, den Menschen etwas zu sagen. Da bin ich wirklich sehr froh drüber. Ich kann andere auffordern, etwas zu tun – ob sie es dann machen, steht auf einem anderen Blatt, aber ich kann es versuchen.
Kommen wir noch mal auf deine Familie: Deine Mutter scheint in und über allem zu sein, was du machst, dein Vater hingegen nicht. Es war recht kompliziert zwischen euch, aber konntest du ihm inzwischen "vergeben", wenn man das so nennen kann?
(Überlegt) Yeah … Puh … Ganz ehrlich: Erst auf meinem neuen Album jetzt war ich dazu fähig. Das Lied für ihn heißt "Free", und ich billige ihm da zu, dass er mir auf eine gewisse Art und Weise den Weg geebnet hat, obwohl er als Vater wirklich rein gar nichts für mich getan hat, als ich ein Kind war. Aber ich habe etwas von ihm, meine Stimme zum Beispiel. Er hatte Charisma, das lässt sich nicht leugnen – also ja, ich habe das inzwischen bemerkt und ich kann das sozusagen als Erbe anerkennen. Und für mich ist es auch besser, ihm eine gute Rolle in meinem Leben zuzuordnen, es nimmt das Negative und ich komme besser vorwärts.
Gab es denn eine Zeit des Stillstands?
Oh ja, auf jeden Fall! Indem ich auch immer gesagt habe, wie toll meine Mutter war, habe ich ihn spüren lassen, dass er für mich nichts bedeutete, was ja gar nicht stimmte. Aber er sollte das so spüren. Und wenn Eltern dann tot sind, dann ist das ein unheimlich großer Verlust. Lieder zu schreiben hilft mir noch immer darüber hinweg, damit umzugehen.
Du bist auch ein politisch denkender und singender Mensch - was hälst du momentan vom Zustand der USA? Hast du das Gefühl, dass dort ein gewisser Stillstand herrscht?
Naja, es gibt momentan so viele Fragen, wer kann da schon alle Antworten wissen? Ich jedenfalls möchte diesem Präsidenten alle Zeit der Welt geben, um sich weiter zu entfalten und zu beweisen. Ich bin sehr stolz auf Obama und das, was er bisher erreicht hat. Der Präsident macht mir, ehrlich gesagt, keine Sorgen (lacht), es ist mehr das, was um ihn herum passiert, wie andere auf ihn reagieren. Ich meine, es gibt Menschen, die verwenden ihre ganze Energie darauf, ihn zu bekämpfen, anstatt ihre Energie dafür zu nutzen, selbst konstruktiv zu werden und die Welt zu verbessern. Ich befürchte, dass es noch nie so viele Leute gegeben hat wie bei Obama, die versuchen, ihn vom Thron zu stoßen.
Verschwendete Energie …
… ja, total verschwendet. Was man damit alles anfangen könnte!
Wie reagieren die Menschen eigentlich auf dich – du bist eine wirklich auffällige Erscheinung.
Ja, das hab‘ ich auch schon bemerkt (lacht). Manchmal rennen die Leute auf mich zu, total freundlich, wollen ein Foto machen, oder sie sind komplett misstrauisch. Es gibt nichts dazwischen, entweder also sehr nett oder sehr abweisend. Aber es macht mir nichts aus – ich bin so zufrieden, so glücklich, dass ich das Gefühl habe, nichts und niemand kann mir etwas antun. Natürlich bemerke ich, dass ich auch schon mal einen Blick abbekomme, wenn ich einen Laden betrete, der sagt: "Na, Mann, kannst du dir das hier überhaupt leisten?" Das kann einem überall passieren – und weißt du, was dann hilft? Wenn ich spreche und sie meinen amerikanischen Akzent hören. Wir alle sind nicht frei davon, Vorurteile zu haben.
Man weiß eine Menge über dich und dein bisheriges Leben, auch, weil du über deine Gefühle und deine Gedanken singst. Aber wer bist du jetzt? Wen magst du, was machst du in deiner Freizeit?
(Lacht)
Wir wissen nichts.
(Lacht)
Ist er verheiratet?
Ja! (Lacht)
Hat er Kinder?
Ja!
Nimmt er je seine Mütze ab?
Ja, zu Hause (lacht). Mein Sohn ist jetzt acht Monate alt, und ich bin seit gut einem Jahr verheiratet. Mit einer Russin. Wir leben in Brooklyn. Kennen gelernt haben wir uns in Moskau, sie ist Malerin. Ja, und meine Mütze, die gehört zu meinem öffentlichen Ich, das ist mein Image (lacht).
Brauchst du das oder fühlst du dich dann einfach sicherer?
Mhhhh (überlegt), ich brauch‘ das. Nee, Quatsch, so ist es einfach.
Ich hab' ein Foto ohne Mütze gefunden …
Echt? Da muss ich ja sehr jung sein.
Ja, und eine Frau lächelt dich darauf an …
Wow, das kenn' ich gar nicht, das Foto.
Eine letzte Frage: Du bist jetzt bei Blue Note Records – was für ein Gefühl ist das?
Aah, das ist echt cool! Das macht einen frei, und selbstbewusst, das ist das, wovon ein Jazz-Musiker träumt. (seufzt) Ja, wenn einem einer sagt: "Wir wollen, dass du einfach genauso weitermachst wie bisher", dann ist das großartig. (lacht)
Mit Gregory Porter sprach Sabine Oelmann
Der Künstler ist im November in Deutschland auf Tour:
14.11.2013 Kaiserslautern, Kammgarn
16.11.2013 Dortmund, Konzerthaus
18.11.2013 Heidelberg, Stadthalle
19.11.2013 Frankfurt, Alte Oper
20.11.2013 Hannover, Theater am Aegi
21.11.2013 Berlin, Kammermusiksaal
23.11.2013 Hamburg, Laeiszhalle
24.11.2013 Bremen, Die Glocke
25.11.2013 Düsseldorf, Tonhalle
Quelle: ntv.de